| # taz.de -- Im All gibt’s noch für alle Zukunft | |
| > Von Hamburg aus ist es bald möglich, die Erde zu verlassen um im Weltraum | |
| > einen Neustart zu wagen – mit dem Theater-Game „Generation One“ und dank | |
| > Prinzip Gonzo | |
| Bild: Die Begegnung mit Außerirdischen ist auf 2.000 Lichtjahren Strecke unumg… | |
| Von Katrin Ullmann | |
| Das war’s also! Die Erde ist nicht mehr zu retten. Und ein (Über-)Leben auf | |
| diesem Planeten unmöglich. Die Wälder sind abgeholzt, die Meere überfischt, | |
| die Arten ausgestorben. Die Luft ist verpestet, das Wasser vergiftet, die | |
| Ressourcen sind aufgebraucht. Und nun? Was, wenn die Menschen – oder | |
| zumindest einige von ihnen – eine neue Chance bekämen? Einen Neuanfang | |
| wagen könnten auf einem anderen Planeten? Wie wär’s mit einer Umsiedelung | |
| nach irgendwo da draußen im All, ein paar Lichtjahre entfernt? | |
| In Hamburg ist das ab dem 1. Oktober möglich. Ein galaktisches Leben auf | |
| Probe, also eine Illusion davon. Zumindest für ein paar Stunden. Im Jungen | |
| Schauspielhaus am Wiesendamm. Dort lädt das Theaterkollektiv „Prinzip | |
| Gonzo“ die Zuschauer*innen zu einer Weltraummission ein – in einem | |
| interaktiven Theater-Game „Generation One“. | |
| In Kooperation mit der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater | |
| Hamburg und dem inklusiven Ensemble „Meine Damen und Herren“ werden die | |
| drei Bühnen sowie das Foyer am Wiesendamm bespielt. Dann wird das | |
| Theaterhaus zum Weltraumbahnhof, der Zuschauerraum zum Spaceshuttle, das | |
| Publikum zur Besatzung und die Träume von einer besseren Welt werden | |
| Wirklichkeit, Theaterwirklichkeit. | |
| Als „Generation One“ sind die Zuschauer*innen eingeladen, einen fremden, | |
| angeblich besonders lebenswerten Planeten zu besiedeln. Drei Raumschiffe | |
| stehen für die Reise dorthin bereit und eine Menge Personal, das von einer | |
| gewissen „Notfall-Agentur für Space Exile“ mit der Mission beauftragt | |
| wurde. So wirklich vertrauenswürdig sind sie allerdings nicht, die | |
| Mitarbeiter*innen und Pilot*innen dieser Agentur. In zitronengelbe | |
| Regenjacken und halbhohe Gummistiefel gepackt, wirken sie verdammt planlos | |
| und ermutigen sich regelmäßig selbst mit ihrem zaghaften Mantra „Nase zu | |
| und durch – wird schon schnief gehen“. | |
| Von Technik haben sie keinen Schimmer und vor lauter Reisefieber erst | |
| einmal Migräne. Aber die Reise ins All scheint nun mal der allerletzte | |
| Ausweg für die Menschheit zu sein, und der neue Heimatplanet „Alseira“ – | |
| ein Himmelskörper mit unschlagbarer Luft- und Wasserqualität, endlosen | |
| Ressourcen und gerade einmal 2.000 Lichtjahre entfernt – einfach zu | |
| verlockend. | |
| Dass auf der Reise nach „Alseira“ dann so einiges schief gehen wird – | |
| Motorschaden, Notlandung, Begegnung mit Außerirdischen – ist Teil des | |
| Spiels. Genauso wie das Publikum. Denn dieses ist, nach ein paar | |
| fahrlässigen Sicherheitseinweisungen, für das Gelingen der Mission mit | |
| verantwortlich. Beim Start ins All etwa muss es mit eigener Sprungkraft für | |
| den ausreichenden Raumschiff-Antrieb sorgen, im Notfall an Stuhllehnen | |
| rüttelnd Ruhe bewahren und gelegentlich in schrillen Frequenzen gegen | |
| angreifende Weltraumwurmwürste ansingen. Und ja, das Publikum darf und soll | |
| auch Visionen und Vorstellungen äußern: von seinem Wunschleben auf dem | |
| Wunschplaneten. Mit sauberer Luft, jeder Menge Freizeitparks und | |
| gigantischen Schoko-Brunnen. | |
| Ist Science-Fiction das Mittel der Wahl, um die Realität zu beschreiben? | |
| „Es ist in dem Moment, in dem wir uns gerade befinden, ein sehr lohnendes | |
| Genre, um die Gegenwart zu beschreiben“, sagt David Czesienski von „Prinzip | |
| Gonzo“. Eigentlich sei es eine interdisziplinäre Möglichkeitsmaschine, die | |
| Wissenschaft und Literatur zusammenbringen. „Es geht darin ja auch immer um | |
| die Erde, mit der wir zu tun haben“, so Czesinski. „Wir reisen woanders hin | |
| und probieren dort, eine neue Gesellschaft aufzubauen und das hat natürlich | |
| viel zu tun mit dem, was wir hier eigentlich gerade machen“, resümiert er. | |
| Außerdem habe man so die Möglichkeit, Behauptungen aufzustellen, ohne die | |
| ganze Zeit tief den Ernst der Lage schildern zu müssen, ohne den | |
| Zeigefinger auszupacken, und ohne sich zu sehr in wissenschaftlichen, für | |
| Kinder eher unzugänglichen Details zu verlieren. | |
| Schließlich ist es das erste Mal, dass das Berliner Kollektiv – bestehend | |
| aus Alida Breitag, David Czesienski, Robert Hartmann, Holle Münster, Tim | |
| Tonndorf – einen Theaterabend für die Zielgruppe 10+ entwickelt: „Eine | |
| schöne Herausforderung“, sagen sie. 2010 gegründet, arbeiten die | |
| Theatermacher*innen in wechselnden Konstellationen, sowohl in der | |
| Freien Szene als auch an Stadttheatern. Sie verstehen sich als „kollektives | |
| Denkwerk“ und versuchen in ihren Arbeiten, das kann man auf ihrer Website | |
| nachlesen, „theatrale Umgebungen oder Spielräume“ zu schaffen, „den | |
| Besucher*Innen individuell einzigartige Erlebnisse“ zu versprechen. | |
| Was heißt: Mitspielen ist nicht nur erlaubt, erwünscht, sondern erfordert. | |
| Schließlich bestehe das Haupterlebnis „in der Kommunikation, mit den | |
| Menschen, mit denen ich den Abend erlebe“, findet Czesineski. Eine | |
| Kommunikation so ernst wie spielerisch, so schwerelos wie abgründig, so | |
| humorvoll wie intergalaktisch. | |
| Junges Schauspielhaus Hamburg, „Generation One“, v. Prinzip Gonzo mit der | |
| Theaterakademie der HfMT und Meine Damen und Herren, 1.+2. 10., 15 Uhr, | |
| 5.-7. 10., 10 Uhr, Große Bühne Wiesendamm | |
| 27 Sep 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |