# taz.de -- Intuition und Kalkulation | |
> Vor zehn Jahren eröffnete Tanja Wagner ihre Galerie nahe der Potsdamer | |
> Straße. Eine stolze Leistung – zumal sie noch immer nur einen Mann auf | |
> ihrer bemerkenswerten Künstler*innenliste stehen hat | |
Bild: Galeristin Tanja Wagner in der Ausstellung „How to Human“, im Hinterg… | |
Von Beate Scheder | |
2020 ist kein gutes Jahr für feierliche Anlässe. Aber was soll man machen, | |
wenn der runde Geburtstag ausgerechnet mitten hinein in die zweite Welle | |
der Coronapandemie fällt? Keine große Party, aber dafür eine Ausstellung, | |
die das bisher Geschehene zusammenfasst, gleichzeitig aber noch deutlicher | |
in die Zukunft weist, lautet die Antwort im Falle der Galerie Tanja Wagner. | |
Zehn Jahre wird diese in diesem Herbst; „How to Human“ heißt die | |
Gruppenausstellung zum Jubiläum, die noch bis Mitte Februar in der Galerie | |
und zusätzlich in deren [1][Online-Viewing-Room] zu besuchen ist. | |
„How to Human“ – darum geht es auch, darum, was es bedeutet, ein Mensch zu | |
sein, wie das überhaupt geht in unserer Zeit. Die Auseinandersetzung mit | |
solchen Fragen bildet die Klammer, mit der die Künstler*innen der Galerie | |
zusammengehalten werden. | |
In den Sinn kommen könnte einem bei dieser Einleitung und wenn man das | |
Programm der Galerie kennt, vielleicht als Erste die Bosnierin Šejla | |
Kamerić. An sie könnte man denken, weil Kamerićs Arbeiten, vor allem ihre | |
bekannteste, „Bosnian Girl“ (2003), wohl keine*r vergisst, der oder die sie | |
einmal gesehen hat. Bei „Bosnian Girl“, inzwischen angekauft von der Tate | |
Modern, handelt sich um ein schwarz-weißes Porträt der Künstlerin, auf dem | |
der Text eines Graffitis prangt, das ein niederländischer Nato-Soldat in | |
Srebrenica auf eine Kasernenmauer sprühte: „No teeth...? A mustache...? | |
Smel like shit...? Bosnian Girl!“ Kamerićs Beitrag zu „How to Human“ ist | |
ähnlich direkt, plakativ im bestmöglichen Sinne – ein Schriftzug aus | |
Neonröhren, der im Schaufenster hängt: „Refugees Welcome“ heißt er, | |
tatsächlich steht da aber „WILLCOME“, mit blinkendem „ILL“. | |
Tatsächlich ist es eine Arbeit, die bei vielen Besucher*innen starke | |
Reaktionen auslöse, erzählt die Galeristin bei einer Tour durch die | |
Ausstellung. Besuchen sollte man diese aber natürlich nicht nur deswegen. | |
Zu sehen sind Werke aller neun Künstler*innen der Galerie, von Kapwani | |
Kiwanga etwa, die 2018 mit dem Sobey Art Award, einem der wichtigsten | |
nordamerikanischen Kunstpreise, ausgezeichnet wurde, oder von Grit Richter, | |
mit deren Einzelausstellung „Mixed Feelings“ Wagner im September für den | |
VBKI-Galerienpreis nominiert war. | |
Zehn Jahre, das ist für eine Galerie mittlerweile eine lange Zeit. Eine | |
Galerie zu eröffnen erfordert Mut, die wirkliche Herausforderung aber – | |
davon zeugen die vielen Beispiele derjenigen, die wieder zugemacht haben – | |
ist es offenbar, durchzuhalten. Durchzuhalten, auch wenn auf die ersten | |
zwei vom Enthusiasmus geprägten Jahre jene drei folgen, die Wagner die | |
schwersten nennt, die Jahre, in denen man auf Hindernisse stößt und | |
verschlossene Türen, wenn es finanziell schwieriger wird. Im Rückblick sei | |
es ihre größte Errungenschaft, „dass ich durch all diese Höhen und Tiefen | |
durchgegangen bin und gesagt habe: Nein, wir machen weiter.“ | |
Wagner hat Kunstgeschichte studiert, kam schon währenddessen über ein | |
Praktikum an die Galerie Max Hetzler, blieb dort, stieg nach ihrem | |
Abschluss für drei Jahre voll ein. Dann wuchs der Wunsch, sich | |
selbstständig zu machen, sich nicht mehr nur mit etablierten Positionen zu | |
beschäftigen, sondern die eigene Generation auszustellen. | |
Eigentlich will sie das gar nicht so recht als Statement verstanden wissen, | |
aber von Anfang an bedeutete das bei ihr auch: weibliche Perspektiven | |
auszustellen. „Eine Kollegin, die bereits eine Galerie hatte, hatte mir | |
gesagt, sie würde ja gerne mehr Künstlerinnen ausstellen, aber es gäbe eben | |
nicht so viele gute“, erzählt sie. Das habe bei ihr einen Trigger ausgelöst | |
und sie habe sich gefragt, ob es ihr auch so gehe und beschloss, „bewusst | |
zu schauen“. Und wurde fündig. Mit fünf Künstlerinnen, von denen Kamerić | |
und die Malerin Angelika J. Trojnarski noch heute dabei sind, ging sie im | |
Herbst 2010 an den Start. | |
Programmatisch war auch da schon der Titel der Gruppenausstellung: „Die Tür | |
geht nach innen auf“ lautete er. „Damals, vor allem in den 2000er Jahren, | |
den goldenen Jahren des Kunstmarkts, war alles wahnsinnig laut, sehr pushy, | |
sehr nach außen gerichtet, klassisch männlich, könnte man sagen“, sagt sie. | |
„Darauf hatte ich überhaupt keine Lust. Ich wollte mich weder in der | |
Konkurrenz so einreihen noch diesem Druck aussetzen.“ | |
2011 eröffnete sie die erste Einzelausstellung eines männlichen Künstlers. | |
Ulf Aminde ist weiterhin der einzige Mann in ihrem Programm. Und das ist | |
tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal. In einer jüngst erschienenen Studie | |
zur Situation der Galerien in Deutschland, herausgegeben vom Institut für | |
Strategieentwicklung steht es schwarz auf weiß: Nur 35 Prozent beträgt der | |
Anteil von Künstlerinnen in den Programmen, was allerdings im Vergleich zur | |
Vorgängeruntersuchung vor sieben Jahren ein Fortschritt ist. Damals waren | |
es 25 Prozent. | |
Und womöglich auch ein Grund, warum Wagner keine wirklichen Vorbilder unter | |
Kolleg*innen finden konnte. Ihren Weg gestaltete sie mehr oder wenig aus | |
dem Bauch heraus, so weit das eben geht, wenn man ein Business zu führen | |
hat: „Ich glaube, dass das die große Herausforderung einer Galerie ist: | |
zwischen Intuition und ganz konkreten Kalkulationen den goldenen Mittelweg | |
zu finden und Entscheidungen zu treffen, ganz klar ins Risiko zu gehen, | |
aber dann auch einen Strich zu ziehen.“ | |
2020 war die vielleicht noch ein wenig größer oder zumindest etwas anders | |
gelagert. Im März musste sie wie alle Galerien schließen. Sichtbar und in | |
Verbindung zu bleiben, wurde da umso wichtiger und komplizierter. „Wild“ | |
nennt sie das Jahr und es passt, dass sie ein Adjektiv wählt, das nicht | |
eindeutig negativ oder positiv ist. Etwas Gutes abgewinnen kann sie der | |
Zeit, die alles auf den Kopf gestellt hat, durchaus, weil Strukturen | |
durchbrochen wurden, das Hamsterrad von Eröffnungen, Messen, Reisen, Zeit | |
zum Experimentieren war, spielerische Zugänge wieder möglich wurden, online | |
zum Beispiel, aber nicht nur, so wie sie es ja auch jetzt mit „How to | |
Human“ tut. | |
Was sie als Nächstes plant? Erst einmal durchatmen. | |
Galerie Tanja Wagner, Pohlstr.64, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 13. Februar 2021 | |
1 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://tanjawagner.com/viewing-room/how-to-human/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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