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# taz.de -- Die Zeit vernäht in 48 Farben
> Käthe Kruse flickt Vergangenheit und Gegenwart zusammen in ihrer
> Ausstellung „Texte und Töne“ in der Galerie Zwinger
Bild: „Texte und Töne“ von Käthe Kruse in der Galerie Zwinger
Von Katrin Bettina Müller
Donnerbleche. Sie erzeugen scheppernd Theaterdonner. An sie erinnern die
acht Edelstahlbleche, die in der Galerie Zwinger mit Ketten von der Decke
hängen und mit Texten bedruckt sind.
„Schon von fern kündigt sich ein Tornado, ein Wirbelsturm, an. Eine hohe
Windhose rast über das Land, zerstört Häuser und entwurzelt Bäume. Am
gefährlichsten sind die Wirbelstürme Nordamerikas. Der weiße Tod donnert zu
Tal. Mächtige Lawinen knicken Wälder, verschütten Menschen und zertrümmern
Bauernhöfe. Im Gebirge herrscht jedes Jahr zur Zeit der Schneeschmelze
Lawinengefahr.“
Diese Zeilen sind nicht etwa der Gegenwart auf den zerschundenen Leib
geschrieben, sondern stammen aus dem Lied „Naturkatastrophen“ von der Band
„Die Tödliche Doris“, die zwischen 1982 und 1987 das Berliner Feld der
Genialen Dilletanten bereicherte. Zur Band gehörte neben Wolfgang Müller
und Nikolaus Utermöhlen die Künstlerin Käthe Kruse als Sängerin.
Die hat jetzt für ihre Ausstellung „Texte und Töne“ die Liedtexte auf die
Bleche drucken lassen. Und es ist erstaunlich, wie gut sie gealtert sind,
wie oft die Verse ein Echo in aktuellen Entwicklungen finden. Aber wie viel
sie auch von einer Westberliner Zeit transportieren, als sich Punk und
Boheme überschnitten.
Auch die damals liebevoll malträtierten Instrumente finden eine neue Bühne,
eingekleidet in Leder: Wasserkessel und Akkordeon, Gitarre und Geige,
Mikrofon und Trommel, alles sieht befremdlich neu und gedämpft aus. Wie sie
teils von der Decke hängen, das hat etwas ironisch Museales, willkommen in
der Nische Westberlin. Der Lärm, den sie mal machten, ist zu einem
aufgeräumten Bild geworden.
Zeit vermessen, ihr eine Struktur geben, das geschieht in der Musik und das
geschieht auch in den visuellen Werken von Käthe Kruse immer wieder. Sei
es, dass sie Monate nach Farben ordnet oder über Jahre die Schlagworte aus
Zeitungsüberschriften gesammelt und alphabetisch geordnet nachgemalt hat:
Ein Archiv der Erregung war [1][so vor drei Jahren entstanden].
Diesmal spulte sie den Faden der Zeit wörtlich ab, vernähte die 1.000 Meter
langen Fäden einer Garnrolle auf DIN-A4-Blättern zu einer Zeichnung zart
gestrichelter Linien. Nun hängen die 48 Farben, die das Sortiment des
Gütermann Nähgarns umfasst, nebeneinander an einer Wand der Galerie. Der
Purismus und Minimalismus dieser Ästhetik hat etwas Wohltuendes, man atmet
ruhiger davor. Die Farbabstufung ist zwar ein industriell vorgefertigtes
Produkt, doch dann entdeckt man die feinen Nuancen, kleine
Unregelmäßigkeiten im Gefüge der Linien, die eben entstanden, weil die
Näherin Käthe Kruse keine Maschine ist.
„48 Farben“, das ist auch eine Hommage an das Handwerk des Nähens. Sie
komme ja aus einer Schneiderfamilie, erwähnt Käthe Kruse bei einer
Begegnung in ihrer Ausstellung. Das Biografische aber fließt hier so
angenehm unaufgeregt ein wie auch schon bei früheren Projekten der
Künstlerin.
Auf einem der letzten Bilder in Wilhelm Buschs Geschichte von Tobias Knopp
sieht man, wie die Parze ihm den Lebensfaden abschneidet. Irgendwann waren
auch die Garnrollen leer, die Käthe Kruse vernäht hat, und das jeweils
letzte Blatt einer Farbe/eines Fadens ist nur noch zum Teil gefüllt.
Dezenter kann man nicht von der Endlichkeit erzählen.
Bis 10. Juni, Galerie Zwinger
20 Apr 2023
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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