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# taz.de -- Drehorgeln und U-Bahnen
> „Subway to Heaven“ im Theater Thikwa ist ein Porträt eines Schauspielers
> und ein lautes Denkenüber den Sinn des Theaters. An den längst nicht alle
> glauben, die Theater machen
Bild: Martin Clausen und Torsten Holzapfel in einer ersten Übung der Annäheru…
Von Katrin Bettina Müller
Also darüber, was für ein Theater man spielen will, sind sie sich schon mal
nicht einig. Aber wie sich die beiden Schauspieler Torsten Holzapfel und
Martin Clausen darüber austauschen in ihrem Stück „Subway to Heaven“, mac…
ihren Dialog zu einer runden Sache. Martin Clausen steht eher so auf
Minimalismus und offenen Konzepten. Wie das Monster aus Loch Ness stellt er
sich Theater vor, man sieht ein bisschen was davon, aber eigentlich weiß
man gar nichts. Torsten Holzapfel hingegen ist kein Freund von „modernem
Theater“, wo der Zuschauer zwar bezahlen, dann aber doch seine eigenen
Bilder mitbringen muss. Er schlüpft gerne in eine Rolle, Liebhaber oder
Bösewicht, und spielt gerne für den Zuschauer und den Applaus.
Ihr Stück ist dann wunderbarerweise beides. Eine offene Situation, die
nicht ahnen lässt, wohin die Reise geht, und doch auch gefüllt mit
Geschichten.
Nein, das ist kein Theaterdiskurs von René Pollesch, sondern ein Abend im
Thikwa-Theater. Inszeniert hat Gert Hartmann, dem Thikwa als Regisseur seit
1993 verbunden und seit 2012 künstlerischer Leiter, zusammen mit Nicole
Hummel. Dass offen ausgehandelt wird, was für eine Kunst man will, ist
nicht untypisch für die Stücke des Theaters Thikwa, für Schauspieler mit
und ohne Behinderung. Und damit sind sie immer auf der Höhe des
zeitgenössischen Theaters.
Ein prächtiges Bühnenbild, wie es Karl Friedrich Schinkel für Mozarts
„Zauberflöte“ gemalt hat, wünscht sich Holzapfel. Höre er da etwa eine
Kritik an der eigenen Veranstaltung, fragt Clausen, denn die beiden haben
nur einen Tisch und zwei Hocker. Und ein Stückchen Kreide, mit dem am
Anfang der Grundriss einer Wohnung aus dem Märkischen Viertel auf den Boden
gezeichnet wird. Martin setzt sich da drin auf einen Hocker, Torsten
umkreist ihn mit Fragen. Es geht um Geborgenheit, aber das Bild ist auch
bedrohlich, erzählt von Verhör und Kontrolle. Und nach und nach schält sich
das Bild einer Kindheit heraus, die eingesperrt begann in einem Zimmer ohne
Fenster, mit vielen Prügeln. „Gewalt ist wie Feuer“, sagt Torsten
Holzapfel, „sie wärmt auch und ist einfacher als Liebe.“ Wer so
aufgewachsen ist, fremdelt erst mal mit Zuwendung und Nähe.
In dieser Episode schlüpft Martin Clausen in die Rolle von Torsten
Holzapfel, dem geprügelten Kind. Und in diesem Fall ist das eine Form von
Hilfestellung, eine Geschichte zu erzählen, die Holzapfel in ganz weite
Ferne von sich rückt.
Er sei Anstreicher und Tapezierer gewesen, bevor er 1991 zum Theater Thikwa
kam, erzählt Holzapfel von sich; praktisch denkt Clausen laut, da könne er
immer noch Heizkörper streichen, falls kein Geld mehr für das Theater
ausgegeben wird. Holzapfel ist empört, lieber spiele er mit Requisiten aus
dem Müll und Texten, aus denen schon die meisten Buchstaben herausgefallen
sind. Dann unterhalten sie sich eine Weile mit den Restbuchstaben. Das ist
so gaga, wie es dada ist.
## Leidenschaft für die U-Bahn
Ab und zu tanzen beide Männer ein wenig, riskieren körperliche Nähe,
vorsichtig, tauschen sich über Berlin aus und spielen Drehorgel.
Möglicherweise wäre Holzapfel gern im Berlin der 1920er Jahre zu Hause, mit
solcher Begeisterung dreht er die Kurbel. Aber er hat auch eine
Leidenschaft für die U-Bahn und den U-Bahn-Bau, stundenlang kann er an
Baustellen mit den Arbeitern reden. Und während er erzählt, wie er in der
U-Bahn von Warschau verhaftet wurde, weil seine Euphorie und Aufregung sein
Verhalten verdächtig erscheinen ließen, spannt Martin Clausen Seile durch
den Raum, die ein weltweites Netz von U-Bahn-Linien symbolisieren. Für den
Proletarier, sagt Holzapfel dann, sieht das aus wie Wäscheleinen, für den
Künstler aber sind das Verbindungslinien, die auch etwas von Zärtlichkeit
haben. Er hat beide Sichtweisen in sich.
30 Leute verfolgten diese Vorstellung am Wochenende mit großem Vergnügen im
kleinen Theater Thikwa. Mehr als 30 Leute gehen unter den Hygieneregeln
nicht, meistens sind die Vorstellungen ausgebucht. „Subway to Heaven“ ist
ein Repertoirestück von 2014, das dieses Jahr, wäre Corona nicht, auf
Gastspielreise nach Russland gegangen wäre. Die Reise wird jetzt
verschoben.
Im Foyer hängen zwei Mitteilungen: dass die beiden Schauspieler, weil sie
sich in dem Stück nahekommen, coronagetestet in die Aufführung gehen. Und
dass das Theater Thikwa 2019 den Theaterpreis des Bundes erhalten hat.
Als Theaterredakteurin suche ich für die Besprechungen auf dieser Seite
meist Premieren aus. Dass „Subway to Heaven“ nicht neu war, merkte ich
diesmal erst vor Ort. Aber dann war es wie ein Wink des Schicksals, denn
irgendwie ist es das Theater, das man jetzt braucht: erzählerisch,
reflexiv, voll von Gesten der Unterstützung, voller Zweifel am Sinn des
eigenen Tuns, aber auch unterhaltsam, liebevoll, trostreich.
21 Oct 2020
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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