# taz.de -- Nur einmal blitzt Hoffnung auf | |
> Dreimal reiste Andreas Rost nach Afghanistan. Seine Fotografien des | |
> Alltags dort zeigt er jetzt im Haus am Kleistpark | |
Bild: Aus der Serie „Kabul“ (2007–2009) | |
Von Ingo Arend | |
„Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Der Spruch, | |
der Bundesverteidigungsminister Peter Struck 2004 berühmt machte, | |
kennzeichnet den Umgang mit dieser Region. Im Westen wird das gebirgige | |
Reich in Zentralasien meist als globalstrategisches Faustpfand gesehen. | |
Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten | |
Jimmy Carter, ließ sich Anfang der 1980er Jahre gar demonstrativ mit einer | |
Kalaschnikow am Khyber-Pass ablichten. Auch die archaische Vormoderne, die | |
die Mudschaheddin über das Land brachten, ließen ihn noch Jahrzehnte später | |
seine Idee nicht bereuen, sie mit US-Hilfe gegen die sowjetfreundliche | |
Linksregierung des Landes in Stellung gebracht zu haben. | |
Das Wichtigste, das sich über die Bilder des Berliner Fotografen Andreas | |
Rost sagen lässt, ist, dass sie den Blick auf Afghanistan als Lebensraum | |
der realen Menschen richten, die in der politischen Perspektive meist | |
fehlen. Von 2007 bis 2009, wenige Jahre nach Peter Strucks zwiespältiger | |
Metapher, reiste der 1966 in Weimar geborene Künstler im Auftrag des | |
deutschen Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandsbeziehungen in das | |
Land am Hindukusch, um die Situation dort zu dokumentieren. In der | |
sehenswerten kleinen Ausstellung im Projektraum des Hauses am Kleistpark, | |
in dem nun eine Auswahl der damals gemachten Aufnahmen zu sehen sind, | |
findet sich nichts vordergründig Politisches. Die Betrachter:innen | |
tauchen tief in den afghanischen Alltag ein. | |
In den staubigen Straßen der schwer zerstörten Stadt Kabul sitzen die | |
Menschen auf der Straße, verkaufen ein paar notdürftig auf Decken | |
ausgebreitete Habseligkeiten, sieben Getreide oder schauen an einem | |
Kebab-Stand einem Mann zu, der Holzkohle anfeuert. | |
Nur ein einziges Mal kommt Rost in die Nähe dessen, was sich als | |
hegemonialer Blick bezeichnen ließe. Von der Anhöhe TV-Hill, damals war der | |
Berg am Rande der Stadt Standort des Hauptquartiers der Nato-geführten | |
Sicherheitstruppe im Afghanistan-Krieg 2001 bis 2014, geht der Blick über | |
die Stadt bis zu der Bergkette direkt gegenüber. Da wirkt die einst | |
blühende Metropole plötzlich wie ein Gräberfeld. | |
„Mit dem Blick von oben herab, der unabweisbaren Sicherheitsinteressen | |
folgt, vertun wir uns jede Sympathie der Bergbewohner“, schrieb Rost in | |
einem seiner Tagebuch-Einträge vom November 2007 nach einem Besuch der | |
Station. Einige Auszüge seiner Notizen hat er neben die Fotografien | |
gehängt. Wie nicht anders zu erwarten, ist die versprengte, seltsam | |
desolate „Gesellschaft“, die sich auf Rosts Bildern zeigt, eine zutiefst | |
patriarchale. Es sind fast nur Männer zu sehen, die wenigen Frauen zeigen | |
sich natürlich in dem traditionellen Ganzkörperschleier Burka. | |
Man ahnt, welchen Mut es die eine Frau gekostet haben mag, sich nur mit | |
einem lose um den Kopf geschlungenen Tuch und freiem Gesicht ihren Weg | |
durch den Basar zu bahnen. Rings um sie herum feilscht eine wuselnde | |
Männergruppe um blitzende Stahltöpfe und Plastikeimer. | |
Rost, einst Schüler der DDR-Fotogrößen Arno Fischer und Evelyn Richter, hat | |
für seine Aufnahmen den SchwarzWeiß-Modus gewählt. Das unterstreicht sein | |
dokumentarisches Herangehen – wie bei dem Bettler mit Beinstumpf, der seine | |
mit einem Sneaker bewehrte Beinprothese mit der Hand festhält. | |
Dennoch gewinnt Andreas Rost seiner tristen Bestandsaufnahme immer wieder | |
poetische Momente ab. Der Pelikan zwischen den zwei alten Männern am | |
Straßenrand wirkt wie die surrealistische Metapher einer Wirklichkeit, der | |
der Fotograf auch dann nur schwer näherkommt, wenn er sich dem unbekannten | |
Leben in einer gezeichneten Stadt mit Respekt und den Menschen auf | |
Augenhöhe begegnet. | |
Nur einmal blitzt in diesen Bildern etwas wie Hoffnung auf: wenn vor der | |
schwarzen Silhouette einer majestätischen Bergkette die für die Region | |
typischen Papierdrachen in den grauen Himmel aufsteigen, eine Gruppe Kinder | |
wie eine Skulpturengruppe zu ihren Füßen. | |
Rost hatte, wie er berichtet, Skrupel, eine Ausstellung über eine lange | |
zurückliegende Zeit zu eröffnen, während der Krieg in der Ukraine jeden Tag | |
seine Opfer fordert. Doch es hätte des Fotos der Demonstrant:innen vor | |
der Russischen Botschaft in Berlin vom Februar am Eingang zur Ausstellung | |
nicht bedurft, um den Toten dieser Tage die gebührende Reverenz zu | |
erweisen. | |
Rosts über 15 Jahre alten Bilder wirken auch so wie ein aktuelles | |
Menetekel: eine Erinnerung daran, wie schnell eine einst blühende Kultur in | |
eine Art Null-Zustand der Zivilisation zurückverwandelt werden kann. | |
Andreas Rost: „A Forlorn Hope. Fotografien aus Afghanistan“. Haus am | |
Kleistpark. Noch bis zum 29. Mai | |
5 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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