# taz.de -- Alessandra Korap Munduruku: „Der Kolonialismus hat nie geendet“ | |
> Sie kämpft als Munduruku-Indigene gegen die Zerstörung des | |
> Amazonas-Regenwaldes. Alessandra Korap Munduruku fordert von der | |
> deutschen Regierung, Soja und Fleisch aus Brasilien zu boykottieren | |
Bild: Alessandra Korap Munduruku (links) und der Verein Ökolöwe Leipzig (rech… | |
Von Niklas Franzen | |
Angst habe Alessandra Korap keine mehr. Zu viele Morddrohungen habe sie | |
erhalten, zu lange seien Kopfgelder auf sie ausgesetzt worden. „Und wenn | |
ich jetzt still bin“, sagt sie der taz am Telefon. „haben sie gewonnen.“ | |
Die 36-Jährige ist Vertreterin der Munduruku-Indigenen und eines der | |
bekanntesten Gesichter des Kampfes für den Amazonas-Regenwald. | |
Korap wuchs am Ufer des Tapajós-Flusses im Norden von Brasilien auf. | |
Aktivistin sei sie seit ihrer Geburt. Lange Zeit traute sie sich jedoch | |
nicht, öffentlich zu sprechen. „Auf den Versammlungen im Dorf gab es keinen | |
Platz für uns Frauen. Gesprochen haben immer nur die Männer.“ Doch als auch | |
in ihrem Gebiet die Bagger anrollten, um den Regenwald zu vernichten, | |
ergriff die kleine Frau mit dem tätowierten Gesicht immer öfter das Wort – | |
und erkämpfte sich ihren Platz. Heute, sagt sie, kämpfen viele Frauen an | |
vorderster Stelle mit. | |
Dass Korap zur Vollzeitaktivistin avancierte, hat verschiedene Gründe: | |
Staudämme und Bergbauprojekte verschmutzen die Natur, Goldschürfer und | |
Holzfäller dringen gewaltsam in indigene Gebiete vor, immer mehr | |
Waldflächen weichen Kuhweiden und Sojafeldern. Eine Bahntrasse, die | |
sogenannte Ferrogrão (Eiserne Bohne), soll quer durch das Gebiet der | |
Munduruku gebaut werden. Das Ziel: Soja aus dem Süden zu den Häfen am | |
Tapajós-Fluss zu transportieren und von dort nach Europa und China zu | |
verschiffen. Am schmutzigen Geschäft in Amazonien sind auch zahlreiche | |
ausländische Firmen beteiligt. „Der Kolonialismus hat nie geendet“, lautet | |
Koraps Urteil. | |
Im vergangenen Jahr zog die Aktivistin mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen | |
nach Santarém, einer 300.000-Einwohner*innen-Stadt mit schnuckeliger | |
Altstadt und schönen Stränden an der Mündung der Flüsse Tapajós und | |
Amazonas. An vieles musste sie sich hier erst gewöhnen: Lebensmittel im | |
Supermarkt kaufen, Miete bezahlen, wenig Platz. An der Universität studiert | |
sie nun Jura. „Um die Gesetze zu verstehen, die die Weißen lehren, aber | |
nicht respektieren.“ | |
## Folgenreiche Reden | |
Am 20. September 2019 sprach sie am Brandenburger Tor vor 270.000 Menschen | |
auf der Abschlusskundgebung des globalen Klimastreiks. „Ich habe noch nie | |
so viele weiße und blonde Menschen gesehen“, sagt Korap und lacht. „Es tat | |
gut zu sehen, dass wir nicht alleine sind.“ Auch Deutschland habe eine | |
Verantwortung. So profitierten zahlreiche deutsche Unternehmen direkt vom | |
Raubbau des Regenwaldes. Die Deutschen, fordert Korap, sollten Soja und | |
Fleisch aus Brasilien boykottieren. Dafür eintreten, dass das umstrittene | |
EU-Mercosur-Freihandelsabkommen gestoppt wird. Und Druck auf Brasiliens | |
Regierung aufbauen, notfalls auch mit Sanktionen. | |
Wenn Korap über den Wald spricht, kann es schon einmal lauter werden. 2019 | |
faltete sie im Parlament hochrangige Politiker*innen zusammen. Ein anderes | |
Mal ging sie eine Bergbaufirma an. Ein Video ihrer Rede ging viral. Es | |
folgten Morddrohungen. Kurz danach wurde sogar bei ihr eingebrochen, das | |
Haus verwüstet, Dokumente, eine Speicherkarte und ein Handy entwendet. | |
Korap ist sicher: „Das war eine Warnung.“ Für kurze Zeit musste sie | |
untertauchen. Heute vermeidet sie öffentliche Auftritte, teilt ihren | |
Standort nicht mit. | |
Dass Menschen wie Korap bedroht, verfolgt und manchmal sogar ermordet | |
werden, hat auch mit einem Mann zu tun: Präsident Jair Bolsonaro. Bereits | |
im Wahlkampf tönte der Rechtsradikale, keinen weiteren Zentimeter Land als | |
Schutzgebiet für indigene Gemeinden ausweisen zu lassen, beschimpfte | |
Indigene auf rassistische Weise, wetterte gegen Umweltschützer*innen. Seit | |
seinem Amtsantritt 2019 baut seine Regierung systematisch | |
Umweltschutzmaßnahmen ab und kämpft für eine kommerzielle Ausbeutung des | |
Amazonas-Regenwaldes. Die Politik der Regierung hat direkte Konsequenzen | |
für die indigene Bevölkerung. Anfang Oktober stellte der Indigene | |
Missionsrat CIMI in einem Bericht fest, was für viele ohnehin klar war: Die | |
Gewalt gegen Indigene ist mit der Präsidentschaft Bolsonaros massiv | |
gestiegen. | |
Allerdings hätte die Zerstörung ihrer Heimat bereits vor Bolsonaro | |
begonnen, betont Korap. Auch die sozialdemokratische Arbeiterpartei PT ließ | |
Staudämme bauen und hofierte das Agrobusiness. Demokratie, meint die | |
Aktivistin, habe für Indigene in Brasilien noch nie existiert. Auch deshalb | |
wird sie weiterkämpfen. „Ich werde nicht zulassen, dass sie uns | |
auslöschen.“ | |
Die Initiative im Netz: aswnet.de/projekt/faorindigenefrauen | |
10 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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