Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brandstifter sollen sich nicht sicher fühlen
> 1996 starben in Lübeck zehn Geflüchtete beim Brand ihrer Unterkunft. Nach
> einer Festnahme nach 30 Jahren in einem ähnlichen Fall werden neue
> Ermittlungen gefordert
Bild: Der Morgen danach: Der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße ist no…
Von Friederike Grabitz
Über einem erstaunlichen Ermittlungserfolg machten Anfang April diesen
Jahres Berichte bundesweit die Runde: In Saarlouis wurde ein Mann
festgenommen, dem ein rassistisch motivierter Brandanschlag auf ein
Asylbewerberheim in der saarländischen Stadt vorgeworfen wird. Er soll
dabei einen Mann getötet und drei Menschen verletzt haben. Das Besondere:
[1][Der Anschlag] fand vor mehr als 30 Jahren statt. Das sorgt nun auch in
Lübeck für Aufsehen, denn dort fand zur selben Zeit auch ein Brandanschlag
statt, der bislang nicht aufgeklärt ist. Lübecks ehemaliger Bürgermeister
Michael Bouteiller setzt die Ermittlungsbehörden deshalb unter Druck.
Ein Generalbundesanwalt hatte zuvor zur Überraschung vieler in Saarlouis
die Ermittlungen wieder aufgenommen. Der Fall zeigt, dass ein solches
Verbrechen auch nach Jahrzehnten noch aufgeklärt werden kann. Der Fall
erinnert an den Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in der
Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996. Damals starben zehn Menschen in
den Flammen, darunter drei Kinder. 38 der 48 Bewohner wurden verletzt. Es
handelt sich um einen der schlimmsten nicht aufgeklärten Brandanschläge in
der Geschichte der Bundesrepublik.
Obwohl viele Spuren auf vier Neonazis als Täter hinweisen, die auch am
Tatort den Brand beobachtet hatten, sind bis heute keine Täter ermittelt.
Stattdessen fiel der Verdacht auf einen libanesischen Bewohner, der nach
der Aussage eines Rettungssanitäters gesagt haben soll: „Wir haben das
getan.“ Er wurde verhaftet, dann aber 1997 und erneut 1999 freigesprochen.
In der Brandnacht waren die vier Neonazis aus dem benachbarten Mecklenburg
nach Lübeck gekommen. Sie standen vor ihrem Wartburg und beobachteten den
Brand des Asylbewerberheims von der anderen Straßenseite aus. Sie wurden
von der Polizei mitgenommen. Auf der Wache fiel auf, dass sie frisch
angesengte Haare und Augenbrauen hatten – und unterschiedliche,
widersprüchliche Geschichten erzählten, wo sie sich zum Tatzeitpunkt
aufgehalten hätten.
Trotzdem kamen sie wieder frei. Der damals verantwortliche Staatsanwalt
Heinrich Wille sagt dazu in einer Fernsehreportage aus dem Jahr 2016: „Auch
wenn sie gelogen haben – nicht jeder Lügner ist ein Mörder. Ich kann mich
doch nicht lächerlich machen und sagen: Jeder, der angekokelte Augenbrauen
hat, ist ein Mörder, das ist doch absurd.“
1998 saß einer der Verdächtigen wegen anderer Straftaten in der Haftanstalt
Neustrelitz ein. Dort bat er seinen Abteilungsleiter um ein Gespräch, in
dem er ein umfassendes Geständnis ablegte. Er schilderte ihm, dass er und
seine drei Freunde den Brandanschlag in der Hafenstraße verübt hätten, und
unterschrieb ein fünfseitiges Protokoll darüber. Doch die daraufhin
alarmierte Staatsanwaltschaft redete ihm das Geständnis aus, bis er es
widerrief, erzählt der Gefängnisleiter. Später gestand einer der vier
Neonazis zudem gegenüber einem Journalisten, das Feuer gelegt zu haben.
Trotzdem: Gegen andere Personen als den libanesischen Verdächtigen „haben
sich die Ermittlungen nicht zu dem hinreichenden Tatverdacht verdichten
können“, sagt der Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft, Christian
Braunwarth, der taz. „Derzeit liegen keine neuen Tatsachen vor, die die
Staatsanwaltschaft Lübeck zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen
veranlassen würden.“
Wieder in dem Fall zu ermitteln – das fordert die Initiative „Hafenstraße
’96“. Sie kümmert sich um das Gedenken an die Opfer, organisiert
Kundgebungen und fordert seit Jahren auch einen Untersuchungsausschuss über
die Arbeit der Behörden damals. Nun könnte Bewegung in die Sache kommen:
Bei einem Vortrag über das Thema prangerte der damalige Lübecker
Bürgermeister Michael Bouteiller, der die Initiative unterstützt, schwere
Fehler der Strafverfolgungsbehörden des Landes im Ermittlungsverfahren an,
„insbesondere das Versagen der Lübecker Behördenleitung und der Fach- und
Dienstaufsicht des Landes Schleswig-Holstein“. Die fehlgeleiteten
Ermittlungen hätten „allen Grundsätzen rechtsstaatlichen Verfahrens
widersprochen“.
Die Mitglieder der Initiative hoffen weiter auf ein Umdenken der Behörden,
sind aber skeptisch, ob das geschieht. „Spätestens seit den Skandalen
infolge der Selbstenttarnung des NSU“, sagt Tim Hartmann von der Initiative
„Hafenstraße ’96“, „wissen wir, dass Sicherheitsbehörden in der Regel…
von sich aus Fehler aufarbeiten und kritisch – auch öffentlich –
Konsequenzen ziehen.“ Eine Petition an den Landtag soll das ändern.
6 May 2022
## LINKS
[1] /!5845925&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Friederike Grabitz
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.