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# taz.de -- Art Brut: "Nicht nur Teilhabe-Gerede"
> Die Ausstellung "Elementarkräfte" in Hannover zeigt Werke
> psychiatrieerfahrener Künstler. Als Botschaft an eine Gesellschaft, die
> ausschließt. Und als Kunst, die für sich stehen kann.
Bild: Robert Picker, "Robert hat die Garage gemalt" (2005)
taz: Warum laufen die Werke in der Ausstellung "Elementarkräfte" unter der
Kategorie "psychiatrieerfahrene Künstler" statt dass sie für sich stehen,
Herr Spengler?
Andreas Spengler: Am liebsten würde ich ohne Weiteres nur tolle Kunst
zeigen. Das ist auch die Programmatik der Künstlergruppe Schlumper, die die
Ausstellung mitgestaltet. Die Kunstwelt hat die "art brut", also Kunst auch
aus psychiatrischem Kontext, längst erschlossen. Viele unserer Werke waren
in der Hamburger Kunsthalle und im Sprengel-Museum Hannover. Aber: Die seit
den 20er Jahren bekannte Gattung Kunst aus psychiatrischem Kontext hat auch
Eigenheiten, sie ist nicht unpolitisch und nicht unhistorisch.
Was folgt daraus?
Wir benutzen die Kunst auch als Botschafterin für das Anliegen der
Menschen, die diese Kunst dort zeigen. Wir kommen aus dieser Dialektik
nicht heraus und wir wollen es auch nicht.
Was meinen Sie mit Eigenheiten?
In der historischen Betrachtung haben die Menschen in den Anstalten in
ihrer Isolierung völlig eigene Bild- und Formsprachen gefunden. Die frühe
Kunst aus den psychiatrischen Anstalten der Jahre 1920 bis 1940 hat die
Moderne stark beeinflusst, wenn man zum Beispiel an Adolf Wölfli denkt, der
35 Jahre in der psychiatrischen Klinik lebte - Künstler wie Paul Klee und
Jean Dubuffet haben diese Werke gesammelt, die sie durch ihre Freiheit und
ihre Symbolik beeinflusst haben. Heute sieht man eigentlich gar keinen
Unterschied: Die Kunst der Autodidakten ist genauso stark wie die der
akademisch ausgebildeten Künstler.
Wo liegt die politische Botschaft?
Kunst von psychiatrieerfahrenen Menschen ist eine Botschafterin in einer
Gesellschaft, in der sie in Wahrheit immer noch keine echte Inklusion und
keine echte Normalität erfahren. Und weil wir mehr wollen als irgendein
Teilhabe-Gerede, möchten wir, dass in diesem Kontext Kunst auch
Botschafterin ist.
Vor Jahrzehnten machte sich die Psychiatrie-Reform-Bewegung auf- warum kann
von Inklusion immer noch nicht die Rede sein?
Wir haben seitdem einen großen Aufbruch gehabt in der Befreiung und in der
Begegnung psychisch Kranker mit der Fachwelt, aber wir haben hier und da
auch einen gesellschaftlichen Roll-back: mit Ärztemangel, Bettenabbau und
der Kommerzialisierung psychiatrischer Einrichtungen. Wir Psychiater dürfen
uns nicht darauf ausruhen, zu sagen: Jetzt ist alles in Ordnung; wir sind
alle nett zu psychisch Kranken. Der Auftrag, auch im Sinne der
UN-Behindertenkonvention, ist echte Anerkennung und echte Inklusion.
Wie haben Sie die Auswahl für die Ausstellung getroffen?
Es soll möglichst einen Bezug zu Norddeutschland geben und die Werke müssen
für sich sprechen. Abgesehen davon mischen wir historische Profikünstler
mit Psychiatrievergangenheit mit jungen unbekannten Künstlern von heute mit
ganz aufregenden Werken. Da helfen unsere Kontakte zu den Schlumpern in
Hamburg und Haus 18 der Psychiatrie Ochsenzoll. Wir haben klasse Sachen aus
dem Maßregelvollzug dabei.
In der Ausstellung werden auch Werke von KünstlerInnen gezeigt, die unter
den Nazis zwangssterilisiert oder ermordet wurden. Waren andere durch ihre
Prominenz davor geschützt?
Die Profikünstler, die schon einen Namen hatten, hatten etwas bessere
Chancen, gerettet zu werden. Aber Elfriede Lohse-Wächtler beispielsweise
wurde zwar lange geschützt, dann aber doch ermordet. In den 30er Jahren,
als sie auf St. Pauli malte, wurden ihre Werke noch vom Senat aufgekauft.
Sie war eine bekannte Künstlerin in Hamburg, wurde dann aufgrund der
Diagnose Schizophrenie zwangssterilisiert und brach völlig zusammen. 1940
wurde sie vergast.
Die Ausstellung Elementarkräftezeigt bis zum 30. 5. Werke
psychiatrieerfahrener Künstler in derStädtischen Galerie KUBUS in Hannover.
Heute findet von 16.30 bis 18.30 Uhr das Symposium "Künstler als Opfer der
NS-Psychiatrie" statt.
11 May 2010
## AUTOREN
Friederike Gräff
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