| # taz.de -- Avantgarde ohne Konzept | |
| > Die Hamburgische Sezession, als Neuanfang gedacht, blieb ein Intermezzo | |
| > zwischen zwei Weltkriegen. Dabei können sich einige ihrer Künstler | |
| > durchaus international sehen lassen | |
| Bild: Ivo Hauptmanns „Badende am Strand von Blankenese“ aus dem Jahr 1925 | |
| Von Petra Schellen | |
| Eigentlich ist dieser Panther eine Frau. Jedenfalls liegt er so erotisch da | |
| wie Venus, die – frisch aus dem Schlaf geschreckt – im Begriff ist, sich | |
| umzudrehen und ihre Schönheit zu zeigen. Aber das merkt man dem Tier mit | |
| den Bernsteinaugen nicht sofort an. Erst langsam dämmert einem, dass die | |
| Proportionen auf dem Gemälde zu humanoid sind, der Unterleib zu drall und | |
| die Drehung des Oberkörpers zu verführerisch. | |
| Und genau in diesen sinnlichen weichen Konturen unterscheidet sich Franz | |
| Breests Gemälde von denen seines streng kubistischen Vorbilds Franz Marc. | |
| Auch verwendet Breest die blau-grünen Farben des Norwegers Edvard Munch, | |
| während Marcs Bilder meist in Rot- und Gelbtönen leuchten. | |
| Der „Panther“ ist eine gelungene Synthese mehrerer Vorbilder, und damit ist | |
| in etwa der Ansatz der Hamburgischen Sezession benannt, der jetzt zwei | |
| Ausstellungen gelten: Diejenige im Jenisch-Haus, bestückt aus Beständen des | |
| Altonaer Museums und der Sammlung von Kuratorin Maike Bruhns, zeigt Werke | |
| von etlichen KünstlerInnen der 52 Mitglieder zählenden Gruppe, die von 1919 | |
| bis 1933 bestand, sehr konzentriert. | |
| Hamburgs Kunsthalle indessen hat die Werke von Sezessionskünstlern zu ihren | |
| Vorbildern gehängt und in den regulären Ausstellungsparcours integriert. | |
| Das ist so erhellend wie verwirrend, weil man die Bilder nur mit Mühe | |
| findet. Doch das ist gewollt, denn die Sezessionskünstler sollen heraus aus | |
| der „Regional-Ecke“ und beweisen, dass sie international mithalten können. | |
| Es gelingt: Problemlos kann sich etwa Gretchen Wohlwills „Wirtshausgarten“ | |
| von 1912 mit Max Liebermanns „Terrasse im Restaurant Jacob“ von 1902 | |
| messen. Und sie entwickelt ihn weiter: Nicht nur, dass Wohlwill expressiver | |
| malt, sie hat auch einen einsamen Trinker und damit die Unterschicht ins | |
| Bild gesetzt, während Liebermann das gehobene Bürgertum feiert. | |
| Fesselnd und eigen wirkt auch Otto Rodewalds Porträt von Gerda Margarethe | |
| Rück mit Stoffelefant, das sich mit Christian Schad, dem Nestor der | |
| Neosachlichkeit, gut messen kann. | |
| Das sind interessante Schlaglichter. Intensiver aber lässt sich die | |
| Hamburgische Sezession, die sich als Avantgarde ohne programmatisches | |
| Korsett verstand, im Jenisch-Haus studieren. Ihr Herkommen vom Ersten | |
| Weltkrieg etwa lässt sich an Karl Opfermanns „Hunger“ mit skelettartigen | |
| Gestalten à la Ensor unmittelbar festmachen. | |
| ## Traumata verarbeitet | |
| Das war so etwas wie eine nachholende Verarbeitung von Traumata des | |
| Krieges, den alle männlichen Sezessionsmitglieder als Soldaten erlebt | |
| hatten. Und gefolgert hatten, dass – sei es aus ethischen, politischen oder | |
| künstlerischen Gründen – ein Neuanfang nötig und ein Revival der | |
| Landschafts- und Porträtmalerei unmöglich sei. | |
| Emil Metzel, im Krieg in Berlin stationiert, war wichtiger Motor der | |
| Sezession – auch, weil er in Berlins ethnografischem Museum der | |
| Afrikabegeisterung der Expressionisten nachgespürt hatte. Diese Epoche war | |
| zwar eigentlich schon vorbei; die Künstlervereinigung „Brücke“ etwa hatte | |
| sich 1913 aufgelöst. Aber warum nicht einen Expressionismus der zweiten | |
| Generation versuchen und im traditionell wenig kunstsinnigen Hamburg zur | |
| Avantgarde werden? Warum nicht versuchen, einen Ort für Ausstellungen sowie | |
| Mäzene zu finden, etwa mithilfe der bald äußerst beliebten Künstlerfeste? | |
| Die Idee zog, und bald gab es hochwertige neo-impressionistische und | |
| neo-expressionistische Malerei von Emil Metzel, Friedrich Ahlers-Hestermann | |
| und Alexandra Povorina. Die waren nicht schlechter als Bilder von Gauguin | |
| und Schmidt-Rottluff. | |
| Dann entstand die Neue Sachlichkeit, die Sezessionskünstler waren diesmal | |
| fast up to date: Ania Rées Opiumraucherin „Filomena Stupefait“ wirkt so | |
| flächig-reduziert wie entrückt. Dabei war die melancholische Anita Rée | |
| eigentlich gar nicht in Varieté- und Rotlichtszene unterwegs. Andere | |
| Künstler sehr wohl; Ahlers-Herstermanns „Liegender Akt“ – im | |
| Neo-Pointillismus à la Paul Signac – zeugt von barocker Lebenslust der | |
| Zwischenkriegsgeneration. | |
| Und dann wieder, wie ein Pianissimo in einem kleinen Raum: unglaublich | |
| zarte, halb expressionistische, halb kubistische Mutter-Kind-Szenen wie die | |
| von Anita Rée. Geburts- und Madonnenkult wurden zum Counterpart zu Krieg | |
| und Tod, das Baby ein Symbol des Neubeginns. Den vollzog die Gruppe auch | |
| intern, als Ende der 1920er- Jahre jüngere Künstler wie Karl Ballmer, | |
| Eduard Bargheer, Karl Kluth und Rolf Nesch dazukamen. | |
| Doch obwohl sie neue Impulse setzen wollten, hafteten auch sie an | |
| Vorbildern. Wichtigster Guru war Edvard Munch, und was später als | |
| eigenständiger Sezessionsstil gerühmt wurde, war eine Art abstrahierter | |
| Munch. Kalligrafisch und flächig zugleich wirkt zum Beispiel Karl Kluths | |
| Bild der norwegischen „Hardangervidda“, temperamentvoll hingeschleudert | |
| seine „Kugelbake“. Und ja, die insgesamt zwölf Ausstellungen der | |
| Hamburgischen Sezession wurden durchaus bemerkt und gewürdigt im fernen | |
| Berlin. | |
| ## Spitzen gegen die Nazis | |
| Doch leider, der Aufbruch währte kurz: Experiment- und Moderne-feindlich | |
| wurde das Klima 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Sogar | |
| die Ausstellung des gefeierten Grafikers Rolf Nesch, der mit Hamburgs | |
| NS-Bürgermeister Vincent Krogmann befreundet war, musste schließen. Später | |
| floh Nesch nach Norwegen. | |
| Und auch wenn die Hamburgische Sezession nicht eigentlich politisch war: | |
| Spitzen gegen die Nazis gab es durchaus in den Kabaretts ihrer | |
| „Zinnober“-Feste, aber zur explizit politischen Kunst kam es nie. Nur eine | |
| düstere Wolke steht da mal wie ein kindliches Monster am Himmel von Ivo | |
| Hauptmanns „Teufelsbrück“, und ein (Exilanten-?)Schiff gleitet davon. | |
| Klares politisches Statement war allerdings die Selbstauflösung der | |
| Sezession im Mai 1933. Man wollte die jüdischen Mitglieder Anita Rée, Alma | |
| del Banco und Kurt Löwengard nicht ausschließen, wie von der NSDAP | |
| verlangt. Eine wichtige Geste der Solidarität. Aber es hat nicht gereicht. | |
| Anita Rée und Alma del Banco nahmen sich 1933 und 1943 das Leben. | |
| 100 Jahre Hamburgische Sezession: bis 5. 1. 20, Hamburg, Kunsthalle | |
| Tanz des Lebens. 100 Jahre Hamburgische Sezession: bis 13. 1. 20, Hamburg, | |
| Jenisch-Haus | |
| 13 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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