# taz.de -- Ein Krieg der Juden | |
> Kurz vor der Schoah wirbt Wladimir Ze’ev Jabotinsky für einen jüdischen | |
> Staat und eine eigene Armee. „Die jüdische Kriegsfront“ von 1940 liegt | |
> erstmals auf Deutsch vor | |
Bild: Wladimir Ze’ev Jabotinsky im Jahr 1925 (1880–1940) | |
Von Jens Uthoff | |
Ungefähr zur gleichen Zeit, in der Wladimir Ze’ev Jabotinsky seine | |
Vorstellungen eines jüdischen Staats und einer jüdischen Armee zu Papier | |
bringt, in den ersten Monaten des Jahres 1940, wird bei Heinrich Himmler | |
und der SS-Führung Auschwitz zum Bau eines neuen Konzentrationslagers in | |
Erwägung gezogen. Kurz darauf entstehen Auschwitz I und Auschwitz II, das | |
Vernichtungslager in Birkenau. Als erstes Tötungszentrum wird schon im | |
Dezember 1941 Chelmno (Kulmhof) „in Betrieb genommen“. | |
Kurz vor der Schoah hatte Jabotinsky sehr konkrete (real-)politische Ideen, | |
wie der drohenden Vernichtung der Juden in Mittel- und Osteuropa zu | |
begegnen sei. In „The Jewish War Front“ schrieb er sie nieder, das Buch | |
liegt nun zum ersten Mal auf Deutsch vor. Jabotinsky war Mitgründer des | |
revisionistischen Zionismus, einer bürgerlichen und antisozialistischen | |
Strömung des Zionismus, und er war einer der wichtigsten Befürworter einer | |
eigenen jüdischen Armee. Nach Fertigstellung des Buchs ging er in die USA, | |
um für sein politisches Programm zu werben, doch im August 1940 starb er in | |
New York im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt. | |
In „Die jüdische Kriegsfront“ beschäftigt er sich zunächst mit der Genese | |
des Antisemitismus und warum dieser eine entscheidende Triebfeder der | |
nationalsozialistischen Propaganda war, zentral in diesem Buch aber sind | |
die jüdischen Kriegsziele: Ein eigener jüdischer Staat müsse geschaffen | |
werden, eine Heimstatt für das bedrohte Volk. Jabotinsky führt aus, warum | |
Palästina der einzige Ort ist, „in dem dieses Projekt realistischerweise | |
verwirklicht werden kann“. Auch wie eine jüdische Armee zu rekrutieren | |
sei, dafür erstellt er hier einen Plan. | |
Geboren und aufgewachsen ist Jabotinsky in Odessa, er verschrieb sich schon | |
in jungen Jahren der Agenda von Theodor Herzl und engagierte sich fortan in | |
verschiedenen zionistischen Organisationen. Während des Ersten Weltkriegs | |
half er bei der Schaffung der Jüdischen Legion mit – jüdische Freiwillige, | |
die die British Army im Kampf gegen die osmanische Armee unterstützten. | |
Jabotinsky lebte und arbeitete unter anderem in London und Jerusalem, er | |
arbeitete als Journalist und zionistischer Aktivist. | |
Jabotinsky ist zutiefst davon überzeugt, dass es auch nun eine jüdische | |
Armee braucht, um die Alliierten zu unterstützen; mindestens 100.000 Mann | |
soll sie haben, er rechnet vor, dass potenziell 6 Millionen Männer dafür | |
bereitstünden. „Die Bildung und der Einsatz einer jüdischen Armee würde dem | |
bösartigen Argument den Garaus machen, dass der Krieg zwar im Interesse der | |
Juden gefochten werde, die Juden selbst aber an sämtlichen Fronten durch | |
Abwesenheit glänzen“, argumentiert er. „[Es ist] ebenso sehr der Krieg der | |
Juden wie der Großbritanniens, Frankreichs oder Polens.“ | |
Die Schaffung eines jüdischen Staats sieht er als ebenso unerlässlich an, | |
er verweist noch einmal auf die Évian-Konferenz von 1938 und die fehlende | |
Bereitschaft, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen („Niemand will den jüdischen | |
Streuner aufnehmen“). Jabotinsky kalkuliert minutiös durch, wie der Exodus | |
aussehen muss, welche Gebiete infrage kommen und welche nicht. Es gibt zum | |
Beispiel Überlegungen, Juden in Britisch-Guyana und Westaustralien | |
anzusiedeln, am Ende aber bliebe immer Palästina erste Wahl – oder eben | |
„Fata-Morgana-Land“. Er zitiert auch der Plan der Revisionisten für | |
Palästina aus dem Jahr 1934, der die Gleichberechtigung der arabischen und | |
jüdischen Bevölkerung sowie die Definition der Altstadt von Jerusalem als | |
exterritoriales Gebiet vorsieht. | |
Auch die Ausführungen zum Antisemitismus (er unterscheidet zwischen | |
„subjektivem“ und „objektivem“ Antisemitismus) sind unbedingt lesenswer… | |
Und was Wladimir Ze’ev Jabotinsky über Judenhass in Deutschland schreibt, | |
sollte sich kurz darauf aufs Grausamste bestätigen: „Der Antisemitismus hat | |
in Deutschland eine lange und organische Geschichte. Gewiss gibt es ihn | |
nicht nur dort, aber in keinem anderen Land sitzt er so tief.“ | |
19 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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