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# taz.de -- B wie Bürgermeisterin
> Die Grünen wählen Bettina Jarasch am Samstag zur Spitzenkandidatin. Für
> den Weg ins Abgeordnetenhaus schenken sie ihr dafür eigens designte
> Laufschuhe
Bild: Auf dem Onlineparteitag: Bettina Jarasch, die frühere Landesvorsitzende …
Von Stefan Alberti
Weiß sind sie, diese Turnschuhe, und ein grünes B ist drauf. „B“ wie
Bettina, wie Berlin und Bürgermeisterin. Bettina Jarasch hat sie am Samstag
von ihrer Partei geschenkt bekommen, nachdem die Grünen sie bei einer
digitalen Delegiertenkonferenz mit 96,6 Prozent nun auch offiziell zur
Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 gemacht haben. Die
Laufschuhe sollen Jarasch erst als Regierende Bürgermeisterin ins Rote
Rathaus tragen und dann ins Museum kommen – so jedenfalls der Plan der
führenden Grünen.
Als Vorbild gilt dabei der später Marathon laufende, zum Außenminister
avancierende und dabei in Kreuzberger Grünen-Kreisen nicht sonderlich
beliebte Joschka Fischer, der sich 1985 in Turnschuhen als hessischer
Landesminister vereidigen ließ – in „Nike“-Tretern, die seit Jahren bere…
im Museum stehen.
Was den Grünen bei ihrem von Fraktionschefin Antje Kapek und
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop überreichten Schuhgeschenk offenbar
durchging: In der Berliner Landespolitik, um die es bei der
Jarasch-Kandidatur geht, war ein ganz anderer mit Laufschuhen erfolgreich:
Mit der Kampagne „Diepgen rennt“ und dem Modell „Ebi-Runner“ lief der s…
fast abgeschriebene damalige Regierungschef Eberhard Diepgen die CDU bei
der Wahl 1999 zu seither nicht mehr erreichten 40,4 Prozent. Eine
Verbindung zu den Grünen gibt es allerdings: Diepgen schenkte auch dem
Grünen-Läufer Fischer ein Paar aus seiner Kollektion.
Die aktuelle Geschenkübergabe aber geht am Samstag im Hotel Estrel über die
Bühne, gut zwei Monate nachdem Landes- und Fraktionsvorstand Jarasch
überraschend für die Spitzenkandidatur vorschlugen. Ende Oktober kamen die
rund 150 Grünen-Delegierten im Estrel noch in echt zusammen, als es um die
Wiederwahl der Parteichefs Werner Graf und Nina Stahr ging.
Nun sitzen angesichts verschärfter Coronalage außer Jarasch und der
Führungsriege nur unbedingt notwendige Parteimitarbeiter und Techniker im
Saal. Nur zwei Wochen ist es her, dass an selber Stelle die SPD Franziska
Giffey zu ihrer Landesvorsitzenden wählte. Da würden immer noch die
Hinweise hängen, witzelt Parteichef Graf zwischenzeitlich, „zur SPD rechts,
zu den Grünen links“.
Wo sich damals Giffey ihren Delegierten vor den Bildschirmen zu Hause
präsentierte, steht an diesem Samstag Jarasch. Ähnlich ist das rote Kleid,
wenn auch in einem blasseren Ton. Anders ist der Auftritt: Sprach Giffey
frei und sehr gestenreich neben dem Rednerpult, steht Jarasch dahinter,
stützt sich darauf, schaut zwischenzeitlich auf Zettel vor sich.
Jarasch will eine grünere, eine gerechtere und sozialere Stadt, auch eine
sicherere mit mehr Polizei auf der Straße, eine mit weniger Autos und
besseren Verkehrsverbindungen. Von autofrei ist nicht die Rede:
„Pflegerinnen und Klempner, die wirklich auf ihr Auto angewiesen sind“,
sollen sogar schneller durch die Stadt kommen, verspricht sie. Zudem soll
gelten: „Ohne soziale Nachhaltigkeit keine ökologische Transformation“ –
einfacher gesagt: Der Klimaschutz soll für jeden bezahlbar sein. Das wirkt
gleich doppelt wie eine Reaktion auf Kritik von der SPD, das grüne
Mobilitätskonzept würde solche Berufsgruppen zu sehr vergessen und zudem
finanziell überfordern.
Im Kern ist das von den Zielen her nicht viel anders als bei Giffey. Wobei
Jarasch die SPD als unredlich attackiert und direkt anspricht – „das
Gegenteil von Verantwortung, liebe Genossinnen und Genossen, ist, wenn Ihr
jetzt so tut, als wärt Ihr Opposition“. Schon andere Kritiker haben Giffey
vorgehalten, sich von bisheriger Berliner SPD-Politik zu distanzieren.
Unterschiedlich aber ist der Ansatz, ist der Politikstil, den Jarasch
skizziert. Sie will nicht die mit den großen Ansagen sein, die Richtung
vorgeben. Sie will das ausspielen, was sie als ihre Stärke ansieht:
Menschen zusammenbringen, gemeinsam zu Ergebnissen kommen. Als
Brückenbauerin hat sie, die frühere erfolgreiche Landesparteivorsitzende,
sich schon vorher oft empfohlen, ein kurzer Werbeclip der Partei greift den
Begriff ebenfalls auf. „Weil wir wissen, dass wir das allein nicht
schaffen, gehen wir raus und schließen Bündnisse“, sagt Jarasch. Man werde
Kompromisse machen, auch schmerzhafte. Das ist aus ihrer Sicht
unumgänglich, denn: „Es geht um nicht weniger, als den Planeten zu retten.“
Jede Zeit habe ihre Farbe, und die jetzige ist aus Jaraschs Sicht grün. In
dieser Zeit zu führen heiße, „die Bündnisarbeit zur politischen Methode zu
machen“. Schon mehrfach hat Jarasch auf diese Weise die Kritik gekontert,
sie verfüge über keine Erfahrung in der Verwaltung einer Stadt oder
Behörde. „Es ist ein überholtes Politikverständnis, dass sich Können, Mac…
und Einfluss immer nur von Ämtern ableiten“, sagte sie etwa im November im
taz-Interview. Wie in kurzen einführenden Worten auch ihr Parteichef Graf
hält Jarasch allein die Grünen für fähig, die Probleme Berlins zu lösen –
wer solle es denn sonst machen? Die Grünen seien „die Berlin-Partei“, sagt
sie – ein Titel, den bisher die SPD für sich reklamierte.
Anders als ihre SPD-Kollegen bei Giffey müssen die Grünen-Delegierten nicht
vom Sofa runter und vom Bildschirm weg, um Jarasch zu wählen – das geht an
diesem Tag binnen Sekunden via Internet. Was daran liegt, dass der dabei
abgestimmte Titel „Spitzenkandidatin“ kein offizieller aus dem Wahl- und
Parteienrecht ist, bei dem die Wahl an genaue Vorgaben gebunden ist wie bei
Giffey und dem Landesvorsitz: Dabei ist eine digitale Wahl noch nicht
erlaubt.
Ihren Ansatz mit dem Bündnisseschmieden will Jarasch schon vor einem
Wahlsieg verwirklichen, bei dem sie als Regierende Bürgermeisterin nicht
nur die erste Grüne, sondern auch die erste regierende Frau im Roten
Rathaus wäre: Ein „Klima-BürgerInnenrat“ soll noch vor dem Herbst 2021
entstehen, die Grünen-Fraktion habe das am Dienstag auf ihren Antrag hin
beschlossen. Wann die rot-rot-grüne Koalition insgesamt dem folgt, ist
offen. Zu „radikal-vernünftigen Lösungen“ soll es in diesem Rat kommen.
Die Turnschuhe, die Jarasch ins Rote Rathaus tragen und dann ins Museum
wandern sollen, würden übrigens – anders als Fischers im Deutschen
Ledermuseum in Offenbach abgestelltes Nike-Exemplar – in Berlin bleiben,
sogar in Reichweite des Amtssitzes. Das jedenfalls legt Fraktionschefin
Silke Gebel fest, die am Samstag den Parteitag leitet: Sie sollen ins
Deutsche Historische Museum – nur 600 Meter vom Amtssitz entfernt auf der
anderen Straßenseite Unter den Linden. Das ist also schon mal geklärt.
Jetzt fehlt bloß noch der Wahlsieg. inland 7
14 Dec 2020
## AUTOREN
Stefan Alberti
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