# taz.de -- Entrechtungen, jahrzehntelang | |
> Ein neues Buch über Henry und Emma Budge erinnert an das Schicksal eines | |
> jüdischen, in Hamburg lebenden Mäzenatenpaares, dessen riesige Villa – | |
> heute eine Hochschule – die Stadt einst billig aufkaufte | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
„Mäzene für Wissenschaft“ heißt eine Publikationsreihe der Hamburgischen | |
Wissenschaftlichen Stiftung. Jene Kapitalakquise, 1907 ins Leben gerufen, | |
wollte der Stadt zu einer Uni verhelfen. Da zwei Drittel des anfänglichen | |
Stiftungsvermögens jüdische Bürger:innen bereitstellten, gilt nach dem | |
ersten Band einer neuen Folge, gewidmet dem Kaufhausmagnaten Max Emden, und | |
dem zweiten über das Erfinderpaar der Nivea-Creme, Oscar und Gertrud | |
Troplowitz, auch der dritte Band einem jüdischen Stifterpaar: Emma und | |
Henry Budge. | |
Leider erzählt sich ihre Geschichte ähnlich der vieler gut situierter, | |
jüdischer Familien Hamburgs: Auf den zielstrebig erarbeiteten | |
ökonomisch-sozialen Aufstieg folgte großes, patriotisches Mäzenatentum, oft | |
mit ausgeprägtem Kunstsinn, und dann die Entrechtung, wirtschaftliche | |
Enteignung und Verfolgung durch das NS-Regime. Die jahrzehntelange | |
Hintertreibung einer Wiedergutmachung oder Restitution verfolgungsbedingter | |
Zwangsverkäufe löschte diese Persönlichkeiten schließlich vollends aus dem | |
kollektiven Gedächtnis der Stadt. | |
Henry Budge kam 1840 als Heinrich in Frankfurt zur Welt. In den USA | |
erwirtschaftete er im Bank- und Finanzgeschäft ein schier unvorstellbares | |
Vermögen. Die zwölf Jahre jüngere Emma stammte aus Hamburg. Gemeinsam lebte | |
das Paar ab 1879 in New York, erwarb 1882 die US-amerikanische | |
Staatsbürgerschaft und ließ sich 1903 in Hamburg nieder. Sein Lebensstil | |
widersprach gänzlich dem ortsüblichen Understatement: Die Villa am | |
Harvestehuder Weg 12, heute Hochschule für Musik und Theater, wuchs auf | |
rund 50 Privaträume und 20 Bäder an, es gab einen Spiegelsaal und mit | |
Marmor ausgeschlagene Garagen – ein architektonisches Exempel im „Goût | |
Rothschild“ der internationalen, besonders US-amerikanisch jüdischen Elite, | |
so Autorin Karen Michels, benannt nach der Frankfurter Bankiersdynastie. | |
Neben gesellschaftlicher Repräsentation verströmte sich das kinderlose | |
Ehepaar im Mäzenatentum: für Universitätsgründungen, die Sozial- und | |
Kinderfürsorge; auch für eine reformjüdische Synagoge wäre eine | |
Millionenspende geflossen, hätten konservativ Gläubige in Hamburg sie nicht | |
ausgeschlagen. Und während das private Ambiente des Ehepaares opulent zur | |
Schau gestellter Reichtum prägte, sitzt die Budge-Stiftung in Frankfurt in | |
einem funktionalistischen, radikal modernen Bau. Die Fertigstellung erlebte | |
der 1928 verstorbene Henry Budge nicht mehr. Dank US-amerikanischer | |
Staatsbürgerschaft war Emma Budge bis zu ihrem Tod 1937 vor direkter | |
Verfolgung sicher, nicht so ihre Erb:innen: Ihnen überließ sie die | |
Liquidierung des Besitzes zur lebensrettenden Flucht. So entging dem | |
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine über Jahre zusammengetragene | |
Porzellan- und Kunsthandwerkssammlung. Sie kam, unter Wert, zur Auktion. | |
Das 50-Zimmer-Anwesen sicherte sich die Stadt Hamburg für 305.000 | |
Reichsmark! Erlöse und Vermögen wanderten auf Sperrkonten, um die perfide | |
„Reichsfluchtsteuer“ und weitere Abgaben einzuziehen. Ein Millionenvermögen | |
landete so beim Fiskus, die Stiftung des Altenheims hatte vom Rest die | |
Kosten der Deportation seiner jüdischen Bewohner:innen nach Auschwitz | |
zu übernehmen. | |
„Emma und Henry Budge. Oder wie Hamburg einmal ein Porzellan-Palais | |
entging“: Karen Michels, Wallstein-Verlag 2021, 160 S., 19,90 Euro | |
18 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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