# taz.de -- Ein kleines Buch und eine große Tat | |
> Die Mies-Map verzeichnet 44 Projekte, die der Architekt Ludwig Mies van | |
> der Rohe für Berlin geplant hat | |
Bild: Das 1926 errichtete Revolutionsdenkmal von Mies van der Rohe, 1935 von de… | |
Von Brigitte Werneburg | |
Berlin könnte ein Freilichtmuseum von Bauten Ludwig Mies van der Rohes | |
sein. So schaut es beim ersten Durchblättern des kleinen Taschenbuchs „Mies | |
in Berlin & Potsdam“ aus. Immerhin listet die Mies-Map 44 Gebäude des | |
Architekten in Berlin auf. Tatsächlich ist die Stadt aber alles andere als | |
dieses Freilichtmuseum. Das genaue Studium der Liste zeigt, dass über ein | |
Drittel der Gebäude nur geplant, aber nie realisiert wurde. Ein knappes | |
Drittel wurde im Krieg zerstört oder zuvor beziehungsweise danach | |
abgerissen. Messegestaltungen und Wohnungseinrichtungen, oft in | |
Zusammenarbeit mit Lilly Reich entstanden, sind verloren gegangen. | |
Über 30 Jahre lang hat Mies van der Rohe in Berlin gearbeitet und gelebt, | |
1905 begann er sein Berufsleben als Ornamentzeichner im Bauamt Rixdorf, | |
1938 emigrierte der Direktor des Bauhauses in die USA, wo er ungehindert | |
bauen und mit ikonischen Werken wie etwa dem Farnsworth House in der Nähe | |
der Stadt Plano, Illinois, weiteren Ruhm verbuchen konnte. Aus den dreißg | |
Berliner Jahren sind am Ende nur das letzte Haus vor seinem Weggang aus | |
Deutschland für den Druckereibesitzer Karl Lemke bekannt und der Bau, mit | |
dem er wieder nach Berlin zurückkam, der modernistische Kunsttempel der | |
Neuen Nationalgalerie. Nicht zuletzt, weil beide Gebäude öffentlich | |
zugänglich sind. | |
Deshalb ist das kleine Büchlein, das vom Mies van der Rohe Haus Berlin, dem | |
Nachfolger jenes Landhauses Lemke, konzipiert wurde, auch eine große Tat. | |
Macht es doch deutlich: Es gibt noch vieles zu entdecken. Sein | |
Erstlingswerk entwarf der 21-Jährige für Sofie und Alois Riehl in Potsdam. | |
Der Entwurf für den Philosophieprofessor, der bis heute als privates, | |
öffentlich nicht zugängliches Wohnhaus existiert, schaut noch ganz | |
traditionell aus und fällt nur durch den mit Bedacht gestalteten Garten | |
auf. Schon das zweite Haus aber wirkt dezidiert modern, ein schlichter | |
Kubus für den Juristen, Kunsthändler und Autor Hugo Perls, der den | |
Schinkel-Pavillon im Charlottenburger Schloss zitiert. Heute ist das Haus | |
Teil der Parzival-Schule mit einem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt. | |
Doch zu diesen Entdeckungen gehören unbedingt viele der nicht realisierten | |
Projekte. In einem nicht realisierten Landhaus aus Backstein in Potsdam von | |
1924 mag man schon das spätere Landhaus Lemke erkennen. | |
1939 wurde im Zuge von Albert Speers Umgestaltung der Hauptstadt das Haus | |
in Schöneberg abgerissen, in dem Mies bis 1938 mit seiner Familie 200 | |
Quadratmetern bewohnte hatte, die er mit chinesischen Reismatten und selbst | |
entworfenen Möbeln ausgestattet hatte. | |
Utopisch stromlinienförmig mutet der nicht realisierte Verkehrsturm von | |
1924 an der Ecke Friedrichstraße und Leipziger Straße an. Lange in der | |
Mies-Forschung nicht beachtet, hat der Architekturhistoriker und Fotograf | |
Carsten Krohn ihn wie viele andere Pläne und Fotografien der frühen | |
Berliner Jahre recherchiert und für die Mies-Map aufbereitet. | |
Zugänglich ist Mies’ erstes Grabmal 1919 für die Mutter von Hugo Perls auf | |
dem Jüdischen Friedhof in Weißensee, eine kleine aus Steinblöcken | |
errichtete Mauer. Sofort erinnert man das Bild des 1935 von den Nazis | |
zerstörten Revolutionsdenkmals auf dem Zentralfriedhof. Der Mauerblock aus | |
Ziegelsteinen, von Mies entworfen, erinnerte seit 1926 an die ermordeten | |
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. | |
Für seine Rekonstruktion setzt sich Wita Noack, die Direktorin des Mies van | |
der Rohe Hauses in Hohenschönhausen, schon seit Jahren ein. Doch wie auch | |
anders: Berlin plädierte für die Restauration, nicht die Revolution, für | |
das Schloss, nicht das Denkmal. Man sollte Wita Noack helfen, das ein wenig | |
zu ändern. Es wäre eine weitere große Tat. | |
„Mies in Berlin & Potsdam“: Hrsg. von Wita Noack und Ingolf Kern. Recherche | |
Texte, Zeichnungen und Fotos von Carsten Krohn. 128 Seiten, Form + Zweck | |
Verlag, 20 Euro | |
23 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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