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# taz.de -- Abbau der Barrieren
> Japan versucht als Gastgeber der Paralympischen Spiele seine notorischen
> Defizite bei der Integration von Behinderten wettzumachen, trotzdem
> bleibt noch sehr viel zu tun
Bild: Langsames Einrollen: Ankunft der niederländischen Para-Sportlerinnen in …
Aus Tokio Martin Fritz
Die Rainbow-Brücke am Athletendorf und der welthöchste Fernsehturm Skytree
leuchteten am Donnerstagabend lila: Auch die japanische Hauptstadt
beteiligte sich an dieser weltweiten Aktion von Menschenrechts- und
Sportverbänden. Vor der Eröffnung der Paralympics in Tokio am kommenden
Dienstag sendete die globale WeThe15-Kampagne ein farbiges Signal gegen die
Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, deren Anteil an der
Weltbevölkerung auf 15 Prozent geschätzt wird. Der Präsident des
Internationalen Paralympischen Komitees, Andrew Parsons, bezeichnete die
Tokioter Para-Spiele als „die Wichtigsten“ in ihrer Geschichte. „Sie geben
den Menschen mit Behinderungen inmitten der Pandemie eine Stimme“, sagte
Parsons.
Doch der Beginn der Paralympics wird von der bisher stärksten
Corona-Infektionswelle in Tokio und Japan überschattet. Die Hospitäler der
Hauptstadt sind überlastet, für viele Erkrankte gibt es kein Bett mehr. Die
Folge: Wie zuvor schon die Sommerspiele bleiben auch die Paralympics
zuschauerlos. Und statt über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
diskutiert Japan nun darüber, ob wenigstens noch Schulkinder als Zuschauer
in die Stadien dürfen. Mehrere Gemeinden und Schulen haben 132.000 Kinder
dafür angemeldet.
Die parlamentarische Opposition nutzte die Chance zum Angriff auf die
Regierung. „Sind die noch ganz bei Trost?“, empörte sich Ichiro Ozawa,
vormals Chef der Demokratischen Partei. Auch der oberste Pandemieberater
der Regierung, der Mediziner Shigeru Omi, hält wenig von der Idee. Dabei
illustriert die Teilnahme der Kinder die Anstrengungen des japanischen
Staats, Menschen mit Behinderungen stärker zu integrieren. Die Schülerinnen
und Schüler sollen die Para-Wettkämpfe im Rahmen eines Erziehungsprogramms
besuchen, das die Inklusion von behinderten und nichtbehinderten Menschen
in Japan vorantreiben soll. Dazu gehört auch, dass der Staat seit diesem
Jahr eine medizinische Basisversorgung der Grund- und Mittelschulen
finanziert und Lehrer in der notwendigen Sonderpädagogik fortbildet.
Das Bildungsministerium verbreitet auch Aufklärungsmaterialien für
Unternehmen mit dem Ziel einer „Barrierefreiheit der Herzen“. Denn die
knapp 10 Millionen Japaner mit Behinderung sind im Alltag bisher kaum
sichtbar. Die meisten leben bei ihren Familien und verlassen nur selten
ihre Unterkunft. Gerade einmal 6 Prozent sind erwerbstätig, in Deutschland
sind es 30 Prozent. Doch japanische Firmen bieten einfach zu wenige
geeignete Arbeitsplätze an. Selbst der Stellenanteil von Menschen mit
Behinderungen im öffentlichen Dienst beträgt nur 1,2 Prozent, weit unter
der selbst gesetzten Mindestquote von 2,3 Prozent. Ebenso fehlen Angebote
für Para-Sportler. Japan hatte erst nach dem Olympia-Zuschlag für Tokio das
UN-Abkommen für Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und ein
Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet.
Jedoch werden die Paralympics nicht zu der erhofften Lektion in Inklusion.
Die 4.400 Athleten und ihre Betreuer bleiben in ihrer „Blase“ und haben
keinen Kontakt zur Bevölkerung. Folglich wird der Olympia-Tross kaum
mitbekommen, wie sehr Tokio die Barrierefreiheit mit Blick auf die
Paralympics verbessert hat, etwa durch den Einbau von Aufzügen und
Spezialtoiletten in allen Bahnhöfen. Auch gelbe Leitblöcke für
Sehbehinderte auf den Gehwegen sieht man überall. Die Architektin Hiromi
Shinohara vom „Verband für die Rollstuhlgesellschaft“, die nach einem
Schlaganfall halbseitig gelähmt ist, bemängelt jedoch, dass viele neue
Aufzüge, Rampen und Toiletten abseits gelegen seien. „Wir Rollstuhlfahrer
können nicht auswärts essen gehen, weil die meisten Restaurants Stufen und
zu kleine Toiletten haben“, kritisiert Shinohara. Zudem beschränkten sich
die Verbesserungen auf belebte Orte in der Hauptstadt.
Immerhin müssen sich Bauherren laut Gesetz bereits bei der Planung von
Behindertenvertretern beraten lassen. Das neue Nationalstadion für die
Eröffnungsfeier wurde dadurch zum freundlichsten Ort für Menschen mit
Behinderungen im ganzen Land – mit 500 Zuschauerplätzen für
Rollstuhlfahrer, niedrigen Ticketschaltern, taktilen Wegweisern, eigenen
Ruheräumen und Japans erster Toilette für Blindenhunde.
21 Aug 2021
## AUTOREN
Martin Fritz
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