# taz.de -- Ein bunt ausgemaltes Wimmelbild | |
> „Antikrist“ von Rued Langgaard: Ersan Mondtag hat an der Deutschen Oper | |
> Berlin ein Stück auf die Bühne gebracht, das seit 100 Jahren vergessen | |
> ist. Zu Recht, denkt man, aber schön anzuschauen | |
Bild: Selbst die Sänger sehen aus wie gemalt: „Antikrist“ an der Deutschen… | |
Von Niklaus Hablützel | |
Ersan Aygün kommt aus Neukölln und weiß deshalb, dass Bildung nötig ist, | |
wenn man da rauskommen will. Aygün hat alle möglichen Museen besucht, | |
gelesen und Filme angeschaut. Die Otto-Falckenberg-Schule, die zu den | |
Münchner Kammerspielen gehört, war ihm bald zu langweilig. Er brach sein | |
Studium nach zwei Jahren ab, nannte sich „Mondtag“, was die Übersetzung der | |
Silben „Ay“ und „Gün“ seines Familiennamens ist, und gründete eine ei… | |
Theatertruppe für Endlospartys, in denen es vor allem um radikale Kultur- | |
und Gesellschaftspolitik ging. Eine davon dauerte neun Tage. | |
Ersan Mondtag, inzwischen 35 Jahre alt, ist angekommen, die Theater reißen | |
sich um ihn, er kann machen, was er will. Bisher waren es eigene Stücke | |
oder auch ein umgeschriebener „Ring des Nibelungen“. Kritik und Publikum | |
waren immer zufrieden, alles sah gut aus und machte Spaß. Neuköllner Party | |
eben. Natürlich musste da auch die Deutsche Oper zugreifen. Und wieder hat | |
es sich gelohnt. | |
Mondtag richtete sich in der Werkstatt der Bühnenmalerei ein und griff in | |
die Fundgrube seiner Bildungserlebnisse. Das „Triadische Ballett“ von Oskar | |
Schlemmer zum Beispiel, Kirchners Großstadtfiguren, Murnaus Fratzen und | |
noch viel mehr ließ er sich noch einmal malen, und zwar richtig analog mit | |
Pinsel und Farbe. | |
## Endzeitstimmung liegt in der Luft | |
Alles wäre schon vor zwei Jahren fertig gewesen, aber dann war die Oper zu, | |
man redete nur noch über Viren. Am vergangenen Sonntag war die Pandemie | |
endlich so weit unter Kontrolle, dass sich vor dem diszipliniert maskierten | |
Publikum der Vorhang für Mondtags Wimmelbild öffnen konnte. Die Zwangspause | |
hat der Sache nicht geschadet. Endzeitstimmung muss man inzwischen nicht im | |
Theater erzeugen. Sie liegt in der Luft mit ihren tödlichen Aerosolen, | |
angereichert durch kriegerische Diktatoren und Naturkatastrophen. So | |
ähnlich war es vielleicht auch in den zwanziger Jahren des letzten | |
Jahrhunderts. Damals entstand das Stück, das Mondtag nicht inszeniert, | |
sondern ausgemalt hat. | |
Es heißt „Antikrist“. Der dänische Komponist und Organist Rued Langgaard | |
hat es gleich zweimal geschrieben, das Dänische Königliche Theater hat es | |
immer abgelehnt. | |
Es ist der religiös motivierte Ausdruck allgemeinen Grauens vor den Übeln | |
einer dekadenten Gesellschaft, in der alles nur Lüge, Laster und Gier ist. | |
Ein Reich des Bösen also, das am Ende aber doch untergeht, von einem | |
göttlichen Blitz getroffen. Eine Handlung gibt es nicht, nur Halbsätze | |
einer christlichen Bußpredigt. Und Musik. | |
Dänische Musikwissenschaftler bemühen sich seit einigen Jahren darum, ihre | |
Qualitäten zu untersuchen. Das ist vor allem deshalb zu loben, weil diese | |
Qualitäten nicht zu hören sind. Aus dem Graben dröhnt ein formloser Wust | |
von orchestralem Pomp, irgendwo zwischen Wagner, Strauß und Bach. | |
Furchtbar, aber Mondtag hat sich darüber keine Gedanken gemacht. Er hält | |
sich an seine eigenen Bilder: eine nächtliche Straße im Vergnügungsviertel. | |
Die Tanzkegel des triadischen Balletts hüpfen auf den Bordstein. Alle | |
anderen Figuren stecken in hautengen, expressionistisch bemalten | |
Ganzkörpertrikots. Angezogen nackt tanzen und singen sie über die Straße, | |
die sich auch mal nach hinten in die Fassaden von Mietshäusern hochwölbt | |
wie in den Realträumen des Films „Inception“ von Christopher Nolan. | |
Gott hat sich erhängt. Zu sehen ist die überlebensgroße Statue eines jungen | |
Mannes mit Möse, die Hure Babylon ist ein monströser Fatsuit mit | |
Hängetitten und Penis. So geht es immer bibelfest weiter, und trotzdem | |
tritt die Sache auf der Stelle. Es sind immer dieselben Tanzfiguren in | |
Gruppen und solo, man hat sie schnell gesehen und begriffen. Sie bewegen | |
nichts. | |
Auch ein ganzer Chor mit aufgemalten Brüsten und Schamhaaren löst die | |
Langeweile nicht auf, die sich ausbreitet. Langgaards Musik hämmert | |
unerbittlich vor sich hin. Das mag auf einer Party auch nicht viel anders | |
sein, aber so eingezwängt in den Stuhlreihen der Oper ist es nicht gut | |
auszuhalten. | |
Mondtag weiß das wahrscheinlich auch, man kann ihm nicht böse sein. Er hat | |
immerhin versucht, irgendetwas aus diesem unmöglichen Job zu machen. Für | |
die ganzen 90 Minuten des 100 Jahre alten dänischen Stücks hat es nicht | |
gereicht. Na und? | |
„Antikrist“, wieder in der Deutschen Oper am 5., 9. und 11. Februar | |
1 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |