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# taz.de -- Mehr Stoff als nötig
> Die Kunsthalle Emden widmet der Rolle des Textilen in der Bildenden Kunst
> eine große Ausstellung. Als kuratorisches Prinzip herrscht dabei leider
> das Stopfen vor
Bild: Dada hatte auch eine kuschelige Seite: Sophie Taeuber-Arps Kissen von 192…
Von Jens Fischer
Mit der aktuellen Ausstellung haucht die Kunsthalle Emden einer etwas
angejahrten These neues Leben ein. Die nämlich, dass es irgendwann auch mal
gut sei, mit dem erfahrungsminimierten Starren auf Monitore, Bildschirme,
Displays. Dass die Lust abnehme, auf immer neue digitale Bilderwelten zu
starren – und Malerei wieder angesagt wäre, Skulpturen und Objektkunst
sowie die Sinnlichkeit von Struktur, Material, Farbe des Textilen verstärkt
in den Fokus gerate.
Aufgekommen war diese Annahme 2013. Mit ihr versuchten damals europaweit
mehrere Ausstellungen – im Norden etwa „Kunst & Textil.“ in der Kunsthalle
Wolfsburg – die künstlerische Vernetzung von biegsamen Fäden zu Stoffen aus
der Marginalisierungsecke zu holen. Gezeigt werden sollte, wie aus dem
Schneiderei-Handwerk eine eigenständige Kunstgattung wurde und immer
wichtiger werde. Von einem Boom zu sprechen, ist aber auch heute kaum
möglich. Damit das Thema trotzdem nicht wieder in einer Nische verstaut
wird, zeigt die Kunsthalle Emden „Kunst Stoff“. Mit mehr als 60 Werken wird
hier der Umgang mit dem Textil von den 1920er-Jahren über die
Fiber-Art-Bewegung in den 60ern bis in die Gegenwart verdeutlicht und
gezeigt, wie das soziale im faserigen Gewebe auszumachen und „Textilien als
Träger kultureller Identität“ aktuell vielfältige Verwendung finden.
Hintergründig soll das Phänomen vermittelt werden. Üppig betextet ist daher
die Ausstellung, nachvollziehbar auch die Kernaussage: Die geringe
Wertschätzung der Stoff-Künstler:innen beruhe darauf, dass Flechten, Weben,
Wirken, Knüpfen, Klöppeln, Stricken, Quilten, Häkeln, Verknoten und so fort
als Hobby der Frauen zur wärmenden und schmückenden Verhüllung des Mannes
gesehen oder mit prekärer Frauenarbeit in der Textilindustrie assoziiert
wird. Gerade feministische Geister begehrten gegen die Kopplung der
Handarbeit an Rolle und Geschlecht auf, reklamierten die textile Kunst als
weibliche Erfindung und praktizieren sie innovativ.
Im Foyer wird das zentrale Prinzip der Kreation von Stoffen, das
Netzwerken, zur raumgreifenden Monsterspinnenweberei. Ulrike Kessl tackert
farbenfrohe Nylonstrumpfhosen zu einem 3-D-Geflecht zusammen – wohl als
Bild allgegenwärtiger Vernetzung im analogen und digitalen Raum. Im ersten
Saal macht die Schau weiterhin anspielungsreich Spaß. Da das Leben
sprichwörtlich am seidenen Faden hängt, verknotet Jens Risch in 1.269
Stunden einen 1.000 Meter langen Seidenfaden, bis das Fragile beständig
wurde und nicht mehr reißen kann. Aus einem ähnlichen Impetus heraus
verknüpft Timm Ulrichs eine Sicherheitsnadel mit einem wenige Zentimeter
langen, roten Schnürchen – und notiert dazu symbolschwer und dadaleicht:
„fadenscheinig (ich bin der rote faden, / an dem ich hänge)“.
Als Ausgangspunkt des selbstbewussten Umgangs mit den zu Fäden gewickelten
Fasern feiert Emden die Weberei des Bauhauses (1919–1933). Dorthin wurden
immer wieder Studentinnen abgeschoben, damit Männer in den anderen
Bereichen der Kunstschule möglichst unter sich bleiben konnten. Einerseits
finanzierte die Weberei mit dem Verkauf ihrer Teppiche, Möbelstoffe und
Wandbespannungen das Bauhaus mit, anderseits realisierten die
Betreiberinnen das Credo der Institution, Kunst, Design und handwerkliche
Praxis, das Ästhetische und Funktionale für den Massengebrauch zu vereinen.
Sie arbeiteten also mit der Hand an den Webstühlen und entwickelten
abstrakte Bildkompositionen mit geometrischen Formen aus der Praxis mit
Kette und Schuss, also den linearen Gitterstrukturen längs und quer
verlaufender Fäden des Webens.
So entfaltete sich die angewandte zur freien Kunst. Ausgestellt sind eine
Neuinterpretation des Jacquard-Wandbehangs (1928) der späteren
Weberei-Meisterin Gunta Stölzl, die farbstark mit unterschiedlichen
Webstrukturen und Garnen arbeitete, sowie streng arrangierte Dreiecksmuster
auf einem Fransenteppich von Anni Albers und aus dem Geist des
Konstruktivismus umstrickte Kissen.
Was aus der Initialzündung wurde? Einige Bodenbeläge an den Museumswänden
sähen aus, als wären sie aus dem Ikea-Katalog bestellt worden, ist von
Besucher:innen zu hören. Deren Augen sich aber sofort staunend
vergrößern, wenn Künstler:innen als Maler:innen mit Nadel und Faden
brillieren. Andere streben in die dritte Dimension. Garne ranken dann wie
Luftwurzeln aus Tapisserien oder sind grellbunt zu Objekten
zusammengebunden. Die textile Bildhauerin Magdalena Abakanowicz hängt ein
riesiges, lappig rauweiches Vulva-Wesen auf („Abakan red I“, 1973).
Abwesende Menschen charakterisiert Lenore Tawney mit zart geometrisch
designten Kleidern in Makramee-Anmutung, aber vielleicht sind es auch
Totems.
Cosima von Bonin nutzt die plastischen Dimensionen ausgestopfter
Textilhüllen – und drapiert Daffy Duck als grob genähtes Kuscheltier auf
einem Hocker. Wie in einem SM-Studio scheint er bereit zum Versohlen und
erwartet dafür vielleicht seinen Widersacher (und schwulen Freund?) Bugs
Bunny. Darüber steht auf einer Fahne: „Ich lüge auch und ich bin dein“.
Hochwürdig politisch kommt Christiane Möbius’Arbeit „Römisch“ (1993) d…
Transparent samtrot schimmernde Gaze, Stichwort römisch-katholischer
Würdenträger, ist über Hola-Hoop-Reifen gezogen, Stichwort unschuldige
Kinder. Zum wiederholten Mal zeigt die Kunsthalle auch Annette Streyls
bestrickende Architektur der Macht, so baumelt etwa die gestrickte Zentrale
der Deutschen Bank (1998) höhnisch schlaff von einem Garderobenständer
herab.
Auch Performances sind per Video nachzuerleben, Installationen zu begehen.
Michelangelo Pistoletto kippte 250 Kilogramm Lumpen ins Museum, auf
Spiegeln sieht sich der Betrachtende stets zusammen mit dem Textilmüll.
Diese Konfrontation ist wohl ein klarer Fall von Konsum- und
Fast-Fashion-Kritik. Auf Proteste im Iran geht Farzane Vaziritabar ein. Sie
spannt Objekte des Hijab-Zwangs auf Stickrahmen, als Symbol fürs heimische
Ruhighalten von Frauen, und appliziert darauf Bilder von sich beim
Demonstrieren von Freiheit-Gleichheit-Schwesterlichkeit – eine hübsche
Widerstandsgeste gegen die im Namen des Islam patriarchal praktizierte
Frauenfeindlichkeit.
Aber all das bleibt im Ansatz stecken. Zu viele kuratorische Ideen sind in
zu wenig Rau gestopft worden. Auch, weil ein Drittel der Ausstellungsfläche
mit Sammlungsbeständen des Informel vollgehängt ist: Schön. Hätte eine
umfassende Ausstellung verdient gehabt. Aber in der Minipräsentation wirken
die großen abstrakten Gesten bei Weitem nicht so anregend, wie die
vielfältigen Aspekte, was bei Kunst aus Stoff so alles geht.
Ausstellung: „Kunst Stoff. Textil als Material der Kunst“, Kunsthalle
Emden. Di–Fr, 10–17 Uhr, Sa & So, 11–17 Uhr. Bis 28. 1.
5 Dec 2023
## AUTOREN
Jens Fischer
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