# taz.de -- Trümmerjazz, sozusagen | |
> „Three Nights Of Music. The Festival With A Difference“ will ein Festival | |
> für zeitgemäße – und nicht akademisch spröde – Musik sein. Es geht um | |
> Spiellust, erklärt Michael Wertmüller – einer der Organisatoren | |
Bild: Im Fenster: Marino Pliakas, auf dem Sofa: Michael Wertmüller und Caspar … | |
Von Robert Mießner | |
„Es geht um Spiellust“: Michael Wertmüller möchte erklären, warum er ein | |
Festival mitorganisiert, welches weder einen fein säuberlich notierten | |
Ablaufplan vorweisen, noch auf Subventionen zählen kann. „Es geht um | |
Spielwut“, meint Wertmüller. Auf die Frage „Lust oder Wut“ antwortet | |
Wertmüller: „Spielwütig sein, das hat für mich etwas Lustvolles.“ Dabei | |
trägt das Festival, von dem Wertmüller spricht, einen denkbar prosaischen | |
Titel: „Three Nights Of Music“, das kann vieles sein, wäre da nicht der | |
Zusatz „The Festival With A Difference“. | |
Auf den Unterschied gibt Wertmüllers Vita einen Hinweis. Der Schweizer | |
Schlagzeuger und Komponist hat noch als Musikstudent in den frühen | |
neunziger Jahren die Band Alboth! gegründet, eine mangels besserer | |
Schubladen in die mit der Beschriftung Jazzcore gelegte Combo. Dorthin, wo | |
schon John Zorn oder Elliott Sharp warteten; Quälgeister, die vertrackten | |
Jazz und rohen Punkrock miteinander verkuppelten, ohne dass aus dieser | |
Liaison langatmige Fusion erwuchs. Jazzcore war der Sound, der sich zum | |
Beispiel im Café Zapata des Kunsthauses Tacheles oder im benachbarten Eimer | |
in der Rosenthaler Straße vernehmen ließ, in den besetzten Ruinen des | |
Nachwendeberlins. Trümmerjazz, sozusagen. | |
An dieser Stelle muss Michael Wertmüller etwas klarstellen: „Was wir da | |
vorhaben, wird definitiv kein Jazzevent.“ Wir, das ist mit Wertmüller der | |
Saxofonist und Klarinettist Peter Brötzmann, einer, auf den das J-Wort am | |
ehesten noch zutreffen mag. Brötzmann hatte in den späten Achtzigern und | |
frühen Neunzigern mit Last Exit ein Quartett, dessen metallischer Swing | |
eine Inspiration für Alboth! und Kollegen gewesen sein dürfte. Mit | |
Brötzmann lässt sich noch weiter in die Geschichte dieser unerhörten Musik | |
zurückgehen. Sein Oktett-Album „Machine Gun“ gilt als einer der Marksteine | |
der europäischen improvisierten Musik. Dass es im Mai 1968 eingespielt | |
wurde, ist definitiv kein Zufall gewesen. | |
Ebenso wenig das Datum, auf das Wertmüller und Brötzmann ihr | |
dreinächtliches Festival gelegt haben: Es ist auch ein Geburtstagsständchen | |
für das im Herbst 1968 von Peter Brötzmann und dem Produzenten Jost Gebers | |
ins Leben gerufene Total Music Meeting. Als Alternative zu den Berliner | |
Jazztagen, dem heutigen Jazzfest Berlin, nachdem Brötzmann von diesem | |
ausgeladen wurde. Ob seine Weigerung, im Anzug aufzutreten, der einzige | |
Grund war, sei dahingestellt. | |
Auch hier muss Wertmüller nachhaken: „Three Nights Of Music“ soll kein | |
Kontrast zum zeitgleich stattfindenden Jazzfest sein. „Wir fangen bewusst | |
erst um 22 Uhr an“, meint er. Ab Donnerstag besteht also die Möglichkeit, | |
zwei Festivals mitzunehmen. Das lange als akademisch und verstaubt | |
gescholtene Jazzfest hat sich in letzter Zeit geöffnet, der Vergleich | |
beider Veranstaltungsreihen könnte interessant werden. Um „Three Nights Of | |
Music“ doch noch zu umreißen, bringt Wertmüller einen bemerkenswerten | |
Begriff auf den Tisch und spricht von einem „Festival für zeitgemäße | |
Musik“. Ja, das trifft es, das tönt weniger akademisch als „zeitgenössisc… | |
Musik“ und weniger militaristisch als „Avantgarde“. | |
Die Zeitgemäßen des Jahres 2019 sind mit Wertmüller und Peter Brötzmann: | |
Brötzmanns Sohn Caspar, der Noise-Gitarrist wird als Bassist zu erleben | |
sein; Vater und Sohn waren lange nicht gemeinsam zu hören. Wertmüllers | |
Landsmann Marino Pliakas kommt ebenfalls als Bassist, beide haben mit | |
Brötzmann senior im Trio Full Blast gespielt. Eine schwedische Delegation | |
wird dabei sein, der in Berlin in den letzten Jahren oft lautstark | |
vertretende Saxofonist und Mats Gustafsson und Per-Åke Holmlander an der | |
Tuba und dem Cimbasso, einer Ventilposaune. | |
Zeitgemäß ist das Stichwort: Mit Jan St. Werner und Christian Lillinger | |
werden zwei Musiker vertreten sein, die man so noch in den Neunzigern kaum | |
bei einem Festival improvisierter Musik gehört hätte. Der Elektroniker | |
Werner ist bekannt durch Mouse on Mars, das Duo, welches er 1993 mit Andi | |
Toma gegründet hat. Beide waren mit Mark E. Smith (The Fall) das Trio Von | |
Südenfed. Mit Synthesizern und Beats hat sich die Impro-Szene ja | |
bekanntlich lange schwer getan. Christian Lillinger schließlich, der | |
Drummer, ist Jahrgang 1984 und hat als Mittdreißiger eine beeindruckende | |
Liste an Kooperationen in der freien Musik vorzuweisen. Summa summarum sind | |
das acht Musiker, wie einst bei Peter Brötzmanns „Machine Gun“. An dieser | |
Stelle besser nicht nostalgisch werden, Brötzmann möchte nicht auf das | |
Album festgelegt werden. Ebenso, wie Michael Wertmüller immer noch das | |
J-Wort scheut und lieber ein anderes gebraucht: „Experimentierlust“. | |
Three Nights Of Music: 31. 10.–2.11 2019 Kunstfabrik am Flutgraben, Am | |
Flutgraben 3 | |
31 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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