# taz.de -- Autohass und Abfallinseln | |
> Der Wolfsburger Kunstverein macht den Energieverbrauch zum Jahresthema. | |
> Zum Auftakt zeigt er eine umfangreiche Ausstellung der Künstlerin Folke | |
> Köbberling. Die Autohasserin zerlegt Pkws und lässt Studierende | |
> „Südseeinseln“ aus Abfall errichten | |
Bild: Folke Köbberlings gemeinsam mit Studierenden errichteten „Südseeinsel… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
„Alles eine Frage der Energie“ lautet das wie stets politisch grundierte, | |
der aktuellen Weltlage entlehnte Jahresthema des Kunstvereins Wolfsburg. Es | |
ist, auch wie immer, mehrdeutig, denn was ist eigentlich Energie, und vor | |
allem: Welchen, auch metaphorischen, Gebrauch einer Energie gibt es in der | |
Kunst oder durch Künstler*innen? | |
Nicht erst seit Klimaaktivistin Greta Thunberg weltweit Jugendliche | |
freitäglich zum Schulstreik aufforderte, ist der globale, ungebremst | |
steigende Verbrauch von Endenergie für die individuelle Mobilität zur | |
Gewissensfrage mit brisantem Schampotenzial geworden. Eine sichtbare Folge: | |
Sogar in der Autobauerstadt Wolfsburg werden Radwege angelegt. Und deren | |
Oberbürgermeister Klaus Mohrs lässt längst seinen Dienstwagen – ein Hybrid | |
mit Benzinmotor und Elektroantrieb – zumindest zeitweilig stehen und radelt | |
morgens eine durchaus beachtliche Strecke zu seiner Dienststelle. | |
Zur Fraktion echter Autohasser*innen zählt die Künstlerin Folke Köbberling, | |
der im Wolfsburger Kunstverein eine umfangreiche Einzelausstellung gewidmet | |
ist. Dieser Aspekt durchzieht das Schaffen der 1969 in Kassel Geborenen. | |
Dort, an internationalen Universitäten sowie in Berlin hat sie Kunst und | |
Architektur studiert und ist seit 2016 Professorin am Institut für | |
Architekturbezogene Kunst der TU Braunschweig. | |
Köbberling geht es in ihren Auseinandersetzungen mit dem Automobil nicht | |
primär darum, diese Form individueller Motorisierung anzuprangern. Sie | |
interessiert sich für strukturelle Problemlagen, so, welche Dominanz | |
Fahrzeug und Individualmotorisierung in unserer Lebenswelt entfaltet haben, | |
wie viel Platz sie in unseren Städten einfordern, welche Formen kollektiver | |
Mobilität, etwa ganze Bahnsysteme, in der Folge für obsolet erklärt wurden. | |
Dazu entwickelt Köbberling aktionistische Formate und materialisierte | |
Realisate, denen eine Ästhetik des Umcodierens, Improvisierens und | |
kritischen Impulses in neue Kontexte zu eigen ist. | |
Zu Köbberlings künstlerischer Vita zählen auch viele internationale | |
Stipendien, die sie mit ihrer Familie absolvierte. 2010 wurden ihre zwei | |
Kinder dann schon mal Teil eines Selbstversuchs: In Los Angeles legten die | |
beiden ihren fünf Kilometer langen, täglichen Schulweg per Fahrrad zurück. | |
Und Köbberling drehte ein Video: Außer den Kindern keine menschliche Seele | |
auf der ganzen Strecke – allerdings jede Menge Personen in Autos. Die | |
schüttelten dann nur den Kopf: Können sich diese Eltern denn kein Auto | |
leisten, um ihre Kinder zur Schule zu fahren? | |
Zumindest in den USA ist das Auto auch immer noch ein Statussymbol des | |
„American Way of Life“ – und daran wird sich so schnell nichts ändern, | |
meint Köbberling. Sie drehte dort ein weiteres Video: Eine Fahne schwenkend | |
versucht sie, den durchfahrenden Zug im Örtchen Marfa zu stoppen. Denn vor | |
langen Jahren hatte er hier noch eine Haltestelle. Mittlerweile sind 80 | |
Prozent der alten Stationen aufgegeben, die kleinen Orte entlang der | |
Bahnstrecke zwischen L. A. und Alpine wurden zu Geisterstädten. | |
Dem Fetisch Auto setzte Köbberling, zusammen mit ihrem Partner Martin | |
Kaltwasser, dann auch ganz physisch zu. In Santa Monica zerlegten beide und | |
viele weitere Helfer einen alten Saab, fertigten aus den Einzelteilen zwei, | |
wenngleich wenig behänd anmutende, so doch offensichtlich funktionsfähige | |
Fahrräder. Ein Zeitrafferfilm dokumentiert den drei Monate dauernden | |
Prozess, die beiden Räder sind in Wolfsburg zu sehen. | |
Seit 2018 zerlegt Köbberling nun an ihrem Braunschweiger Institut ein Auto, | |
das sie für eine Ausstellung in Berlin – dann wieder als Ganzes – benötig… | |
wird. Mit den Einzelteilen pendelt sie derweil zu Fuß, per Bus und Bahn in | |
die Hauptstadt, Fotos dokumentieren die Transporte sowie Reaktionen | |
Mitreisender. Dabei vermeide sie allerdings, ihren gleichfalls pendelnden | |
Professoren-Kolleg*innen zu begegnen, sagt Köbberling, denn die wenigsten | |
hätten wohl Verständnis für ihre Aktion. Auch 200 ihrer Studierenden ließ | |
sie in untypischer Weise ihre Autos bedienen: Im April 2017 mussten sie | |
ihre 44 Gefährte von der Hauptstraße bis in das idyllisch im Wald gelegene | |
Institut schieben. Natur, Bewegung und körperliche Anstrengung sollten so, | |
verändert, wahrgenommen werden. | |
Natürlich fallen einem spätestens hier Vorbilder der Köbberling’schen Kunst | |
ein. 2003 schob der in Mexiko lebende Belgier Francis Alÿs einen roten | |
VW-Käfer durch die Straßen Wolfsburgs. Die per Video für das örtliche | |
Museum aufgezeichnete Aktion war der Verweis auf eine Arbeit aus Mexiko: | |
Ein roter Käfer fährt immer wieder einen öden Hügel in Tijuana herauf, um | |
die US-Grenze zu erreichen. Just unter der Kuppe verzagt er in seiner | |
Bewegung und rollt den Hügel wieder rückwärts herunter, das Ziel wird nie | |
erreicht. Dieser moderne Sisyphos ist für Alÿs das bittere Gleichnis für | |
das ewige Scheitern des Schwellenlandes Mexiko an seinem nördlichen | |
Nachbarn. | |
Solch chiffrierte Botschaft scheint Folke Köbberlings Sache nicht. Aber sie | |
lässt reizvolle Artefakte entstehen, etwa die Bekleidung der ungeschützten | |
Rückseite des Wolfsburger Billen-Pavillons während der letztjährigen | |
Sommerbespielung. Hier verwendete sie Schafwolle deutscher Produktion: | |
Abfall, da es für sie keinen Markt gibt. Und sie scheint eine inspirierende | |
Multiplikatorin: Mit Ausrangiertem und Müll bauten ihre Studierenden 2019 | |
diverse „Südseeinseln“ (im Südsee bei Braunschweig), die im Raum für | |
Freunde dokumentiert sind. Alles eine Frage der Kunst. | |
Ausstellung „Folke Köbberling: Lifestyle is negotiable“: bis 10. 5., | |
Wolfsburg, Kunstverein | |
3 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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