# taz.de -- das wird: „Den Spieß umgedreht“ | |
> Gürsel Yıldırım über die Rolle migrantischer Selbstorganisation beim | |
> Kampf gegen Nazi-Fußballfans – nicht nur in den 80ern | |
Interview Alexander Diehl | |
taz: Herr Yıldırım, wer waren Adrian Maleika, Mehmet Kaymakçı und Ramazan | |
Avcı? | |
Gürsel Yıldırım: Die vielleicht frühesten, bekanntesten Opfer von | |
Nazi-Gewalt aus dem Umfeld des Hamburger SV: Der Bremen-Fan Maleika wurde | |
1982 umgebracht, Kaymakçı und Avcı 1985. | |
Wie war das denn in den 1980ern: HSV-Fan gleich gewaltbereiter Nazi? | |
Ich war in Darmstadt, kam erst 1989 nach Hamburg. Aber ich hatte davon | |
gehört, dass die Nazis in den 80ern die HSV-Szene dominiert hatten – und | |
das setzte sich Anfang der 1990er fort: Damals versuchten | |
HSV-Nazi-Hooligans nach jedem Heimspiel „Jagd auf Ausländer“ zu machen, | |
auch in St. Pauli. Wir, die zweite Generation aus dem Umfeld des | |
„Volkshauses“ im Schanzenviertel, waren bei HSV-Heimspielen alarmiert. Wir | |
haben in St. Pauli auf die Nazis gewartet – und auch mal den Spieß | |
umgedreht. | |
Ein reines HSV-Problem? | |
Nein. Fußballstadien waren nach dem Mauerfall strategisch wichtige Orte für | |
die Nazis, Ausgangspunkte ihrer Aktionen – im Osten und auch im Westen. | |
Selbst beim FC St. Pauli war regelmäßig eine 40-köpfige Nazigruppe im | |
Stadion, die „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ und solc… | |
Parolen riefen. Diese Leute wurden vertrieben, und das von uns selbst | |
organisierten Migrant:innen zusammen mit St.-Pauli-Antifas. Gemeinsam | |
sorgten wir 1991 auch dafür, dass wahrscheinlich als erster Sportklub in | |
Deutschland der FC St. Pauli eine neue Stadionordnung eingeführt hat: Wer | |
rassistische, ausländerfeindliche Parolen ruft, hat hier nichts zu suchen, | |
der wird rausgeschmissen. Das ist ganz klar eine Errungenschaft von | |
migrantischen Kämpfen, die sich auf der Grundlage der Selbstverteidigung | |
gegen die Nazis formierten. So was gab es beim HSV nie. Ich kenne auch | |
keine Migrant:innen, die HSV-Fans waren. | |
Die nun noch mal gezeigte Ausstellung ist ja das Ergebnis der Beschäftigung | |
des Vereins – und seiner Basis – mit der eigenen Geschichte. | |
Man müsste das „Netzwerk Erinnerungsarbeit“ des HSV fragen … | |
… wichtig fürs Zustandekommen der Ausstellung … | |
… wie sie diese Geschichte erzählen. Ich kann von meiner, von unserer Warte | |
aus sagen: Nach den Anschlägen von Mölln und später Solingen hatten die | |
Nazis in den westdeutschen Großstädten kaum noch Räume, sich an | |
öffentlichen Orten zu zeigen – dafür sorgten zornige türkischstämmige und | |
überhaupt „ausländische“ Jugendliche. Die organisierten sich radikal selb… | |
und gingen direkt gegen die Nazis und ihre Strukturen vor. So was fehlt | |
heute. | |
Die Ausstellung ist 2022 im HSV-Museum gezeigt worden. Auch da waren | |
Angehörige Ramazan Avcıs eingeladen: seine Lebenspartnerin Gülüstan Avcı | |
und sein Sohn. | |
Sein Sohn musste dann kurzfristig nach Hause, weil seine hochschwangere | |
Frau dachte, dass sie Wehen bekommt. An seiner Stelle sprach dann Gülüstan | |
bei der Eröffnungszeremonie, auch ich, im Namen der | |
Ramazan-Avcı-Initiative. Bei der Eröffnung selbst war auch alles okay. Was | |
danach passiert ist, fand ich persönlich merkwürdig und problematisch: Der | |
Verein hat die Ausstellungseröffnung damals über ihre Kanäle kommuniziert, | |
aber – lückenhaft! In der Wiedergabe kommen weder Gülüstan noch ich als | |
Redner:innen vor. Und dabei hatten wir mit unserem Auftritt ja in erster | |
Linie mit den Fans kommunizieren wollen: Dass sie in ihren Reihen keine | |
Nazis dulden sollten, das war unser Anliegen. Was wir nicht wollten: als | |
objektivierte Gestalten in einer Vitrine landen. Wir wollten nicht zur | |
Imagepflege des HSV dienen. Uns ging und geht es um einen | |
subjektorientierten Antirassismus. | |
10 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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