| # taz.de -- „Endlich umsetzen, was einst am Gelde scheiterte“ | |
| > Bettina Probst ist die neue Direktorin des Museums für Hamburgische | |
| > Geschichte. Mit der taz spricht sie über die geplante Neukonzeption des | |
| > Hauses und über brennende Autos | |
| Bild: Terror, Protest und/oder Zeitgeschichte: Das Museum für Hamburgische Ges… | |
| Interview Petra Schellen | |
| taz: Frau Probst, werden Sie das Museum für Hamburgische Geschichte endlich | |
| modernisieren? Pläne gibt es ja seit Generationen von DirektorInnen. | |
| Bettina Probst: Ja, denn jetzt ist das Geld da. Der Bund hat 18 Millionen | |
| Euro bewilligt, die Stadt gibt nochmal 18 Millionen dazu. Damit sind die | |
| Baumaßnahmen am und im Gebäude sowie die Neugestaltung der Dauerausstellung | |
| finanziert. Für vieles andere – Sonderproduktionen im Rahmen digitaler | |
| Medien oder die Restaurierung von Objekten – müssen wir allerdings | |
| Projekt-, Stiftungs- und Sponsorengelder einwerben. | |
| Welche Exponate bleiben, welche kommen weg? | |
| Die Kanonen werden ins Depot wandern, außerdem einige Schiffsmodelle und | |
| Dioramen. Stattdessen würde ich gern Objekte zeigen, die noch nie | |
| ausgestellt waren – wie das beim G20-Gipfel ausgebrannte Auto. Es ist ein | |
| eindrucksvolles Zeugnis einer umstrittenen Veranstaltung und einer für | |
| Hamburg typischen Protestkultur. Wir müssen das Wrack allerdings erst | |
| restaurieren, damit es keine giftigen Dämpfe ausdünstet. Generell kann ich | |
| sagen: Es wird weniger Exponate geben. Wir haben viele wunderbare Objekte, | |
| aber das Haus ist überfrachtet. | |
| Wie wird die neue Dauerausstellung aussehen? | |
| Im ersten Obergeschoss wird es einen thematisch-chronologischen Parcours | |
| mit Zeitstrahl geben, an dem man sich orientieren kann. Es geht uns aber | |
| nicht um das Aneinanderreihen von Ereignissen, sondern um Zusammenhänge. | |
| Zusätzlich soll es Verästelungen und Schwerpunkte geben: Objekte mit einer | |
| besonderen Geschichte, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Wir | |
| werden keine „Gesamtnarration“ anbieten; schließlich gibt es nicht „die | |
| eine“ Geschichte. Wir werden einerseits Themencluster mit Bezügen zur | |
| Gegenwart erstellen, andererseits wird es verschiedene Erzählstränge geben, | |
| die sich wie thematische Fäden durch die Ausstellung ziehen. Im zweiten | |
| Obergeschoss werden wir gezielter auf einzelne Schwerpunkte eingehen. | |
| Welche? | |
| Musikgeschichte zum Beispiel. Die kommt hier zu kurz – wobei wir natürlich | |
| auf das nahe Komponistenquartier mit seinen Ausstellungen zu Hamburger | |
| Komponisten verweisen werden. Auch fehlt die Geschichte der Medienstadt | |
| Hamburg, des Sports, der Vergnügungsstadt Hamburg. Die Cholera von 1892 | |
| wird Thema sein – mit Bezug zu Corona. Spannend finde ich auch die | |
| Geschichte des Bürgertums. | |
| Inwiefern? | |
| Wir wollen endlich umsetzen, was einst am Gelde scheiterte: die | |
| Präsentation zweier Räume der klassizistischen Landhaus-Villa Rücker nach | |
| den einstigen Plänen von Lauffer und Schumacher. Mit neuen | |
| Nutzungsmöglichkeiten im Museum zöge ein Stück Salonkultur ein, vielleicht | |
| mit Konzerten und Lesungen. | |
| Wie steht es um die Geschichte der Arbeiter, des Gängeviertels, der | |
| Hafenstraße? | |
| Das werden sicher Themen sein; sie gehören ja zur Geschichte der Stadt – | |
| wie auch Hamburg als Arrival City und die Migrationsgeschichte vieler | |
| Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen herkommen. | |
| Vertiefen Sie die Geschichte der Hamburger Juden? | |
| Zur Präsentation dieses Themas werden wir fachlichen Rat einholen. Dass es | |
| eine eigene Abteilung bleibt wie bisher, würde ich eher bezweifeln. Auch | |
| die Geschichte des Hafens werden wir nur anreißen. Sie ist im künftigen | |
| Hafenmuseum besser aufgehoben. | |
| Wie werden Sie mit der NS-Zeit umgehen? | |
| Sie wird definitiv mehr Raum einnehmen als bisher – wie das 20. Jahrhundert | |
| überhaupt. | |
| Wie wollen Sie Mythen brechen – wie die „Harmlosigkeit“ des NS-Gauleiters | |
| Karl Kaufmann? | |
| Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen. Aber wir werden keine Heroen | |
| feiern und keine Mythen befeuern. Sondern wir wollen schauen: Wie entsteht | |
| so ein Mythos und wie bricht man ihn? | |
| Und warum haben Sie das Berliner Humboldt-Forum im spannendsten Moment – | |
| kurz vor Eröffnung – verlassen? | |
| Das stimmt so nicht. Ich war ja zuständig für die Planung und Präsentation, | |
| Einrichtung und Umzug des Ethnologischen Museums und des Museums für | |
| Asiatische Kunst ins Humboldt-Forum. Da laufen die Planungen seit über zehn | |
| Jahren, und als ich ging, waren sie so gut wie abgeschlossen. Jetzt geht es | |
| um die Umsetzung des Umzugs und Details der Gestaltung. | |
| Wie beurteilen Sie die dortige Kolonialismus-Debatte? | |
| Auch wenn es anders wahrgenommen wurde: Es ist nicht so, dass sich die | |
| Wissenschaftler und Kuratoren nie mit der kolonialen Herkunft von Objekten | |
| befasst hätten. Das haben sie getan – wenn auch nicht in dem Maße, wie es | |
| jetzt gefordert ist. Da hinken die Ethnologen hinterher – was | |
| unterschiedliche Gründe hat: fehlende Ressourcen, finanzielle und | |
| personelle Unterstützung. Deshalb ist es gut, dass die Debatte aufgeflammt | |
| ist und eine Diskussion in Gang gesetzt hat. | |
| Welche Rolle wird Kolonialismus in der Neukonzeption des Museums spielen? | |
| Vor einiger Zeit wurde ein Wissenschaftler eingestellt, der sich um Aspekte | |
| der Kolonialgeschichte kümmert. Wir legen großen Wert darauf, seine | |
| Erkenntnisse in die Dauerausstellung zu integrieren. Eine andere Kollegin | |
| ist zuständig für Diversität und Partizipation, damit verschiedenste | |
| Gruppen der Stadtgesellschaft einbezogen werden – analog zum Community | |
| Manager im Altonaer Museum. | |
| Werden Sie Objekte ungeklärter, vielleicht kolonialer Provenienz kenntlich | |
| machen? | |
| Wenn wir das klar identifizieren können – ja. | |
| Werden Sie Einfluss auf die Kolonialismus-Erzählung des Hafenmuseums | |
| nehmen? | |
| Ich selber nicht, aber natürlich werden wir uns stiftungsintern mit den | |
| KollegInnen abstimmen. Übrigens auch in puncto thematischer | |
| Überschneidungen. Künftig verzichten wir auf die große Installation zur | |
| Erkundung des Hamburger Hafens. Um den Verbleib des Hafenmodells von 1900 | |
| werde ich allerdings kämpfen: Es wurde auf der Pariser Weltausstellung | |
| gezeigt und kann als Beispiel für Innovation und Stadtentwicklung gelten. | |
| Derzeit ist Ihr Museum wegen Corona geschlossen. Planen Sie einen | |
| virtuellen Rundgang? | |
| Nein, wir haben andere Prioritäten. Da wir die 5.000 Quadratmeter große | |
| Ausstellungsfläche sanieren müssen, habe ich keine Kapazitäten, jemanden | |
| mit der Digitalisierung der Dauerausstellung zu beauftragen. | |
| Wann starten die Bauarbeiten? | |
| Das müssen wir mit den Gestaltern und Architekten besprechen. Sicher ist, | |
| dass wir das erste und zweite Obergeschoss für rund zwei Jahre schließen | |
| müssen. Neben der Neukonzeption lautet unsere vordringliche Aufgabe also: | |
| Wie bleibt das Museum während der Schließungszeit in der Stadt präsent? | |
| Nämlich? | |
| Entsprechende Kommunikations- und Marketingstrategien sind in Arbeit. Dann | |
| müssen wir Anträge schreiben, um sie zu finanzieren. | |
| 29 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |