# taz.de -- Die Verästelungen von Hass und Hetze | |
> Eine Audioinstallation von Ute Friederike Jürß und Feridun Zaimoglu sucht | |
> im Lübecker Behnhaus die Spuren rassistischer Sprache | |
Bild: Auf dem Boden des Raums: Skizzen von Gesichtern, bedrängte Gestalten, K�… | |
Von Frank Keil | |
Die Stimmen hausen oben, unterm Dach. Man hört sie schon, wenn man den | |
letzten Treppenaufgang hinaufgeht. Die Dielen knarren mehr als hörbar, wie | |
es sich gehört für ein Haus, dass im 18. Jahrhundert errichtet wurde, als | |
klassizistisches Stadtpalais für eine Kaufmannsfamilie, mitten in der | |
Lübecker Altstadt. Heute ist es Museum und Haus der Kunst des 18. und 19. | |
Jahrhunderts. | |
Oben: ein Raum, nahezu leergeräumt diesmal. Ein einzelner Schrank steht | |
noch, kunstfertig gedrechselt, blankpoliert. Die Türen rundherum bleiben | |
verschlossen. In je einer Nische zwei schwarze, schlanke Lautsprecher, aus | |
denen Erzähltes rinnt: Ein Mann spricht, eine Frau spricht, gleichzeitig | |
und sich überlagernd. Wem will man sich zuerst widmen – und was ist | |
überhaupt zu hören? | |
„Angst kommt vor dem Schrei“ heißt die Arbeit der in Lübeck lebenden | |
Künstlerin Ute Friederike Jürß. Eine Audioinstallation, begleitet von 24 | |
skizzenhaften Zeichnungen, die vor einem auf dem Boden liegen, eingefasst | |
in einem langen Bilderkasten; wie ein Laufsteg, wenn man mag. Will man | |
Details sehen, muss man in die Hocke gehen: Es sind Skizzen von Gesichtern, | |
von bedrängten Gestalten, von Körperumrissen, einige davon auf Fotovorlagen | |
gezeichnet. Man erahnt eine Frauengestalt, in einer Art Sintflut watend. | |
Auf anderen Blättern wirkt sie wie eingesponnen in einen schützenden Kokon. | |
Über einen hinweg tönt das Gesprochene. Es sind Texte aus einem | |
zweiteiligen Gedicht des in Kiel lebenden Theater- und Romanautoren Feridun | |
Zaimoglu, je gute 20 Minuten lang. Gesprochen werden sie abwechselnd von | |
einem Mann und einer Frau: „Die Mutter gebar mich/ ich gebäre die Mutter/ | |
Eis und Wasser/ Ich sagte:/ ich würd’bittere Beeren essen“, so beginnt ihr | |
Text. „Ich bin erstaunt, dass die Hummeln so hoch fliegen/ draußen, Kühle/ | |
und ich/ ich stochere in meinem Spiegelbild/ wonach: soll ich suchen?“, so | |
endet er. | |
Dazwischen ein Bericht: eine Erkundung, eine Vergewisserung, eine suchende | |
Folge innerer und äußerer Bilder: „Eine Badewanne auf dem Kirchdach/ Wasser | |
hat sie angeschwemmt/ darin ist ertrunken ein Mann/ in langem Rock mit | |
Faltenschleppen/ Mein Name ist Esther/ Esther, vereist“, sagt die Frau. Im | |
Hintergrund die gepresste Stimme des Mannes; sein Raunen, Klagen und Rufen | |
– auch er will gehört werden. | |
Beide Texte hat Zaimoglu geschrieben, sie sind Ergebnis einer | |
vielschichtigen künstlerischen Kooperation mit Jürß: „Noch vor Corona haben | |
wir uns immer mal wieder zusammengesetzt“, sagt sie, „haben uns über das | |
Thema ‚Angst‘ Gedanken gemacht, über die Instrumentalisierung der Angst, | |
wie daraus Hetze entsteht, die die Gesellschaft dann beschallt.“ | |
Zeichnungen, die sie ihm zwischen den Treffen schickte, dienten als | |
Arbeitsgrundlage: „Keines der Bilder ist phänotypisch oder eine | |
beschriebene Vorlage, wir denken nicht in Bebilderung.“ Die fertigen Texte | |
haben die beiden dann selbst im Studio eingesprochen. | |
Und wie man da so hockt und lauscht, muss man sich immer wieder neu | |
entscheiden, wem man zuhören will: ihr und ihrer bruchstückhaften | |
Geschichte eines Ankommens nach einer Flucht an einen Ort, an dem sie nicht | |
willkommen ist und an dem sie sich trotzdem zu orientieren versucht. Oder | |
ihm, der keinen Namen bekommen wird; den sein heiseres Wispern vorwärts | |
drängt. | |
Er wirkt bedrohlich nicht nur im Klang, sondern auch, wenn er sich | |
rechtfertigt mit der Überheblichkeit eines Mannes, der nicht einsieht, wie | |
sehr er verloren ist. Sondern der sich fügt, wie er sich immer gefügt hat. | |
Und der doch seine Wut auf die Welt nie ganz verschweigen kann: „Dass ich | |
barmherzig werde/ ist nicht einmal in der Kirche geschehen“, spricht die | |
Stimme des Mannes. „Ausgerechnet bei uns/ die Dunklen/ möchten sie die | |
weite Welt sehen“, empört er sich über die, die aus anderen Ländern | |
gekommen sind – aus dem Tschad, aus Nigeria. | |
Er spricht es heiser, gedrückt; presst sie hervor: seine Erregung, seine | |
Versuche, sich grandioser zu geben, als er Grund haben könnte, im | |
Gegenteil. Man angelt nach Reizworten: „Volksgenosse“ schnappt man auf. | |
Oder „Heerstraße“. Dass über „sie“ Gericht gehalten wird, ist zu erfa… | |
Auch dafür, dass man ihm die falsche Geschichte erzählt hat, klagt der Mann | |
nicht sich, sondern die anderen an. Er, der doch genau weiß, wie die Welt | |
beschaffen zu sein hat: „Der Windhund hat davon zu leben/ was man in seinen | |
Napf packt/ das ist art-echt/ das ist Hundenatur ohne Bedrückung!“ | |
Wo sie, Esther, von sich erzählt, wie sie um Worte ringend ihre zerfallene | |
Welt wenigstens stückweise zusammenzusetzen versucht, ist er, der | |
Namenlose, bemüht, den großen Weltentwurf zusammenzuhalten, findet nicht | |
zum eigenen Ich, hat nur das Wir: „Die rassistische Sprache greift zum Wir, | |
weil die Selbststilisierung, die Selbstverstärkung in einem Wir viel | |
wirkmächtiger ist als in einem Ich“, sagt die Künstlerin. | |
Was nebenher eine ziemlich pfiffige Idee ist: dass die Motive von | |
Jürß’Zeichnungen im Postkartenformat in einem Ständer bereithängen. Dass | |
man also etwas zum Mitnehmen hat, wo man doch die Stimmen zurücklassen | |
muss, wenn man die Arbeit verlässt. Seine Stimme, die sagt: „Was er kann/ | |
er kann die Apfelschale in einem einzigen Kringel schneiden‘. Ihre Stimme, | |
wie sie spricht: ‚Ein Gespenst hat Mehltau auf dem Gesicht/ und weiße | |
Tüllgardinen am Leib/ nach einem Stromausfall/ glaubt man an Geister/ wenn | |
die Kleider im Schrank von den Bügeln fallen/ dann gehen meine Augen über.“ | |
Und dazu ihr Summen! Wie sie zwischendurch summt, keine Melodie, nur ein | |
Summen, eigen und beharrlich, um, all das, von dem sie sich erzählen muss, | |
auszuhalten; um Trost zu finden, in sich selbst. Er summt nicht. Wie käme | |
er darauf. | |
Audioinstallation „Angst kommt vor dem Schrei“: bis 27. 6., Behnhaus, | |
Königstraße 9, Lübeck; https://museum-behnhaus-draegerhaus.de/ | |
23 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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