# taz.de -- Jetzt steht’s 4:4 | |
> Bei einem Mitgliederforum der SPD in Mitte überwiegen die Gegner einer | |
> Koalition. Nach Voten oder Foren in acht Bezirken ist die Sache | |
> Schwarz-Rot unentschieden | |
Bild: Bei den Jusos ist die Sache klar: „Nein zur Rückschrittskoalition“ m… | |
Von Stefan Alberti | |
Es wäre ein Traum für die SPD: ein ganzer Parlamentssaal voll mit | |
Sozialdemokraten. Doch die Frauen und Männer, die sich am Mittwochabend im | |
Sitzungssaal des Rathauses Tiergarten treffen, stellen nicht die | |
Bezirksverordnetenversammlung von Mitte. Es sind rund 90 Parteimitglieder, | |
die an diesem Abend über den künftigen Kurs der Berliner SPD debattieren | |
wollen. Eineinhalb Stunden, zwei einleitende Werbebotschaften pro und | |
contra Schwarz-Rot und rund eineinhalb Dutzend Redebeiträge später ist | |
festzuhalten: 10:6 gegen ein Bündnis mit der CDU, wobei unter „pro“ auch | |
jene zu fassen sind, die sich noch als unentschieden bezeichnen und auf den | |
Entwurf des Koalitionsvertrags warten wollen. | |
Über den hatte in den vorangegangenen Stunden zum vierten Mal die | |
sogenannte Dachgruppe der Chefverhandler im Abgeordnetenhaus gesprochen. In | |
der sitzen die Partei-Oberen um Kai Wegner (CDU), der bei Schwarz-Rot | |
Regierender Bürgermeister würde, und Noch-Regierungschefin Franziska Giffey | |
(SPD). Teils parallel dazu saß auch die Arbeitsgruppe zum Bereich Bildung | |
zusammen. Im Kern abgeschlossen sind die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, | |
Kultur und Sport. | |
Bis zum 31. März sollen die Verhandlungen gehen, am 3. April soll der | |
Vertragsentwurf vorgestellt werden. Während bei der CDU allein ein | |
Parteitag mit rund 300 Delegierten darüber entscheidet, ob aus dem Entwurf | |
ein gültiger Koalitionsvertrag wird, können bei der SPD alle rund 18.500 | |
Mitglieder des Berliner Landesverbands darüber entscheiden. | |
Vor dem Treffen im Rathaus Tiergarten nahe der belebten Turmstraße waren | |
bereits aus sieben Kreisverbänden Positionierungen bekannt geworden. | |
Dreimal gab es Ablehnung, darunter – wenn auch knapp – in Giffeys | |
Heimatbezirk Neukölln, viermal Zustimmung. Wobei das teils nur hieß, die | |
laufenden Koalitionsverhandlungen gutzuheißen und das Ergebnis abwarten und | |
bewerten zu wollen. | |
Nachdem in Mitte am Mittwochabend mehrheitlich Ablehnung zu hören ist, | |
steht es nach Kreisverbänden gerechnet – von denen es insgesamt zwölf gibt | |
– nun 4:4. Parallel dazu haben sich auch die Jungen und Alten der Partei in | |
ihren jeweiligen Vereinigungen positioniert: Die Jusos sind klar [1][gegen | |
Schwarz-Rot], während die AG 60 plus die Koalitionsverhandlungen | |
befürwortet hat. | |
Die bisherigen Ergebnisse sind für die Mitglieder in den jeweiligen | |
Kreisverbänden nicht bindend, und das Treffen im Rathaus Tiergarten ist ein | |
bloßes Forum ohne Abstimmung. Umso mehr, weil der Saal zwar bis auf den | |
letzten Platz gefüllt ist, die SPD im Bezirk Mitte aber weit über 1.000 | |
Mitglieder hat, also ein Vielfaches der knapp 90 Leute im Saal. Zudem | |
kritisieren nach dem Ende des Treffens Schwarz-Rot-Befürworter, auf der | |
Redeliste hätten noch mehrere Befürworter gestanden, die aber wegen vorher | |
festgelegtem Veranstaltungsende nicht mehr ans Mikro kamen. | |
Und doch ist auch dieser Abend ein Hinweis auf die Meinungslage. Die | |
Argumentationen in den jeweils dreiminütigen Beiträgen ähneln sich im | |
Wesentlichen: Die Befürworter verweisen darauf, was die SPD bisher schon | |
alles in den Verhandlungen erreichen konnte. Der Schöneberger Abgeordnete | |
Michael Biel, bei den Sondierungsverhandlungen mit dabei, stellt das in | |
einem einleitenden „Pro“-Statement dem gegenüber, was [2][mit den Grünen | |
nicht möglich] oder schwierig gewesen sein soll. Dazu zählt er unter | |
anderem die Fortführung des 29-Euro-Tickets. Eine starke rote Handschrift | |
wird der Koalitionsvertrag aus seiner Sicht haben. | |
Für die Gegner im Rathaussaal wiederum ist teilweise ohne Belang, was in | |
jenem Entwurf stehen wird, über den dann alle Mitglieder abstimmen können. | |
Bei ihnen geht es stark um Grundsätzliches, von „Haltung“ ist oft die Rede. | |
„CDU und SPD passen nicht zusammen, und das ist gut so, und wenn sie | |
zueinander passen, sollte uns das Sorgen machen“, ist ein dafür typischer | |
Satz. Und dass Grüne und Linke „natürliche Partner“ der SPD seien. | |
Für ein „Contra“ hat eingangs Franziska Drohsel geworben, die frühere | |
Juso-Bundesvorsitzende und jetzige Vizechefin des SPD-Kreisverbands | |
Steglitz-Zehlendorf, der Schwarz-Rot bereits abgelehnt hat. Sie bezweifelt, | |
dass das wirklich so war mit einer Ablehnung des 29-Euro-Tickets durch die | |
Grünen – was bei einigen im Saal so ankommt, als würde sie Mit-Sondierer | |
Biel vorwerfen, falsch aus den Verhandlungen zu berichten. Mehrfach Thema | |
ist auch die von der CDU ausgelöste Vornamen-Debatte [3][nach den | |
Silvester-Ausschreitungen], von einer „offen rassistischen CDU“ ist die | |
Rede. | |
Gar nicht zu regieren, weder mit den Christdemokraten noch mit Grünen und | |
Linkspartei, ist an diesem Abend in kaum einer Wortmeldung eine reale | |
Option, ganz im Stil des früheren Parteichefs Franz Müntefering, der | |
[4][Opposition schon vor fast 20 Jahren „Mist“ nannte]. Denn, so formuliert | |
es ein Redner im Rathaussaal: „Opposition ist nicht das gelobte Land, aus | |
dem man als Phönix aus der Asche wieder rauskommt.“ | |
24 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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