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# taz.de -- „Die Kirche ist ein geschlossenes System“
> Die Evangelische Landeskirche Hannover informierte am Montag über einen
> Fall von schwerer sexualisierter Gewalt. Claudia Chodzinski begleitet
> Betroffene und erklärt, warum derartige Institutionen bei diesen
> Straftaten so oft im Fokus stehen
Bild: Lisa Meyer* hat ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Landesk…
Interview Teresa Wolny
taz: Frau Chodzinski, Sie stehen Menschen mit sexualisierten
Gewalterfahrungen zur Seite, darunter auch Lisa Meyer*, die als Kind von
einem angehenden evangelischen Diakon vergewaltigt wurde und ihre
Geschichte nun öffentlich gemacht hat. Kommen viele Fälle, die Sie
betreuen, aus dem kirchlichen Kontext?
Claudia Chodzinski: Ich glaube nicht, dass Missbrauch ein spezielles
Problem der Kirche ist. Es ist ein Problem von Institutionen, zu denen auch
Schulen, Psychiatrien oder Behinderteneinrichtungen gehören und die in
Deutschland oft von der Kirche unterhalten werden. Das alles sind
geschlossene Systeme, die oft eigene Gesetze und eine eigene Normalität
haben. Das begünstigt Intransparenz, Kumpeleien und Machtspiele. Die Gefahr
von Übergriffen und Machtmissbrauch ist an diesen Orten deshalb besonders
hoch. Jeder angehende Psychotherapeut in Deutschland muss
Selbsterfahrungsseminare belegen, Pastoren müssen das nicht. Solche
geschlossenen Systeme führen dazu, dass man viele Dinge nicht sieht, obwohl
man sie sehen sollte. Die Kirche spielt beim Thema Missbrauch auch so oft
eine Rolle, weil sie ein sehr vulnerabler Bereich ist.
Was bedeutet das?
Das Gefährliche ist, dass Menschen im kirchlichen Kontext oft verwundbar
sind – sie kommen, weil sie in Not sind oder Bindung suchen. Wenn man sich
Täterstrategien anschaut, ergibt das Sinn: Ein Mensch, der
grenzüberschreitend ist, sucht sich genau dieses Feld, in dem es viel Nähe
gibt und in dem man gleichzeitig viel Macht ausüben kann.
Was müssen Institutionen wie die Kirche tun, um das Thema weiter in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken?
Es muss Räume und Möglichkeiten geben, über solche Themen zu sprechen.
Außerdem muss es Menschen geben, die in die Geschichte der Institution
gucken und sich damit beschäftigen, welche unbearbeiteten Fälle es noch
gibt. Ich kann kein Schutzkonzept erstellen, wenn ich nicht vorher in die
Aufarbeitung gehe. Die Kirche muss ihre Türen öffnen und zeigen, dass sie
das Thema im Blick hat. Wir müssen in diesem Zusammenhang außerdem dringend
über das Seelsorgegeheimnis sprechen.
Das Seelsorgegeheimnis verpflichtet Geistliche zur Verschwiegenheit.
Genau. Im Grunde ist es gut, wenn es Menschen gibt, denen ich etwas
anvertrauen kann, was ich sonst niemandem anvertrauen würde. Wenn das aber
die Grenzen anderer berührt, muss darüber gesprochen werden. Ich sage
meinen Klienten oft, dass ich für solche Geheimnisse nicht zur Verfügung
stehe, weil ich die Verantwortung dafür nicht tragen kann. Die Kirche hat
eigene Gesetze, die man nicht einmal dann brechen kann, wenn es einen
strafrechtlich relevanten Verdacht gibt. Sie bringt damit auch ihre eigenen
Mitarbeitenden in schlimme Situationen, wenn zum Beispiel ein Pastor etwas
erfährt, was er nicht weitergeben darf. Wir müssen als Gesellschaft darüber
sprechen, ob das noch zeitgemäß ist und wann dieses Geheimnis gebrochen
werden darf. Das bedeutet natürlich auch eine Abgabe von Macht für die
Kirchen.
Was gibt es noch für Ansätze, um sexualisierte Gewalt zu verhindern?
Wir müssen noch viel mehr in Fort- und Weiterbildungen investieren. Dabei
geht es nicht nur darum, professionelles Wissen zu vermitteln. Zur
Weiterbildung gehören auch Programme, in denen es um ein grenzwahrendes
Miteinander geht. Wir müssen nicht nur Kinder oder Jugendliche als mögliche
Betroffene stärken, sondern vor allem die berufliche Seite in die Pflicht
nehmen.
Sie begleiten Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Wie sieht so
eine Begleitung aus?
Es ist weniger eine Therapie, sondern hat eher etwas von Zeugenschaft. Zu
einer Traumafolgestörung kann auch gehören, dass Menschen ihrer eigenen
Wahrnehmung nicht vertrauen. Oft lächeln sie das Geschehene einfach weg
oder sind im Anerkennungsverfahren so erschüttert vom Umgang der
Institutionen, dass sie deshalb nicht weitermachen wollen. Das ist als
Entscheidung völlig in Ordnung. Wenn man den Prozess aber doch durchmachen
möchte, ist es leichter, dabei jemanden an seiner Seite zu haben. Ich
bestärke die Betroffenen darin, sich selbst zu vertrauen. Allein die
Tatsache, dass ich bei Entschädigungsverfahren mit im Email-Verteiler bin,
gibt dem Ganzen oft eine andere Dimension.
Bewegt sich bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt jetzt mehr?
In einzelnen Landeskirchen passiert schon einiges. Allerdings nicht genug
und nicht schnell genug, das zeigt auch der aktuelle Fall. Wenn wir über
die Evangelische Kirche in Deutschland reden, bekomme ich trotzdem Bauchweh
– besonders in den oberen Gremien gibt es viel Bedarf. Da mangelt es an
Ressourcen und die Prioritäten werden falsch gesetzt, etwa wenn eine
geplante Homepage in der Pressestelle von Menschen betreut wird, die mit
dem Thema Missbrauch nicht vertraut sind. Dass die EKD für die Aufarbeitung
Studien über sexualisierte Gewalt durchführen will, ist gut. Ich halte es
aber für gefährlich, sich hinter diesen Studien zu verstecken.
*Name geändert
13 Oct 2021
## AUTOREN
Teresa Wolny
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