# taz.de -- Aufstand in Algerien: Jugendrevolte an der Mittelmeerküste | |
> Im algerischen Oran hat sich Unmut über den Abstieg des lokalen | |
> Fußballvereins im Laufe dieser Woche in einen allgemeinen Aufstand | |
> verwandelt. | |
Bild: Straßenszene in Oran am Mittwoch. | |
Brennende Barrikaden, Polizeisirenen, Gummigeschosse und Tränengas | |
bestimmen das Straßenbild von Oran. Die zweitgrößte algerische Stadt | |
versinkt in einer Welle der Gewalt, nachdem der örtliche Fußballclub | |
Mouloudia in die zweite Liga abgestiegen ist. Was am Montag mit | |
randalierenden Fußballfans begann, hat sich zu einer breiten | |
Protestbewegung frustrierter Jugendlicher aus den Vororten entwickelt. | |
Der Unmut richtet sich gegen die "Hogra", wie die Algerier die | |
Machtarroganz, die Perspektivlosigkeit und die Missachtung der | |
elementarsten Lebensbedürfnisse nennen. In einem völlig erstarrten und | |
korrupten Regime seien "die gewalttätigen Demonstrationen zum letzten | |
Mittel geworden, um Frust und Wut zum Ausdruck zu bringen", schreibt die | |
algerische Tageszeitung Le Soir dAlgérie. | |
Die Unruhen in Oran begannen im Arbeiterviertel El Hamri, gleich neben dem | |
Stadion des Fußballclubs Mouloudia. Schnell griffen die Proteste auf andere | |
Stadtteile und auf die Innenstadt über. Die wütende Menge stürmte eine | |
örtliche Zeitung, unzählige Geschäfte, Schulen und Verwaltungsgebäude. | |
Immer wieder kommt es zu Plünderungen. Die örtlichen Getreide- und | |
Mehldepots wurden ebenfalls Opfer der aufgebrachten Menge. Die Folge ist | |
eine Brotknappheit. | |
Über hundert Verletzte wurden bisher gezählt. Darunter sollen 70 Polizisten | |
sein, viele von ihnen seien schwer verletzt. Vor allem am ersten Tag traf | |
es unzählige Polizisten. Denn statt die Sondereinsatzkommandos zu schicken, | |
versuchten normale Streifenbeamte sich den Jugendlichen in den Weg zu | |
stellen. Sie waren restlos überfordert. | |
Mittlerweile kontrolliert die Gendarmerie mit ihren Spezialeinheiten die | |
Straßen Orans. Die meisten Geschäfte bleiben geschlossen, die öffentlichen | |
Verkehrsmittel haben ihren Dienst eingestellt. | |
Gestern bei Redaktionsschluss herrschte angespannte Ruhe in Oran. "Doch es | |
kann jederzeit wieder losgehen", erzählt eine junge Frau aus der Stadt am | |
Telefon. "Es war seit Monaten zu spüren, dass irgendetwas in der Luft | |
liegt", erklärt sie. | |
Die Unzufriedenheit der Menschen in Algerien, so ihre Analyse, nimmt | |
ständig zu. Der Staat verdient dank hoher Erdölpreise so viel Geld ein wie | |
nie. Doch bei der breiten Masse der Bevölkerung kommt davon nichts an. Die | |
Lebenshaltungskosten steigen rasant, die Arbeitslosigkeit nimmt nicht ab. | |
Vor allem in den übervölkerten Vororten Orans ist die soziale Lage | |
angespannt. In den 90er-Jahren, als in Algerien Krieg zwischen Armee und | |
bewaffneten Islamisten wütete, kamen viele Landbewohner aus dem unsicheren | |
Unland in die Stadt. Oran war wie eine Insel in einem Meer von Gewalt. Auch | |
viele Reiche aus ganz Algerien zog es in die ruhige Stadt. Die sozialen | |
Gegensätze verschärften sich. | |
Die Unruhen in Oran heute sind nur die Spitze des Eisberges. Es vergeht | |
keine Woche, in der nicht ein Ort in Algerien durch gewalttätige | |
Ausschreitungen von sich reden macht. Egal ob Fußball, Preiserhöhungen, die | |
als ungerecht empfundene Vergabe von Wohnungen oder willkürliche | |
Polizeimaßnahmen - die Anlässe sind vielfältig und doch beliebig. Denn die | |
Proteste sind die verzweifelte Reaktion auf ein völlig erstarrtes Regime. | |
Die Oppositionsparteien sind so gut wie inexistent. Das Parlament ist zu | |
einer reinen Abstimmungsmaschinerie verkommen. Jetzt soll gar die | |
Verfassung geändert werden, damit Präsident Abdelaziz Bouteflika eine | |
dritte gewählte Amtszeit antreten kann. Und anstatt den Unmut ernst zu | |
nehmen, redet Innenminister Yazid Zerhouni auch dieses Mal wieder von | |
"manipulierten Jugendlichen". | |
30 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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