# taz.de -- … und dann standen sie plötzlich im Nationalteam | |
> Marie-Antoinette Katoto, Griedge Mbock Bathy oder Aïssatou Tounkara: In | |
> der Auswahl des französischen Fußballverbands stehen viele People of | |
> Color. Wie kam’s dazu? | |
Bild: Bunte Traube: Spielerinnen von „Les Bleus“ bejubeln ein Tor | |
Aus ManchesterAlina Schwermer | |
Das letzte Spiel des französischen Nationalteams vor dieser EM, ein | |
ungefährdeter 7:0-Testspielsieg gegen Vietnam,dürfte aus sportlichen | |
Gründen wenig interessant gewesen sein. Ein Blick auf die | |
Torschützinnenliste aber offenbart die stille Revolution des vergangenen | |
Jahrzehnts. Delphine Cascarino, zweimal Kadidiatou Diani, | |
Marie-Antoinette Katoto, Griedge Mbock Bathy, Aïssatou Tounkara: Die | |
Treffer erzielten fast ausschließlich Spielerinnen of color. Mittlerweile | |
ist das keine Ausnahme mehr. In der Startelf gegen Italien am Sonntag | |
könnten acht von elf Spielerinnen of color stehen, einige dazu noch aus | |
Arbeitervierteln, einige wie Kapitänin Wendie Renard außerhalb des | |
Kernlands geboren. | |
Es war dies stets ein großer Selbstwiderspruch in jenem Land, das einen so | |
fortwährenden Rechtsruck wie wenige andere in Westeuropa erlebt, wo | |
Islamophobie und postkoloniale wie elitäre Verachtung der Banlieue ein | |
unappetitliches Gebräu ergeben. Black-Blanc-Beur wird hier abgefeiert und | |
verdammt, und gerade die Außenbezirke von Paris sind dennoch und deshalb | |
ein unglaublich fruchtbarer Boden für Talente. Bei den Männern hat Paris | |
seit 2002 sechzig Spieler und Trainer zu Weltmeisterschaften geschickt, | |
mehr als jede andere Stadt der Welt. Noch ungewöhnlicher aber ist die | |
Abbildung der Gesamtgesellschaft bei den Frauen. Denn der Fußball der | |
Frauen bleibt meist auffällig homogen. In Bezug auf soziale Klasse lässt | |
sich das schwer statistisch überprüfen, wohl aber in Bezug auf Hautfarbe: | |
Nicht nur das deutsche Team ist sehr weiß, das gilt für eigentlich alle | |
Teams außer dem Frankreichs bei dieser EM. Was machen die Französinnen | |
anders? | |
„In Frankreich gibt es eine große Tradition der Demokratisierung des | |
Sports“, erklärt Seghir Lazri. Der Journalist der linksliberalen | |
Tageszeitung Libération beschäftigt sich viel mit | |
gesellschaftlich-politischen Aspekten des Sports. Lange Zeit sei der | |
französische Frauenfußball wie fast überall in Westeuropa gewesen: | |
bürgerlich und weiß. Erst Anfang der 2000er Jahre begann sich das langsam | |
zu ändern. „Frauenfußball war lange Zeit ein Amateursport. Da war es sehr | |
schwierig für gesellschaftlich verletzliche Gruppen, sich diesen Sport zu | |
erlauben. Die Professionalisierung hat mehr Integration möglich gemacht.“ | |
Diese Entwicklung ist universal – traf aber auf eine spezifische | |
französische Sportkultur. In den achtziger Jahren, so Lazri, begann der | |
französische Staat, eine soziale Sportpolitik vor allem an junge Männer in | |
den Arbeitervierteln zu richten. Freilich nicht nur aus hehren Motiven, | |
sondern auch um die Banlieue zu befrieden. „In Deutschland gibt es viele | |
Vereine, aber die Teilhabe ist eher privilegiert. In Frankreich ist die | |
Teilhabe am Sport demokratischer, das hat auch mit Infrastruktur zu tun. Es | |
geht nicht darum, eine zu finden, die schwarze Haut oder eine | |
maghrebinische Herkunft hat, sondern man geht in die Viertel und bietet | |
dort Sport an. Die Priorität liegt nicht bei Integration von | |
Minderheiten, sondern bei sozialer Integration.“ Ein weiterer | |
begünstigender Faktor: Das französische Geburtsortsrecht, das es | |
Migrant:innen, die in Frankreich geboren wurden, leicht macht, Französin zu | |
sein. | |
Von dem sozioökonomischen Ansatz in der Sportpolitik profitierten verspätet | |
auch die Frauen. Die vielen Bolzplätze auch in prekären Bezirken, | |
City-Stades genannt, sind frei zugänglich. Zu den Olympischen Spielen in | |
Paris wurde ein Budget von 200 Millionen Euro angekündigt, um unter anderem | |
1.000 neue City-Stades bauen zu lassen. Sie sind mehr als nur | |
Fußballplätze, sondern Orte des Austauschs, wo über Probleme gesprochen | |
wird, eine Selbstermächtigung. Freilich Orte, an denen lange Zeit kaum | |
Frauen auftauchten. Aber es gibt Organisationen, die das ändern. Wie Les | |
Enfants de la Goutte d’Or (EGDO), schon 1978 gegründet, aus dem Pariser | |
Viertel Goutte d’Or, das einen Einwandereranteil von 50 Prozent hat und | |
eines der ärmsten Viertel der Hauptstadt ist. Bei EGDO, wo Sport nur ein | |
Teilbereich der sozialen Arbeit ist, sind die Fußballerinnen das sportliche | |
Aushängeschild. | |
„Unser Vorteil sind sehr gute Verbindungen zu den Familien“, erklärt | |
Sportkoordinator Nasser Hamici. „Die Familien sind unsere ersten Partner.“ | |
Als Hamici und Kolleg:innen sahen, dass die Mädchen nicht von sich aus | |
kamen, gingen sie mit den Familien in die Diskussion. Die | |
Überzeugungsarbeit lohnte sich. Einmal pro Woche blockt EGDO außerdem den | |
lokalen Bolzplatz für Mädchen. „Um Gewohnheiten und Mentalitäten zu änder… | |
damit das auch ihr Ort wird.“ Mittlerweile sind die EGDO-Mädchen sehr | |
erfolgreich. Diversität werde im französischen Sport als Pluspunkt gesehen. | |
„Amateurklubs wie wir werden vom Verband mit Preisen ausgezeichnet. Wir | |
bekommen auch viel Unterstützung von der Stadt. Aktuell entwickeln wir mit | |
der Stadt Paris ein Projekt, in dem es darum geht, Frauenfußball im | |
öffentlichen Raum zu ermutigen, die Frauen sichtbar zu machen.“ | |
Voll des Lobs ist Hamici über die verbindende Kraft des Sports und die | |
Unterstützung für seine Organisation. Auf die Durchlässigkeit im Fußball, | |
glaubt er, habe der Rechtsruck bisher keinen Einfluss gehabt. Was | |
vielleicht nicht ganz stimmt: Frankreich verbietet in offiziellen Spielen | |
beispielsweise weiterhin den Hidschab, im Gegensatz zur Fifa, ein sehr | |
direkter Ausschluss. Gerade die rassistische Härte der Debatte sorgt aber | |
auch für mehr Widerstand als anderswo. Etwa durch „Les Hijabeuses“, ein | |
Kollektiv vor allem migrantischer Fußballerinnen, die gegen das | |
Hidschabverbot protestieren. Auch EGDO ist kampfbereit. „Was sie im | |
Fernsehen zeigen, ist nicht die Wahrheit. Wir wohnen in den Vierteln, wir | |
kennen die Wahrheit. Wir werden in diesem politischen Klima versuchen, noch | |
sichtbarer zu sein.“ Die Vorbilder stehen am Sonntag gegen Italien auf dem | |
Rasen. Hamici und Kolleg:innen werden mit den Mädchen das Spiel schauen. | |
9 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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