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# taz.de -- Der Kaukasische Teufelskreis
> Im Konflikt mit Aserbaidschan fühlt sich Armenien von seiner Schutzmacht
> Russland alleingelassen. Besonders isoliert sind die Menschen in
> Bergkarabach
Von Barbara Oertel
Sie reden miteinander, immerhin: Am vergangenen Sonntag trafen sich
Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan und der aserbaidschanische
Präsident Ilham Alijew in Brüssel. Bei den Gesprächen, die der Präsident
des Europäischen Rats, Charles Michel, moderierte, ging es um Grenzfragen,
die Wiedereröffnung von Verkehrs- und Wirtschaftsverbindungen sowie die
Freilassung von zwei aserbaidschanischen Soldaten aus armenischer
Gefangenschaft. Im Anschluss bezeichnete Michel den Austausch als „offen
und ergebnisorientiert“.
In der ersten Maiwoche hatten Konsultationen mit den Außenministern der
beiden Südkaukasusrepubliken in Washington stattgefunden. US-Außenminister
Antony Blinken sah ein Friedensabkommen „in Reichweite“. Fast gleichzeitig
ließen Baku und Jerewan jedoch auch wieder die Waffen sprechen, die Bilanz:
fünf Verletzte und ein Toter.
Der Konflikt geht auf den Anfang der 90er Jahre zurück. 1991 erklärte sich
das mehrheitlich von Armenier*innen bewohnte Bergkarabach, zu
Sowjetzeiten ein autonomes Gebiet in Aserbaidschan, für unabhängig. Ein
Krieg (1992 bis 1994) forderte Zehntausende Tote und wurde mit einem
Waffenstillstand beendet. Der fragile Status beinhaltete neben der
Unabhängigkeit Bergkarabachs, die international nie anerkannt wurde, auch
die Besetzung von sieben angrenzenden aserbaidschanischen Provinzen durch
Armenien.
Im Jahr 2020 brach der Krieg erneut mit voller Wucht aus. Am Ende waren 150
tote Zivilist*innen sowie auf armenischer Seite mehr als 2.350, auf
aserbaidschanischer mehr als 2.700 getötete Soldaten zu beklagen. Im Zuge
der 44-tägigen Kämpfe eroberte Baku, unterstützt von der Türkei, nicht nur
die sieben Provinzen, sondern auch Teile von Bergkarabach. Am 10. November
unterzeichneten beide Seiten einen von Moskau vermittelten
Waffenstillstand.
Russland, das sich als Schutzmacht Armeniens versteht, unterhält dort mit
3.000 Soldaten seine einzige Militärbasis im Südkaukasus. Das Abkommen legt
veränderte Grenzziehungen fest und überantwortet die Überwachung des
Waffenstillstands einer 2.000 Mann starken russischen „Friedensmission“. Zu
ihren Aufgaben gehört auch die Kontrolle des Latschin-Korridors – einzige
Verbindungsstraße zwischen Bergkarabach und Armenien.
Die Situation blieb volatil. Am 12. September 2022 nahm Aserbaidschan
Gebiete im Süden Armeniens unter Beschuss (siehe Text links), ein Angriff
auf die territoriale Integrität des Nachbarn. 100 Menschen kamen ums Leben.
Zur Begründung hieß es aus Baku, man habe auf eine Aktion armenischer
Soldaten reagiert, das Grenzgebiet zu verminen, und zudem einem Großangriff
Jerewans zuvorkommen wollen.
Im vergangenen Dezember besetzten sogenannte aserbaidschanische
Öko-Aktivisten den Laschin-Korridor, seither sind die rund 120.000
Bewohner*innen Bergkarabachs von der Außenwelt abgeschnitten, die
humanitäre Lage ist verheerend. Zudem hat Aserbaidschan an der Einfahrt des
Latschin-Korridors einen Kontrollpunkt errichtet – angeblich, um
Waffenlieferungen zu verhindern. Russlands „Friedenstruppen“ greifen nicht
ein. Jerewan fühlt sich im Stich gelassen, genauso wie die Menschen in
Bergkarabach, die prorussisch ticken. Doch das beginne sich zu ändern, so
der Sekretär des armenischen Sicherheitsrates, Armen Grigorjan zu der
russischen Exilzeitung Novaja Gazeta Europe.
Mittlerweile wird in Jerewan die Forderung immer lauter, aus dem von
Russland geführten Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive
Sicherheit (OVKS) auszutreten, dem auch noch Belarus, Kasachstan, Kirgistan
und Tadschikistan angehören. Es geht die Angst um, Baku wollte nicht nur
ganz Bergkarabach unter Kontrolle bringen, sondern auch einen Korridor zu
seiner Exklave Nachitschewan und der Türkei schaffen.
Auf Bitte Armeniens hat die EU im Februar eine zunächst auf zwei Jahre
angelegte Beobachtermission (Euma) in das Grenzgebiet zwischen beiden
Staaten entsandt, um die Situation zu stabilisieren und Vertrauen zu
schaffen. Ob das funktioniert ist offen.
17 May 2023
## AUTOREN
Barbara Oertel
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