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# taz.de -- Heinz, Bodo und die anderen
> Mit „queer papa queer“ inszeniert Ute Kahmann an der Schaubude eine
> autobiografische Geschichte über Homosexualität in der DDR
Von Gloria Reményi
Eines Tages stand Marianne mit einer Karte in der Hand da und sagte: „So
jetzt ist der Vati weg. Der ist abgehauen. Der ist im Westen.“ Der kleinen
Ute drängten sich gleich mehrere Fragen auf: Wie hatte es ihr Vater rüber
geschafft? Warum war er überhaupt weg? Wie sah sein neues Leben aus? Hatte
er Freunde?
Fünfzig Jahre sind seit jenem Tag vergangen und immer noch kann Ute Kahmann
viele dieser Fragen nicht beantworten. Lange hatte sie mit ihrem Vater
keinen Kontakt und als er sie 2009 kurz vor seinem Tod zu sich rief, war er
nicht ganz bereit, von seinem Leben zu erzählen, weshalb Kahmann sich
vieles selbst zusammenreimen musste.
Nun hat die Berliner Puppenspielerin mit Regisseurin Heike Scharpff ein
Stück konzipiert, in dem sie der Geschichte ihres Vaters nachgeht, der 1969
aus der DDR flüchtete und ihr sein Leben lang seine Homosexualität
verschwieg. Die Performance, die Puppentheater, Schauspiel und Live-Musik
verbindet, trägt den Titel „queer papa queer“ und wurde in der [1][Berliner
Schaubude] uraufgeführt. Als eine noch offene Spurensuche könnte man sie
bezeichnen, bei der kleine Mosaiksteine nach und nach zusammengefügt
werden.
Dementsprechend mosaikhaft wirkt das Bühnenbild, das aus Holzrahmen in
verschiedenen Maßen und Formen besteht, die als kleine Bühnen für die vom
Künstler Stephan Rätsch angefertigten Puppen dienen. Diese haben mit weißer
Farbe bemalte Körper sowie nur angedeutete Gesichtszüge und bekommen durch
Kahmann, die alle Rollen spricht, meistens einen Berliner Akzent verliehen,
denn [2][„queer papa queer“] ist auch eine Berliner Geschichte.
Zurück geht Kahmann bis ins Jahr 1941, als ihr Vater Heinz geboren wurde.
Auf Grundlage von Interviews mit ihrer Mutter rekonstruiert sie zudem die
Zeit, als ihre Eltern sich kennenlernten. Sie heirateten schnell, als
Marianne unerwartet schwanger wurde. Heinz zog kurz nach der Geburt der
Tochter aus. Ab 1969 war er schon im Westen.
Heinz’ Flucht bildet eine Zäsur in der Erzählung: Als Figur wird er
verabschiedet und sein Leben in Westberlin nur bruchstückhaft anhand seiner
Briefe beleuchtet. Kahmann entdeckte 2009 die Korrespondenz in der Wohnung
ihres schwerkranken Vaters, und zwar neben weiteren Funden, wie sie im
Stück berichtet. Darunter eine beträchtliche Anzahl an („noch verpackten“)
Kondomen, die überall verstreut in Heinz’ Wohnung lagen – „sogar in der
Kaffeekanne!“ – und von denen sich Kahmann fragte, ob sie ein Coming-out
ihres Vaters ihr gegenüber bedeuten könnten.
Wie in der Realität bleibt ein explizites, verbales Coming-out auch im
Stück aus. Dass [3][Kahmann] bis heute keine Einsicht in die Stasi-Akte
ihres Vaters bekommen hat, verhindert zudem eine informierte Perspektive
auf die Vergangenheit. Was bleibt, sind mehr Fragen als Antworten, mehr
Gefühle als Fakten.
Informativer ist der dokumentarische Erzählstrang des Stücks, der getrennt
vom biografischen gehalten wird. Er illustriert, wovor sich Heinz durch
seine Flucht in den Westen womöglich gerettet hat. Mit den Puppen von Bodo,
Jürgen und Frank werden die Schicksale jener schwulen und bisexuellen
Männer ins Spiel gebracht, die in der DDR kriminalisiert, Gewalt ausgesetzt
und von der Stasi erpresst wurden. Auf viele dieser Geschichten ist Kahmann
während ihrer Recherche im DDR-Archiv des [4][Schwulen Museums] sowie durch
Interviews mit Betroffenen gestoßen, erzählt sie im Rahmen eines Gesprächs
in der Berliner Schaubude.
Der dokumentarische Teil des Abends vermittelt wichtiges Hintergrundwissen,
doch an manchen Stellen auf eine Weise, die zu plakativ wirkt. Ergreifender
ist „queer papa queer“ im Biografischen. Hier liegen Leid und Humor nah
beieinander, was in erster Linie Kahmanns Interpretation zu verdanken ist,
die mit den unterschiedlichen Rollen sehr sensibel und nuanciert umzugehen
weiß.
Die besondere Qualität des Stücks besteht jedoch darin, Unausgesprochenes
zu thematisieren, ohne es in Worte zu fassen und stattdessen mit
Vermutungen oder Kinderfantasien zu arbeiten. So wird auf äußerst
berührende Weise das Verhältnis zwischen einem Vater und einer Tochter
wiedergeben, die bis zum Ende keine Worte für das finden konnten, was ihnen
widerfahren war.
Wieder in der Schaubude am 1. Februar, 20 Uhr.
29 Jan 2020
## LINKS
[1] /!5502059&SuchRahmen=Print
[2] https://www.schaubude.berlin/spielplan/11/abendprogramm/queer-papa-queer/
[3] http://www.figurentheater-ute-kahmann.de/index.html
[4] https://www.schwulesmuseum.de/
## AUTOREN
Gloria Reményi
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