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# taz.de -- Wiener Schmäh im Berghain
> Der Austropop-Künstler Voodoo Jürgens trat am Montagabend mit seiner Band
> auf. Er brachte Witz, Schmutz und Wiener Style in die Kantine am Berghain
Von Ruth Lang Fuentes
Die komplette Wiener-Expat-Szene scheint sich an diesem Montagabend
versammelt zu haben: vor der Bühne der Berghain-Kantine. Der Stil ist heute
etwas bunter und hemdiger und schicker, als man ihn sonst vom Berghain
kennt. „Wir hatten wenig Werbung gemacht“, sagt der Veranstalter und
dennoch füllt das Publikum hier den Raum bis fast ganz hinten, um ihn zu
hören: Voodoo Jürgens.
Seit dem Release seines ersten Solo-Albums „Ansa Woar“ 2016 ist allen klar:
[1][Voodoo Jürgens’Austropop-Liedermacherei und sein schwarzer Humor in den
Texten sind wirklich Einserw]are. Und nun steht er hier, um es auch live
zu beweisen. Nimmt mit seiner fünfköpfigen Band die komplette Bühne ein –
Geige, Keyboard, Drums, Tuba, ein Kontrabass in der Ecke, der der
Aufstellung mit dem Bühnenvorhang im Hintergrund einen gewissen
20er-Jazzlokal-Vibe verleiht.
Dabei ist Voodoos Stil klar 70er: silberne Kette um den Hals, braunes Hemd
mit spitzem Kragen, halblange braune Haare. Er nimmt noch einen Schluck
Bier und die Band stimmt an. Der Geiger fiedelt ununterbrochen. Drums und
Kontrabass – ein ausdauerndes, unerschütterliches Rückgrat. Und der
Liedermacher singt, spricht, grölt fast schon seine Lieder. Sein Name hält,
was er verspricht. Witz, Schmutz, Wiener Style. Schon nach dem ersten Song
hängen nicht nur ihm, sondern allen die Haare klitschnass ins Gesicht. Weil
es heiß ist, weil direkt getanzt wird.
Dann hängt er sich seine mit Antifa und anderen linken Stickern
vollgeklebte Akustik-Gitarre um. Und die sieht aus, als hätte sie all das
wirklich erlebt, was jetzt folgt: „3 Gschicht’n aus’n Café Fesch“. Wie…
Schmäh at it’s best. Es geht um das echte Leben, um Abgründe, Glücksspiel,
Alkohol und Huren, die Einbeinigen auf dem Schoß sitzen. Ein vertontes
Bukowski-Gedicht. „Er schaut den Leuten in die Wohnung, in ihr Leben hinter
den zugezogenen Vorhängen“, behauptet ein begeisterter Zuhörer.
Ein „Hallodri“ wird Voodoo Jürgens genannt – ein leichtfüßiger, locker…
und bisweilen durch seine Unbeständigkeit unberechenbarer Mensch. Er singt
makaber, rough, aber mit Humor. Und vor allem feiert die Band sich selbst.
Viel Interaktion zwischen Sänger und Publikum gibt es nicht und dennoch
überträgt sich die gute Stimmung, der Spaß der Musiker auf die Crowd. Und
die feiert die Österreicher-Musiker richtig ab. Versteht und kennt die
Texte, lacht, singt den Refrain mit oder bewegt sich mit im Takt. Je
nachdem, ob der akustische Klang der Gitarre nach Spelunke, nach Shanty,
nach Polka, nach Ska klingt oder sich auch mal Mariachi-Sounds
untermischen. Schmutzig klingt es jedenfalls immer. Eingängig, aber nicht
eintönig. Lächerlich nie, selbst wenn von einem „Kebapstanderl“ gesungen
wird. Ein Trompeten-Solo durchdringt den Raum. Dann trifft eine:n wieder
die harte, fast hypnotisierende Melancholie einer Ballade. Und irgendwann
ist der Text auch gar nicht mehr so relevant. Spätestens bei „Heite grob ma
Tote aus“ geht es nur noch um die Musik. Der Rhythmus der Drums, die
stabilen, aber treibenden Tiefen der Tuba im Hintergrund und die eingängige
Melodie ergreifen wirklich jede:n. Und das Publikum und Voodoo Jürgens
tanzen, als wären sie nicht in der Berghain-Kantine, sondern in der
ranzigsten, verrauchtesten Kneipe Wiens.
Schweiß tropft den Musikern von der Stirn, als sie nach zwei Zugaben doch
die Bühne verlassen. Kurz ist man irritiert, beim Rausgehen sich im Berlin
des 21. Jahrhunderts wiederzufinden. Und nicht in einer verruchten
Seitengasse im Wien der 70er.
30 Jun 2022
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## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
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