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# taz.de -- talk of the town: Das Wasser abgegraben
> Die Bundesregierung hat ein neues Gesetz verabschiedet, wodurch die
> Hebammen aus dem Pflegebudget fallen. Das ist für die
> Gesundheitsversorgung ein großes Problem
Bild: Kein Job, den jede beliebige Krankenschwester übernehmen kann: Die Arbei…
Von Clemens Sarholz
Kühe bekommen ihre Jungen auf der Weide. Sie plumpsen auf den Boden, liegen
da, werden abgeschlabbert und fertig. Menschliche Kinder allerdings
plumpsen da nun mal nicht einfach so raus. Das hat mit dem aufrechten Gang
zu tun, und damit, dass sich der Geburtsgang gekrümmt hat und damit, dass
der Kopf zu groß ist. Wenn das ganze Geburtsprozedere vorüber ist, reicht
es auch nicht, das Kind einmal sauber zu machen, warm einzupacken und lieb
zu haben. Es gibt Menschen für diese sensible Lebensphase von Mutter und
Kind. Sie sind nicht nur Handwerker:innen, die das Kind auffangen, sie sind
auch Seelsorger:innen und Gesundheitsexpert:innen und nennen sich
Hebammen.
Nun hat die Bundesregierung aber ein neues Gesetz verabschiedet. Es nennt
sich „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung“ und soll den Mist aufräumen, den die vergangene
Regierung hinterlassen hat: Ein Defizit von 17 Milliarden Euro bei den
gesetzlichen Krankenkassen. Es ist löblich, dass die Bundesregierung
versucht, den Beitrags- und Steuerzahler zu schonen. Die Beitragserhöhung
beträgt gerade mal 0,3 Prozent. Dass sie mit dem Gesetz aber Hebammen das
Wasser abgräbt, ist ein Problem. Das Gesetz sieht vor, dass die
„bettenführenden Stationen“, darunter auch Wochenbettstationen, fast
ausschließlich von „qualifiziertem Pflegepersonal“ betreut werden.
Hebammen aber gelten nicht als qualifiziertes Pflegepersonal. Dadurch
fallen sie aus dem Pflegebudget heraus, das sie bisher mitfinanziert hat.
Was Hebammen von staatlicher Seite bekommen, reicht vorne und hinten nicht.
Damit schiebt man den Geschäftsführern von Kliniken recht clever die
Verantwortung zu. Die müssen nämlich jetzt kreativ werden und zusehen, wie
sie den Rest finanzieren. Oder Hebammen entlassen. Der Hebammenverband
warnt: Das Gesetz habe „katastrophale Auswirkungen auf die klinische
Geburtshilfe“, Protest kommt nun auch von der FDP. Wochenbett heißt nämlich
leider nicht, dass man mit den Babys schmust, sie wiegt, den Müttern die
Hand hält und sich über das neue Leben freut. Sie sind hochspezialisiert
und sensibilisiert, zum Beispiel bei Stillproblemen. Damit kennt sich eine
normale Krankenschwester nicht aus.
Natürlich können das auch Krankenpfleger:innen mit der entsprechenden
Zusatzausbildung. Nur werden die auf allen anderen Stationen gebraucht. Es
ist ja nicht so, als gäbe es keinen Pfleger:innenmangel. Und das wird sich
auch nicht ändern. Derzeit gibt es 4,1 Millionen pflegebedürftige Menschen
in Deutschland, im Jahr 2030 sollen es bereits rund 6 Millionen sein. Es
ist prognostiziert, dass es immer weniger Pfleger:innen gibt. Die
Ökonomisierung der Gesundheitsbranche schreitet voran.
Das lässt sich hervorragend in den Kreißsälen sehen. Mit guten, gesunden
Geburten kann man keine Profite schlagen. Das ist ein Grund, warum in
Deutschland die Kaiserschnittraten sehr hoch sind. Laut WHO sei eine
Kaiserschnittrate von bis zu 10 Prozent medizinisch notwendig. In
Deutschland liegt sie bei etwa 30 Prozent. Ein weiteres Problem: In der
Ausbildungsverordnung der Hebammen heißt es, dass eine Ausbildungsstation
die Wochenbettstation sein muss. Und sie müssen von ausgebildeten Hebammen
die Praxisanleitung erfahren. Wenn aber keine Hebammen mehr da sind, können
auch keine ausgebildet werden. Nun wurde eine Petition gestartet, die
fordert, dass Hebammen wie bisher Teil des Pflegebudgets sein sollen. Nach
vier Tagen hat die Petition 1.150.000 Unterschriften gesammelt. Viele
Menschen wollen offensichtlich eine gute Betreuung im Wochenbett. Und zwar
von Hebammen.
9 Nov 2022
## AUTOREN
Clemens Sarholz
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