# taz.de -- Not und Hoffnung | |
> Im Dialog mit Maria und Christus: Künstleri:innen aus der Ukraine | |
> arbeiten mit christlichen Motiven in Zeitendes Krieges. Das Bode-Museum | |
> hat die kleinen Werke mit der Ausstellung „Timeless“ in seine Säle geholt | |
Bild: Alisa Lozhkina, Flucht nach Ägypten, 2022, © Alisa Lozhkina | |
Von Katrin Bettina Müller | |
Auf einem Esel reitet Christus zu der Tür, durch die man im Bode-Museum den | |
großen Saal 107 betritt. Die Vergoldungen strahlen an den Altären der | |
Spätgotik aus Deutschland. Ein Märtyrer steckt in einem Kessel, die Hlg. | |
Katharina wird enthauptet. Die christliche Kunst spart nicht an Drama und | |
nicht an Schönheit. | |
Eine der Figuren im Raum ist eine Schutzmantelmadonna von Michel Erhart | |
(1469–1522). Ihr Kleid ist golden, ihr Mantel blau und unter seinen | |
geöffneten Falten stehen und knien betende Frauen und Männer, die um den | |
Schutz der Madonna bitten. | |
Mit dieser Madonna treten nun zwei neuere Kunstwerke aus der Ukraine in den | |
Dialog, beides Digitaldrucke. Von Oleg Gryshchenko stammt die | |
„Schutzmantelmaria der Streitkräfte der Ukraine“. Der Künstler knüpft da… | |
an die Tradition der ukrainischen Kosaken an, die die Muttergottes als | |
Beschützerin vor Feinden ansahen. Im schwarzen Bildgrund fahren helle | |
Linien auf die geschlossene Kontur der Figur zu, prallen an ihr ab und | |
bilden kleine Explosionen. Die zweite Madonna im Schutzmantel von Alla | |
Sorochan, die schon 2015 entstand, gilt der Freiwilligenbewegung, die sich | |
seit 2014 um das Leben von Militärangehörigen kümmert. Der Mantel ist hier | |
aufgelöst in ein Raster, das einerseits an ein Tarnnetz erinnert, aber auch | |
Buchstaben bildet, die auf die Bewegung hinweisen. | |
Die beiden Werke gehören zu einem Projekt, „Timeless. Contemporary | |
Ukrainian Art in Times of War“, das die Kuratoin Olesia Sobkovych initiert | |
hat. Sie ist eigentlich Kuratorin am Nationalen Museum der Geschichte der | |
Ukraine im Zweiten Weltkrieg in Kyjiw. Wegen des Kriegs geflüchtet, konnte | |
sie als Stipendiatin der Ernst von Siemens Kunststifung an das Bode-Museum | |
vermittelt werden, um dort zu arbeiten. Sie hat eine Reihe von ukrainischen | |
Künstler:innen ausgesucht, deren Werke, meist kleine Bilder, jetzt mit | |
den antiken und sakralen Skulpturen des Bode-Museums in Dialog treten. | |
In Zeiten der Not, der Trauer, des Leidens und der durch die russische | |
Invasion bedingten Traumata wird der Bezug auf die christliche Ikonografie | |
für die Künstler:innen der Ukraine ein Instrument, um mit dem Leben im | |
Krieg umzugehen. So vermittelt es Olesia Sobkovych beim Rundgang durch das | |
Museum und in den Texten, die zu den ukrainischen Künstlern ausliegen. Den | |
Mut zu finden, um zu kämpfen, die eigene Furcht zu überwinden und sich | |
selbst mit der Geschichte verbunden zu fühlen: All dem helfen die | |
Kunstwerke auf den Weg. Mit ihnen, so glaubt es Sobkovych, geschieht auch | |
etwas in der Realität: Sie verändern die Perspektive, helfen Hoffnung zu | |
finden. | |
Maryna Solomennykova ist eine Illustratorin aus der Stadt Dnipro. Sie war | |
berührt von der Fotografie einer jungen Frau, die in Kyjiw vor den | |
Angriffen in die Metro geflüchtet war und dort ihr Kind stillte. In ihrer | |
Bearbeitung des Motivs zeigt Solomennykova einen Metroplan hinter der | |
Mutter und umgibt sie mit einer goldenen Aureole, die wie ein | |
Heiligenschein wirkt. Das Bild hat neben einer Grabstele aus dem 4. | |
Jahrhundert seinen Platz gefunden, auf der die Zeichnung einer stillenden | |
Frau in den Stein eingraviert ist. | |
Weitere Motive sind der Verlust der Kindheit, die Flucht, aber auch der Mut | |
des Helden, die im Nebeneinander der Werke des Museums und der ukrainischen | |
Künstler entwickelt werden. Im Museum selbst bezeugen zwei Schildträger von | |
Tullio Lombardo (um 1495) Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Sie sind | |
jetzt als Fragmente ausgestellt, mit Bruchstellen und fehlenden Gliedern, | |
verletzte Steine, die das verletzte Leben ahnen lassen. Neben ihnen ist | |
eine Zeichnung mit weißem Stift auf schwarzem Grund ausgestellt, von Matvei | |
Vaisberg, die schon versehrte und unvollständige Körper zeigt, die dennoch | |
weiter kämpfen. | |
Mit einer einfachen Bildsprache zu arbeiten, die an Bekanntes anknüpft, sei | |
den ukrainischen Künstler:innen ein großes Anliegen, sagt die Kuratorin. | |
Sie weist in dem volkstümlichen Bild „Die Flucht nach Ägypten“ von Alisa | |
Lozhkina auf die Wyschywanka hin, in die das Kind in den Armen der Frau | |
gekleidet ist. Die Stickereien auf der Bluse haben eine lange Tradition, in | |
der sie auch als schützender Talisman gelesen werden. Viele Mütter, die mit | |
ihren Kindern aus der Ukraine geflohen sind, nahmen in dem wenigen Gepäck | |
die Wyschywankas der Kinder mit. | |
Für das Bode-Museum, das in verschiedenen Vermittlungsprojekten immer | |
wieder nach Antworten auf die Frage sucht, was die sakralen Kunstschätze | |
mit uns, mit der Gegenwart zu tun haben, ist das Projekt „Timeless“ ein | |
Beleg, dass die Vertrautheit mit den christlichen Bildern existenziell sein | |
kann. Zudem können sie mit der Ausstellung, die aus dem Krieg kommt, eine | |
Geste der Solidarität mit der Ukraine üben. | |
Doch so sehr das Bedürfnis der ukrainischen Künstler:innen | |
nachzuvollziehen ist, im Bezug auf die christlichen Motive Trost und | |
Hoffnung zu finden, etwas Distanz lässt sich dabei schon vermissen. Denn es | |
wird völlig ausgeblendet, dass diese christliche Bildsprache in vielen | |
Kriegen auch von den Angreifern genutzt wurde. Sie hat in der Geschichte | |
oft Instrumentalisierungen von diktatorischen Systemen erfahren, die ihren | |
imperialen Eroberungsdrang christlich kaschierten, wie etwa in den | |
Kreuzzügen. Diese Seite zu thematisieren, fehlt in der Ausstellung völlig. | |
„Timeless. Contemporary Ukrainian Art in Times of War““, Bode-Museum, | |
Di.–So. 10–18 Uhr | |
27 Mar 2023 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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