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# taz.de -- Selbst für VW wird Kunst zu teuer
> Das Kunstmuseum Wolfsburg blickt in einer Jubiläumsausstellung auf seine
> 30-jährige Geschichte zurück. Das gelingt über weite Strecken sehr
> unterhaltsam
Bild: Humorvolle Kritik der Individualität in der Konsumgesellschaft: Benedikt…
Von Bettina Maria Brosowsky
Das Kunstmuseum Wolfsburg holt zu seinen Jubiläen, wie 2012 zum 18-jährigen
oder 2019 zum 25-jährigen Bestehen, gerne Teile seiner Sammlung aus dem
Depot. Diese Sammlung ist seit dem Beginn des systematischen Erwerbs 1993,
rund ein Jahr vor Eröffnung des Hauses, auf über 1.000 Werke von 144
internationalen Künstler:innen angewachsen – und in das Haus
hineingewachsen, wie man in Wolfsburg voller Stolz betont.
Rund 160 Arbeiten sind derzeit in einer Jubiläumsausstellung zu sehen, die
auf 30 Jahre Kunstmuseum Wolfsburg zurückblickt. In Zahlen: über 150
Einzel- und Themenpräsentationen, wie zuletzt die als „Ausstellung des
Jahres 2023“ ausgezeichnete Schau „Re-Inventing Piet. Mondrian und die
Folgen“, sowie 100 begleitende Publikationen. Aber auch: vier Direktoren,
von denen der dritte, Ralf Beil, Ende 2018 nicht freiwillig seinen Hut
nahm. Andreas Beitin brachte ab 2019 Ruhe ins Haus, gefühlt zumindest um
den Preis eines Verlustes an überregionaler Aufmerksamkeit.
„Welten in Bewegung“, so der Titel der aktuellen Ausstellung, will eine
vielfältige Reise durch unterschiedliche Lebensbereiche bieten und zeigen,
wie sich Ereignisse individueller bis globaler Dimension in künstlerischen
Interpretationen widerspiegeln. 15 Leihgaben – alte Malerei, Grafik und
Kunsthandwerk – aus dem Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museum bilden
historische Dialogpartner in 15 thematischen Kapiteln, in die sich die
Ausstellung gliedert.
Das klingt so unverbindlich wie allgemeingültig, gelingt visuell über weite
Strecken aber sehr unterhaltsam. Gleich am Beginn geht es etwa um
„Raumwunder“. Die motivisch wie räumlich ausufernde Installation von Michel
Majerus „The space is, where you’ll find it“, will durchschritten werden,
um im Angesicht einer niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts zu
erahnen, welch auch spirituelle Offenbarung für damalige
Zeitgenoss:innen das dramatisierte Tageslicht im Inneren eines großen
Kirchenraums bedeutet haben mag.
Heute sind Museen die neuen Kathedralen, die, wie das Wolfsburger
Kunstmuseum mit seiner 16 Meter hohen zentralen Halle, mit
architektonischen Mitteln beeindrucken wollen. Erwin Wurm erdet solche
Gedankenflüge kurzerhand mit einer „One Minute Sculpture“ absurder Raum-
und Möbelkonstellation. Spätestens in der menschlichen Interaktion mit der
Skulptur wird nur mehr die Banalität unseres Tuns und Seins deutlich, das
stets zum Scheitern verurteilt ist.
„Wer bist Du?“, fragt im Anschluss Christian Keinstar und lässt die
Nachbildung seines Kopfes aus Gallium durch die Maschen eines Gitters
zerfließen. Gallium ist ein Metall, das schon bei knapp 30 Grad
zerschmilzt. Diese Arbeit zählt zu den neueren Erwerbungen. Sie wurde 2021
durch Mittel eines Freundeskreises wohl nicht ganz unbetuchter
Geldgeber:innen angekauft und war Highlight einer Ausstellung zum
künstlerischen Sujet des Menschenbildnisses.
Denn auch das gehört zur Geschichte der Wolfsburger Institution: Konnte das
Haus dank seiner monetären Nähe zu einem Weltkonzern über lange Jahre eine
stattliche und profilierte Sammlung zeitgenössischer Kunst seit 1968
zusammentragen, die prominente Künstler wie Mario Merz, Anselm Kiefer oder
Carl Andre in mehrteiligen Konvoluten umfasst, so sind die Ankaufspreise im
internationalen Kunstmarkt mittlerweile selbst für ein nach wie vor
sicherlich auskömmliches Wolfsburger Gesamtbudget unerschwinglich geworden.
Zum 30-jährigen Jubiläum ließ sich deshalb die Kulturstiftung der Länder
nicht lumpen und spendierte die restliche Summe für den Ankauf des
„Dreiakters“, eines Frühwerks des gebürtigen Oldenburgers Thomas Schütte.
Das Triptychon ergänzt drei monumentale Plastiken sowie Zeichnungen
späterer Werkphasen des Künstlers im Bestand des Hauses. Als Dauerleihgabe
der Münchener Holler-Stiftung, die sich auch am regulären Etat beteiligt,
hielten zudem eine typografische Wandarbeit aus 440 Adjektiven, die das
verstorbene Stifterehepaar charakterisieren sollen, sowie deren
Doppelbüste, beides von der in Zürich lehrenden deutschen Konzeptkünstlerin
Karin Sander, Einzug ins Haus.
Auf solch Art und Weise gelangten in den letzten fünf Jahren rund 400 neue
Werke in die Sammlung. Oft sind es auch Schenkungen durch Künstler:innen,
Galerien und Sammler:innen. Das Haus könne sich mittlerweile aussuchen, so
Sammlungskurator Holger Broeker, wie es seine Bestände sinnvoll ergänzen
möchte. In dem Kapitel „Erinnerung“ etwa sind es drei Tafeln seiner
Rezeptionskritik an Werk und Person Emil Nolde, die Mischa Kuball dem Haus
übereignete. Sie ergänzen seine kulturgeschichtliche Reflexion „making of
Mnemosyne (after Aby Warburg)“ zum unvollendet gebliebenen Bilderatlas des
legendären Hamburger Kunstwissenschaftlers. Und treffen das Wesen einer
jeden Ausstellung wie der institutionellen Selbstverpflichtung eines
Museums, das Sammeln: ein unvoreingenommen vergleichendes Sehen quer durch
Jahrhunderte und künstlerische Gattungen.
Welten in Bewegung, bis 4. 8., Kunstmuseum Wolfsburg
25 Jun 2024
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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