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# taz.de -- Auf Kurdisch singen
> Das zweitägige Festival „Female Voice of Kurdistan“ zeigte eine große
> musikalische Bandbreite. Dank des hybriden Formats konnten auch
> Musikerinnen dabei sein, die aus ihren Ländern nicht ausreisen durften
Bild: Sahar Lotfi, die mit Band auftrat, darf ihre Kunst im Iran nicht frei aus…
Von Katharina Granzin
Nach ihren ersten beiden Songs nutzt die iranisch-kurdische Sängerin Sahar
Lotfi die Pause, um das Mikrofon etwas fester zu greifen, das Publikum
freundlich anzulächeln und ihm mitzuteilen, sie freue sich ungemein, hier
zu sein. Und sie sei auch sehr stolz, hier in Berlin mit der traditionellen
Kopfbedeckung ihrer Sippe aufzutreten, aber leider sei es einfach zu heiß.
Und dann wickelt sie das kunstvoll um ihren Kopf gebundene, lange bunte
Tuch ganz unzeremoniell ab. In der Tat erreichen die abendlichen
Temperaturen im Saal der Villa Elisabeth Bereiche, die wünschen lassen,
frau hätte einen Fächer mitgebracht, und die an das Klima in den
Herkunftsländern der beteiligten KünstlerInnen erinnern. – An dieser Stelle
wäre es angebracht, zu schreiben „sie kommen aus vier Ländern“; doch das
geht nicht, denn sie konnten eben nicht alle kommen.
Für das zweitägige Festival „Female Voice of Kurdistan“ haben die Kurator…
Yalda Yazdani und Andreas Rochholl, Leiter der Zeitgenössischen Oper
Berlin, acht kurdische Sängerinnen eingeladen. Sie leben im Irak, in
Syrien, [1][in der Türkei], im Iran, in Deutschland und Österreich. Für die
Künstlerinnen in Syrien und im Irak war eine Ausreise unmöglich, daher
waren Yazdani und Rochholl hingefahren, um vor Ort filmische Porträts der
Sängerinnen zu drehen und ihre Konzerte aufzunehmen. Diese Porträts werden
auf der großen Leinwand gezeigt. Außerdem gibt es an jedem der beiden
Abende je zwei Live-Konzerte.
Die Bandbreite der Musik ist enorm. In allen Fällen ist die folkloristische
musikalische Tradition als Ausgangspunkt erkennbar, doch der Grad der
Entfernung von diesem Ausgangspunkt fällt äußerst unterschiedlich aus. Jene
Sängerinnen, die eher isoliert in Ländern mit politisch katastrophaler Lage
leben, setzen erkennbar großen Stolz darein, die kurdische kulturelle
Tradition mit Leben zu füllen und vor allem in ihrer eigenen Sprache zu
singen, was fast nirgendwo selbstverständlich ist. „In der Schule habe ich
gemerkt, dass es nur erlaubt ist, auf Arabisch zu singen“, erzählt die
Sängerin Jinda Kanjo, die aus dem syrischen Kobane stammt und nun in der
autonomen kurdischen Region im Irak lebt, im Filmporträt. „Aber Kurdisch
ist meine Sprache. Ich will auf Kurdisch singen!“ Und nachdem sie die
Schule auf Arabisch beendet hatte, habe sie das auch konsequent getan. Auch
die Sängerinnen Kawyar Hadi und Wajeda Khero leben im Irak und sind nur per
Video beim Festival dabei, ebenso wie Sidar Ibrahim [2][aus dem syrischen
Rojava]. Wajeda Khero berichtet in ihrem Interview von der Verfolgung der
JesidInnen, die sie als Kind miterleben musste, und von der traumatischen
Flucht aus ihrem Dorf. Für die Künstlerin hat die Musik erkennbar
existenzielle Bedeutung. Im Flüchtlingslager, in dem sie jahrelang lebte,
habe Wajeda viel Musik mit Kindern gemacht, hatte Moderatorin Yalda Yazdani
eingangs erzählt. Im Videoporträt sieht man sie abschließend im Kreise
dieser Kinder stehen. Alle, zum ersten Mal auch Wajeda selbst, lächeln
glücklich in die Kamera. Was für ein Moment.
Unter den Musikerinnen, die in Berlin live auftreten können, ist Sahar
Lotfi, deren Gesang in der Sufi-Tradition verankert ist, die einzige, die
ihre Kunst nicht frei ausüben kann. Im Iran ist öffentlicher Sologesang von
Frauen verboten. Doch Lotfis Auftritt ist so souverän, das Zusammenspiel
mit ihrem virtuosen Ensemble so kongenial eingegroovt, dass es offenbar
auch andere Wege gibt, sich ein hohes professionelles Niveau zu erhalten.
Iranische Musikerinnen würden sich in der Regel mit „private recordings“
behelfen, erklärt Yalda Yazdani auf Nachfrage.
Auch die Sängerin Hani Mojtahedi stammt aus dem Iran, wuchs mit
sufistischem Liedgut auf und studierte klassische persische Musik. Ohne
diese Einflüsse zu verleugnen, hat Mojtehedi, die schon lange in Berlin
lebt, eine sehr eigene, eigenwillige Fusion entwickelt und wechselt
stimmlich eindrucksvoll zwischen Kehlkopf-Vibrato, Rockröhre und lyrischem
Sopran.
Eine andere, jazzigere Art von Fusion hat Sakina Teyna aus Wien
mitgebracht. In ihren Texten – sie erklärt den Inhalt ihrer Musik
zwischendurch auf Deutsch – nimmt sie oft politische Themen auf und
animiert beim letzten Song das Publikum zum Mitskandieren. Mit „Jin – Jiyan
– Azadi!“-Rufen („Frauen – Leben – Freiheit“) klingt der Abend aus.…
effektvoll; und es ist nachvollziehbar, dass Teyna und ihrer fünfköpfigen
Band ein längerer Slot eingeräumt wird als Berfin Aktay aus Istanbul, die
zuvor aufgetreten ist und aus sämtlichen Performerinnen insofern
herausragt, als sie als einzige ganz allein, ohne Ensemble, kommt und nicht
nur wundervoll singt, sondern sich auf einer zweihalsigen Saz auch noch
selbst begleitet. Es wäre sehr wünschenswert gewesen, davon noch mehr zu
hören. Aber in der Villa Elisabeth ist um zehn Uhr immer Schluss, und so
muss die Musik halt manchmal am falschen Ende rationiert werden. [3][Zum
großen Glück gibt es das Internet]. In selbigem werden in den nächsten
Tagen alle Konzerte online gehen und, ebenso wie die filmischen Porträts,
dauerhaft auf Youtube verfügbar sein.
27 Jun 2023
## LINKS
[1] /!5931980&SuchRahmen=Print
[2] /!5929943&SuchRahmen=Print
[3] https://zeitgenoessische-oper.de/FVOK/
## AUTOREN
Katharina Granzin
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