# taz.de -- Menschtierknoten auf dem Weg ins Chthuluzän | |
> Hat der Mensch der Zukunft Platz zwischen Steinen, Pflanzen und Tieren? | |
> Am Schauspiel Hannover macht sich Kevin Rittberger auf die Suche nach | |
> Chancen des Überlebens | |
Bild: Mit Steinen, Pflanzen und Tieren verknotet, vernetzt und verstrickt: Ritt… | |
Von Jens Fischer | |
Warum im Theater nicht mal fundierende Theoriearbeit leisten und statt | |
handelnder Figuren komplexe Diskurse in verzwickter Ambivalenz auf die | |
Bühne stellen. Das fragten sich Texter und Regisseur Kevin Rittberger, die | |
Dramaturgin Nora Khuon und die Choreografin und Bühnenbildnerin Dasniya | |
Sommer. | |
Ihre Antwort ist ein Projekt zur „Menschtierverknotung“ am Schauspiel | |
Hannover: „The Männy“. Fünf Schauspieler*innen machen auf der von | |
Juteseilen durchzogenen und mit Baumwurzeln geschmückten Bühne gleich mal | |
deutlich, dass geplatzte Beziehungen, prekäre Lebensverhältnisse, übel | |
drangsalierender Schnupfen nicht hineingehören ins Konzert des großen | |
Räsonierens über diese „irre komplett kaputtzerstörte Welt“. Es soll | |
schließlich eine Zukunft für sie erdacht werden, die das Leben der Menschen | |
einschließt, Chancen des Überlebens vorgestellt und also nicht schwarz | |
gesehen werden will. | |
Von Science-Fiction-Untergangsszenarien wird daher abgesehen, aber durchaus | |
die bedrohliche Veränderung auf Erden konstatiert: der dramatische Schwund | |
der Arten und Ressourcen, das gleichzeitige Wachsen der Wüsten und | |
Klimawandelfolgen, kollabierende Biotope und ein Bevölkerungswachstum auf | |
geschätzt elf Milliarden Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts. Mal haben | |
sich Ensemble und Leitungstrio durch die Literatur gekämpft auf der Suche | |
nach Wegen in ein Post-Anthropozän, in dem Menschen zwar weiterhin in die | |
biologische, geologische, meteorologische Verfasstheit der Erde eingreifen, | |
aber mit dieser Macht verantwortungsvoll umzugehen gelernt haben. | |
Die Debattierenden sind ihren Ideen gemäß gewandet. Sehr viel Redeplatz | |
nimmt sich der jeansjackig alternativ mit einer eigenwilligen Irokesendelle | |
auf dem kahlen Haupt aufwartende Torben (Kessler). Eingeladen war er, den | |
real gewordenen Kommunismus auf dem besiedelten Mars zu testen, eine Vision | |
des Romans „Der rote Stern“ (1908) von Alexander Bogdanov. | |
In einem ausufernden Monolog wird aus seinem euphorischen Reisebericht ein | |
Abgesang an perfekt designte Ideologien. Klar, Torben erlebte die Marsianer | |
als Freie und Gleiche in einem maximal technisierten Wohlstandsdasein mit | |
kaum noch notwendigem Arbeitseinsatz. Jenseits von Ausbeutung und aller | |
Klassengegensätze: ein Paradies? Torben erzählt, sich unwohl gefühlt zu | |
haben. So würde das auf Erden nicht funktionieren, resümiert der | |
Altsozialist. Damit ist der marxistisch-leninistische Komplex schon mal | |
abgehakt. | |
Weiter geht es. Im Gärtnerinnenanzug erklärt die etwas esoterisch | |
angehauchte Anja (Herden), dass die Kritische Theorie zwar die Dinge | |
begreife, aber ohne sie zu fühlen. Deswegen spricht sie jetzt lieber von | |
Kraftfeldern und nimmt Pflanzen inzwischen genauso ernst als fühlende, | |
kommunizierende Lebewesen wie ihre Artgenossen und wendet sich gegen | |
naturvergessene Emanzipationsbewegungen mit dem Einwand: „Was nützt eine | |
maximal pigmentierte Vorstandsvorsitzende, wenn die Diversität der | |
Korallenriffe schwindet?“ | |
Anja fordert liebevolle Fürsorge für den eigenen Lebensraum und eine Ethik, | |
die zur wechselseitigen Entfaltung beiträgt von allem, was kreucht und | |
fleucht und photosynthetisiert, während alles, was die Ökosysteme schädige | |
oder bedrohe, inakzeptabel sei. Als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Mutter | |
Natur wachsen schon Moose krönend aus ihrem Kopf. Auch die Mitspieler*innen | |
sind vollendete Symbionten in einer Kompostistengemeinschaft. Etwa der | |
Buntfalken-Mensch Alban (Mondschein), der mit Steinen bewucherte Fabian | |
(Felix Dott) und die mit Monarchfalterhaut und -fühlern ausgestattete | |
Tabitha (Frehner). Dieses Tier-, Pflanze-, Stein-Werden sei Ausdruck ihrer | |
Hoffnung, ein Rest Biodiversität zu retten. | |
Das alles wird dahingeplaudert ganz im Sinne des Denkens der feministischen | |
Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway, nachzulesen in der Essaysammlung | |
„Unruhig bleiben“ (2018). Sozial und global verantwortliches Handeln wäre | |
nur möglich, so erklären die Mischwesen, wenn es verwandtschaftliche | |
Beziehungen auch mit nicht menschlichen Wesen geben würde. | |
Chthuluzän wird das alle mit allem vernetzende Zeitalter genannt. Schnell | |
wird noch als ein Grund der Naturzerstörung das Gedankenerbe der | |
Kolonisatoren erwähnt, dem Kultobjekt irgendeiner indigenen Bevölkerung | |
geopfert und eine Koalition für artenübergreifende Umweltgerechtigkeit | |
vereinbart. Über die Reden von Verwurzelung in Heimatbiotopen kommen die | |
Ritter der Zukunft auch auf den Vorwurf, das sei doch protofaschistisch. | |
Relativieren dann aber, die bloße Behauptung, jegliche Form eines Bandes | |
mit dem Land sei völkisch zu verstehen und könne genozidal sein, erlaube | |
nicht die pauschale Zurückweisung aller Traditionen und Praktiken einer | |
erdgebundenen Kultur. | |
Damit das hin und her geschlenderte Mit- und Gegeneinanderdenken des | |
Quintetts neben den symbolischen Verstrickungs-, Verknotungs-, | |
Vernetzungsspielen mit Faden und Lianen noch etwa Bühnenaktion bieten kann, | |
wird aus einer Art Döner-Spieß ein Feudel geboren als irgendwie | |
zukunftsträchtige Spezies. | |
Ja, „The Männy“ ist skurril, ab und an auch wirklich lustig, manchmal | |
ziemlich schlau, gern mal ironisch, immer überfordernd abstrakt. Da | |
Rittberger dem Ernst der Lage zuliebe auf seine sonst üblichen | |
Sprachspielereien verzichtet, ist die nicht stringent analytische, eher | |
mäandernde Textcollage vor allem ein Exkurs in sein Lieblingsthema: | |
mögliche gemeinsame Neuanfänge. Für einen Neuanfang des Theaters reicht das | |
nicht, ist als theatral unterfüttertes Live-Denken aber recht anregend. | |
„The Männy“: Di, 3. 3., 19.30 Uhr, Schauspiel Hannover/Ballhof Zwei; | |
weitere Aufführungen: 19. 3., 29. 3., 19. 4., 25. 4. | |
29 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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