# taz.de -- „‚Geschenke‘ – auch von der Gestapo“ | |
> Wiebke von Deylen über Provenienzforschung in Bibliotheken | |
Interview Alexander Diehl | |
taz: Frau von Deylen, wer war Emil Specht? | |
Wiebke von Deylen: Ein wohl ziemlich glühender Bismarck-Verehrer, der in | |
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1925 in Aumühle | |
gelebt hat. Dort hat er eine eigene Bücherei zusammengetragen mit wichtigen | |
Werken Bismarcks – die war auch zugänglich, ganz oben in einem Turm, der | |
lange „Bismarck-Turm“ hieß und auch als Wasserturm diente. | |
Die Bücher gehen nun nicht zurück an einen Nachfahren. Es gab | |
Zwischenstationen: den sozialdemokratischen Auer-Verlag. | |
Bismarck-Verehrung und Sozialdemokratie würde man ja eher nicht | |
zusammenbringen. Es gibt aber noch ein Zwischenglied, die Gemeinde Aumühle: | |
In deren Besitz gingen die Bücher 1927 über, sie konnte aber die Bücherei | |
nicht halten und hat Teile an die Bibliothek verkauft, die dem Auer-Verlag | |
in Hamburg angeschlossen war; der wiederum der SPD gehörte. Das haben wir | |
aber erst nach langwierigen Recherchen herausgefunden. Die Verzweigungen | |
sind bei Restitution an Privatpersonen oft weniger aufwändig: Da ist es | |
leider oft ganz prosaisch so, dass der NS-Staat die Bücher bei den Menschen | |
selbst beschlagnahmt hat. | |
Wurde so etwas fein säuberlich dokumentiert? | |
Wir stützen uns nicht auf das Material der Gestapo. Sondern wir haben eben | |
unsere eigenen Zugangsbücher. Während der NS-Zeit hatte man ja kein | |
Unrechtsbewusstsein, auch in den Bibliotheken nicht. Da gibt es zwei große | |
Bereiche, „Kauf“ und „Nichtkauf“; und da gibt es eine große Rubrik | |
„Geschenke“ – auch von der Gestapo. Und wir schauen: Haben wir die | |
überhaupt noch? Manches ist im Krieg zerstört worden. Aber wenn sie noch in | |
unserem Bestand sind, sehen wir sie uns genauer an und versuchen | |
herauszufinden: Woher hatten jene sie, die sie uns „geschenkt“ haben? | |
Diese Recherchen betreibt Ihre Arbeitsstelle von selbst? | |
Wir beschäftigen uns mit Provenienzfragen rund um NS-Raubgut systematisch | |
seit etwa 20 Jahren. Um die Jahrtausendwende ist die Washingtoner Erklärung | |
formuliert worden. Darin haben sich etliche Länder, auch die | |
Bundesrepublik, darauf geeinigt, sich des Themas NS-Raubgut anzunehmen, und | |
das unabhängig von juristischen Ansprüchen. Um den guten Absichten auch | |
Taten folgen zu lassen, haben wir, so wie viele andere Einrichtungen auch, | |
angefangen, systematisch auf Verdachtsfälle zu überprüfen. | |
Wie viele Bücher sind auf diesem Weg zurückgegeben worden? | |
Wir haben bisher 35 abgeschlossene Fälle, das sind mehr als 800 Bücher. | |
Teils sind das größere Sammlungen, teilweise geht es auch mal nur um ein | |
einziges Buch. Manchmal entscheiden sich Familien auch dagegen, die Bücher | |
zurückhaben zu wollen – und überlassen sie nun ganz legal uns oder anderen | |
Einrichtungen. | |
17 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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