Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- "Armida" an der Komischen Oper Berlin: Erotomanes Sextheater
> Die "Armida" von Christoph Willibald Gluck inszeniert Calixto Bieito an
> der Komischen Oper gewohnt anzüglich. Aber auch sonst ist einiges los im
> Berliner Opernfrühling.
Bild: Die sexuelle Verführung und die Hilflosigkeit der Männer gegenüber "Ar…
Nichts können Berliner bekanntlich besser als meckern. Deswegen sorgen die
drei Opern der Stadt stets für Schlagzeilen der düsteren Art. Die Deutsche
Oper ist mal wieder pleite, an der Staatsoper kracht es in der Chefetage
und nicht nur in der ausgeleierten Bühnentechnik, die noch ein Jahr halten
muss.
In Wirklichkeit ist nur der Frühling ausgebrochen. Lustvoll und prächtig
geht es zur Sache. Es stimmt zwar schon, dass die Staatsoper von Daniel
Barenboims unbändigem Tatendrang eher mitgeschleift als angetrieben wird.
Wenn er da ist, sind gleich Festwochen ausgerufen. Diesmal hat er das
Orchester der Mailänder Scala mitgebracht zum Vergleich mit seiner
Staatskapelle, gibt mit beiden große Konzerte, begleitet Thomas Quasthof am
Klavier und dirigiert nebenher auch noch Wagners Lohengrin in einer neuen
Inszenierung von Stefan Herheim. Ein bisschen schlampig zwar, aber mit
einer grandiosen Dorothea Röschmann als Elsa.
Herheim hält das Ganze ohnehin für ein egomanisches Puppentheater. Am Ende
bleibt vom hehren Gralsritter nur eine zerfetzte Stoffpuppe auf der Bühne
liegen, aber seis drum: Begeisterter Applaus, und alle möchten sich am
liebsten in den Armen liegen, weil Oper einfach ein riesengroßer, sündhaft
teurer Spaß ist.
Wer als guter Berliner trotzdem meckern wollte, ging am andern Abend in die
Komische Oper. Auf die ist immer Verlass, wenn die beiden Großen ihre Tage
haben. Calixto Bieito ist zurückgekehrt, nach seiner spektakulären
Sadomaso-Version von Mozarts "Entführung aus dem Serail" vor vier Jahren
und einer (eher mittelmäßigen) "Madame Butterfly" von Puccini nunmehr mit
"Armida" von Christoph Willibald Gluck. Ein viel zu selten aufgeführtes,
absolutes Meisterwerk, dem nur mit dem Begriff der "musikalischen
Aufklärung" gerecht zu werden ist: ein in reine, wundervoll subtile und
klare Musik gegossener Diskurs über das, was die Liebe, die sexuelle ebenso
wie die emotionale, für ein Subjekt bedeutet, das sich autonom versteht und
daher seine Freiheit auch gegen die Fesseln der Triebe und Gefühle
behaupten muss.
Modern bis in die Knochen also, und damit verglichen ist Wagners Ritterwelt
in der Tat nur ein kindisches Puppentheater. Da hat Herheim schon recht,
noch mehr aber Bieito, der sich traut, die Frage so schonungslos und
körperlich konkret auf die Bühne zu stellen, wie sie von Gluck gestellt
ist. Nackte Männer kriechen auf allen vieren um Armida und ihre Freundinnen
herum, sichtbare Oper der sexuellen Verführung.
Was soll diese Frau mit dieser Macht, die ihre eigene ist, anfangen? Soll
sie sich selbst darauf einlassen, wenigstens auf den einen, den Krieger
Rolando, der nicht vor ihr kriecht, sondern den Weg des sublimierten
Gefühls wählt, sich ihr zu nähern - in einer Arie übrigens von so
unglaublicher Schönheit, dass sich allein dafür die Aufführung dieses Werks
lohnt. Fünf Akte lang dekliniert sie die Argumente durch. Am Ende schießt
sie dem Geliebten, der sie dann doch, trotz aller Schwüre, verlassen will,
das Geschlechtsteil weg. Keine Lösung, gewiss, aber wer wäre so vermessen
zu behaupten, es gäbe eine Lösung dieses Grundproblems der modernen
Existenz?
Opernfrühling also, so radikal und hemmungslos, wie er zurzeit wohl
überhaupt nur in Berlin möglich ist. Bieitos erotomanisches Sextheater wäre
in jeder anderen Stadt ein Skandal, hier wird es bejubelt und verstanden.
Am Donnerstag zieht die Deutsche Oper nach. Die Intendantin Kirsten Harms
hat mal wieder in den staubigen Ecken der jüngeren Vergangenheit gestöbert,
die sie so sehr liebt, und dort "Marie Victoire" von Ottorino Respighi
gefunden. Das Stück, zwischen 1912 und 1913 geschrieben, ist noch nie in
Deutschland gespielt worden, Johannes Schaaf hat sich überreden lassen, es
zu inszenieren. Wahrscheinlich lässt sich mit so etwas niemals das
finanzielle Defizit der größten der drei Berliner Opern ausgleichen.
In "Marie Victoire" geht es wieder um die Liebe und außerdem um die
Revolution … Wer war Ottorino Respighi? Wir werden hören. Zehn Opern hat er
geschrieben, die kein Mensch mehr kennt. Nur in Berlin ist das anders, hier
wird wenigstens eine davon gespielt. Vielleicht ist sie die Entdeckung des
Jahres, vielleicht auch nicht. Meckern kann man zum Glück immer und dann
bei Barenboim vorbeischauen oder in die Komische Oper gehen.
6 Apr 2009
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.