# taz.de -- Ressourcenfür eine Zukunftskunst | |
> Bei den Koalitionsverhandlungen wird gegenwärtig über einen „Fonds | |
> Ästhetik und Nachhaltigkeit“ diskutiert. Das ambitionierte Vorhabensoll | |
> Kunst, Wissenschaft und Klimaneutralität zusammenbringen | |
Bild: Gutes Beispiel für die Verbindung von Kunst und Wissenschaft: Künstler … | |
Von Tom Mustroph | |
Von Wuppertal aus ist es nicht weit nach Düsseldorf. Das ist nicht nur in | |
geografischen Maßstäben so. Auch in Sachen künstlerischer und politischer | |
Praxis rücken die beiden Städte gerade dichter zusammen. Jeder Mensch sei | |
ein Künstler, hatte einst der Düsseldorfer Weltkünstler Joseph Beuys | |
propagiert. Uwe Schneidewind, aktuell Bürgermeister in Wuppertal und zuvor | |
lange Zeit Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, prägt | |
seinerseits den Begriff der „Zukunftskunst“. Der gehe „ganz stark auf die… | |
Idee von Joseph Beuys zurück, dass in jedem von uns kreatives Potenzial | |
steckt“, bestätigt der gelernte Wirtschaftswissenschaftler der taz. | |
Zukunftskunst ist das zentrale Thema von Schneidewinds Buch „Die große | |
Transformation“, das Wege in eine Kultur der Nachhaltigkeit in Wirtschaft, | |
Politik und Verwaltung beschreibt. Darin, wie auch in dem zugehörigen Blog | |
zukunftskunst.eu geht es um die Entwicklung neuer Materialien, die | |
Etablierung von Geschäftsmodellen der Kreislaufwirtschaft, um Änderungen | |
von Verhaltensweisen und Denkschemata in Politik und Verwaltung sowie um | |
Formen gemeinschaftlichen Handelns. Als Katalysator für eine solche | |
Zukunftskunst betrachtet Schneidewind den Fonds Ästhetik und Nachhaltigkeit | |
(FÄN), für den die frühere Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler seit | |
mehr als zehn Jahren wirbt. | |
„Der FÄN soll Künstler*innen ermöglichen, nicht nur ökoeffizienter das | |
Gleiche zu tun wie bisher, sondern sich auch mit ihrem Wissen, Können und | |
Wollen in die transformativen Felder auszudehnen“, begründet Goehler | |
gegenüber der taz das Anliegen. Es zieht einerseits die Konsequenzen aus | |
einer von vielen mittlerweile als verbesserungswürdig angesehenen | |
Förderpolitik. „Wir müssen die gesamte Förderlogik umbauen, denn sie ist | |
ungefiltert kapitalistisch: schneller, mehr, weiter, schriller. Kaum hat | |
die eine Produktion Premiere, muss schon wieder der Antrag für das nächste | |
Projekt gestellt werden, und hier muss wieder alles neu, innovativ und noch | |
nie gesehen sein, anstatt dass man vertieft an einem Thema und an dem | |
vorhergehenden Projekt weiterarbeiten kann“, beschreibt Goehler das | |
Dilemma. Das führe zu Künstler*innen, die zunehmend erschöpft im Hamsterrad | |
der Fördermechanismen rotieren und auch zu zu viel und dabei nicht | |
zwangsläufig guter Kunst. | |
Mehr Nachhaltigkeit in der Förderpraxis ist ein Ziel. Vor allem aber geht | |
es darum, den suchenden und forschenden Geist der künstlerisch Tätigen für | |
neue Zugänge zu einem klimaneutralen Leben, Arbeiten und Konsumieren zu | |
gewinnen. Ziel ist auch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kunst und | |
Wissenschaft im Sinne der Nachhaltigkeit. | |
Das Interesse dafür ist auf beiden Seiten da. Oft aber erschweren | |
unterschiedliche Förderfristen und Forschungszyklen – atemlos kurze in der | |
Kunst, längerfristigere in der Wissenschaft – eine solche Zusammenarbeit. | |
„Der FÄN soll ein Möglichkeitsraum sein, andere Formen der Kooperationen zu | |
erforschen. Denn Künstler*innen fragen und gucken anders auf dieselben | |
Probleme als Wissenschaftler*innen. Kunst rückt den Menschen, die sinnliche | |
Wahrnehmung in den Mittelpunkt. Und genau dieses Zusammenbringen, dieses | |
Denken über Silos, Disziplinen und Ressorts hinaus brauchen wir jetzt“, | |
meint Goehler aus der Perspektive der Kunst. | |
Wirtschaftswissenschaftler Schneidewind ist einer von mittlerweile 135 | |
prominenten Unterstützer*innen des FÄN. Aus der Perspektive der | |
Nachhaltigkeitswissenschaften heraus erhofft er sich durch die Kunst einen | |
kreativen Schub für eine Bewegung, die lange – und auch zu Recht – auf | |
Alarmismus setzte, dabei aber in der Gesellschaft neben Zorn und Angst auch | |
viel Erstarrung, Verweigerung und Lähmung angesichts der Größe der Aufgabe | |
erntete. | |
„Sicher war der Alarmismus auch des Club of Rome sehr wichtig. Aber er muss | |
ergänzt werden mit einer Selbstwahrnehmung von einer Selbstwirksamkeit auf | |
der Ebene von Individuen und Kollektiven, von Städten und Unternehmen. Es | |
geht darum, dass Menschen in verschiedenen Organisationen Lust entwickeln, | |
ihre Energien einzubringen in die Lösung dieser Aufgaben. Wenn sie in | |
Paralyse verfallen, geschieht da gar nichts“, meint Schneidewind zur taz. | |
„Gegenwärtig bewegt sich da aber einiges“, konstatiert er. Über den eigen… | |
Förderrahmen hinaus könne der FÄN auch Nachahmer in den Ländern und | |
Kommunen finden sowie andere Bundesministerien dazu stimulieren, bei neuen | |
Mobilitäts- und Energiekonzepten ebenfalls Raum für künstlerische | |
Initiativen mitzudenken, deutet Schneidewind die ganz große Hebelwirkung | |
an. | |
Zunächst soll er mit jährlich zehn Millionen Euro ausgestattet sein, | |
schlagen sowohl er als auch Goehler vor. „Man sollte das Vorhaben auch | |
wissenschaftlich begleiten und evaluieren. Und wenn dann nach sieben Jahren | |
die Deutsche Forschungsgemeinschaft sagt: ‚Das ist ein guter Satellit, das | |
ist genau das, was wir brauchen, das übernehmen wir‘, dann wäre das sehr | |
gut“, blickt Goehler in die ferne Zukunft. | |
Aktuell ist der FÄN Thema bei den Koalitionsverhandlungen. Er steht neben | |
dem „Green Culture Fonds“, der vor allem zur Reduzierung des ökologischen | |
Fußabdrucks der Kunstproduktion selbst beitragen soll, im Wahlprogramm der | |
Grünen. Schneidewind, grüner Oberbürgermeister in Wuppertal, hält die | |
Verhandler und Verhandlerinnen zumindest für „sensibilisiert“ und „weise | |
genug, sich einem solchen Anliegen nicht völlig zu verschließen“. | |
Die Freiheit der Kunst sehen weder Goehler noch Schneidewind durch einen | |
thematisch derart ausgerichteten Fonds gefährdet. „Er richtet sich in | |
erster Linie an Künstler*innen, die sich mit solchen Themen ohnehin | |
beschäftigen und hiermit die Möglichkeit einer vertieften | |
Auseinandersetzung haben“, sagt Goehler. „Es ist ganz wichtig, dass man | |
diese Gefahr einer plumpen Instrumentalisierung vermeidet. Künstlerinnen | |
und Künstler dürfen nicht zu einer Art Kommunikationsabteilung werden nach | |
dem Motto: Jetzt brauchen wir noch ein paar Künstler, die der Politik dabei | |
helfen, eine Mobilitätsveränderung in der Stadt umzusetzen“, warnt | |
Schneidewind. „Ihre Auseinandersetzung muss vielmehr durch künstlerische | |
Freiheit geprägt sein. Ansonsten entsteht ja auch nichts Neues“, betont er. | |
Für ihn könnte die Bearbeitung und Beobachtung des | |
Instrumentalisierungsrisikos sogar Teil der künstlerischen Forschung sein, | |
die in den FÄN integriert ist. | |
Das Vorhaben ist so komplex wie ambitioniert wie notwendig. In diesen | |
Wochen muss zunächst an die „Weisheit“ der Ampelverhandler*innen appelliert | |
werden, damit es auch Regierungshandeln wird. | |
13 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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