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# taz.de -- Frage der Substanz
> Nicht nur die Bauwirtschaft will Altes am liebsten abreißen und neu
> bauen. Das sei nicht zuletzt gut für den Klimaschutz, heißt es. Der aber
> steckt schon auch in alten Mauern
Bild: Abriss muss doch nicht die Lösung sein
Von Jonas Wahmkow
Eigentlich könnten Sie da direkt einziehen.“ Daniel Diekmann deutet auf die
offenstehende Wohnungstür. Ein flüchtiger Blick in die Wohnung lässt sogar
noch einen altmodischen Antennenfernseher im Wohnzimmer erkennen.
Interessenten gäbe es in dem von Wohnraummangel geplagten Berlin
wahrscheinlich zur Genüge. Trotzdem steht die Wohnung schon seit Jahren
leer, genauso wie die drei anderen auf dieser Etage.
Mittlerweile ist es recht einsam geworden für Diekmann in dem Wohnblock in
der Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Von den insgesamt 106 Wohneinheiten
im Haus sind kaum noch welche belegt. Der Eigentümer will das Haus abreißen
und durch einen Neubau ersetzen, versucht seit Jahren, die
Bewohner:innen mit teils fragwürdigen Mitteln zum Auszug zu bewegen.
Doch Diekmann und die verbleibenden Mieter:innen wehren sich und
beharren auf ihren Mietverträgen.
Dabei ist die „Papageienplatte“, wie das Haus in der Habersaathstraße
früher aufgrund seiner bunt gekachelten Fassade genannt wurde, alles andere
als abrissreif. 1984 wurde der Plattenbau in der DDR als Schwesternwohnheim
für die nahegelegene Charité errichtet. Erst 2008 wurde das Gebäude
umfassend energetisch saniert. Die Kacheln wurden von Dämmmaterial
überdeckt, auf dem Dach lugt eine Photovoltaikanlage hervor.
„Das Haus ist einem soliden Zustand“, schätzt die Architektin Theresa
Keilhacker die Immobilie ein. Keilhacker ist Mitglied des Netzwerks
[1][„Aktiv für Architektur“] und setzt sich ebenfalls für den Erhalt der
Habersaathstraße 40–48 ein. Mehrmals war sie vor Ort, um das Gebäude zu
begutachten.
Berlin braucht dringend Wohnraum – oder vielmehr: bezahlbaren Wohnraum.
Gerade Mitte gehört zu den teuersten Bezirken Berlins. Nettokalt wurden
hier laut einer Auswertung des Immobilienportals [2][ImmobilienScout24]
durchschnittlich über 12 Euro pro Quadratmeter verlangt – und das, nachdem
die Preise infolge des Mietendeckels deutlich gefallen sind. Wer hier eine
Wohnung finden will, braucht sehr viel Glück – oder Geld. „Einige der
Mieterinnen arbeiten als Pflegerinnen in der Charité“, erklärt Diekmann,
„gerade sie haben in der Pandemie keine Nerven, sich mit ihrer
Wohnsituation auseinanderzusetzen.“
Dass ein Investor vor diesem Hintergrund über hundert günstige Wohnungen in
zentralster Lage abreißen will, stößt nicht nur den verbliebenen
Bewohner:innen sauer auf. Auch der Bezirk will den Abriss verhindern.
Das 2014 [3][in Kraft getretene Zweckentfremdungsverbot] verbietet sowohl
den spekulativen Leerstand als auch den Abriss von „schützenswertem
Wohnraum“.
Doch was schützenswert ist, darüber lässt sich streiten. Die Eigentümerin,
die Arcadia Estates GmbH um den Unternehmer Andreas Pichotti, klagt gegen
das Abrissverbot vor dem Berliner Verwaltungsgericht. „Die Eigentümerschaft
argumentiert mit Brandschutzmängeln“, erklärt Bezirksstadträtin Ramona
Reiser (Linke), „doch wenn solch ein Haus als nicht schützenswert gilt,
könnten wir hier im Bezirk und in der Stadt im Prinzip alles abreißen.“
Seit Einführung des Zweckentfremdungsverbots 2014 muss Abriss von Wohnraum
genehmigt werden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gibt
auf taz-Anfrage an, dass bis heute 1.353 Anträge bewilligt wurden – das
sind durchschnittlich über 200 Häuser pro Jahr. Verliert der Bezirk Mitte
vor Gericht in dem als Präzedenzfall geltenden Haus in der
Habersaathstraße, dürften es bald deutlich mehr sein. Denn so mancher
Antrag dürfte gar nicht erst gestellt worden sein.
Abriss und Neubau ist also schwer im Trend. Was ist aber der Grund für die
rege Bautätigkeit? Ist Berlin einfach nur zum neuen Hotspot der Reichen und
Schönen geworden, die in den Innenbezirken händeringend nach luxuriösem
Wohnraum suchen?
27 Mar 2021
## LINKS
[1] http://www.architektenfuerarchitekten.de/wordpress/
[2] https://www.immobilienscout24.de/unternehmen/news-medien/news/default-title…
[3] /Schaerferes-Zweckentfremdungsverbot/!5747309
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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