# taz.de -- Begegnung der dritten Art | |
> Ernest Berk war ein Pionier der elektronischen Musik und Tanzpädagoge. | |
> Ihm hat Christoph Winkler ein Stück gewidmet, zu sehen in der AdK | |
Von Katrin Bettina Müller | |
Die Empörung ist dem alten Mann anzusehen. Er war Agent in England und | |
wollte Ernest Berk, Pionier der elektronischen Musik und von britischen | |
Kollegen geschätzt, endlich einen Auftrag als Filmkomponist in Hollywood | |
verschaffen. Business, money! Aber was macht Berk? Schickt zur Bewerbung | |
kaputte Tonbänder. Sein Agent wird als Idiot beschimpft und regt sich noch | |
einmal auf, als er diese Episode Jahrzehnte später dem Berliner | |
Choreografen Christoph Winkler erzählt. | |
Winkler hat sich auf die Suche nach Berk begeben, Tänzer- und Schülerinnen | |
von ihm gesprochen, gesichtet, was es an Fotos gab, und nach den | |
Erinnerungen der Zeitzeugen Annäherungen an Berks Tänze geschaffen. Das | |
alles bringt er zusammen mit Berks Tonbandkompositionen auf die Bühne. | |
Die Musik hat nur überlebt in den digitalisierten Fassungen des | |
Musikhistorikers Martin Köhler. Der schrieb eine Dissertation über den 1909 | |
in Köln geborenen Künstler, der seinen Nachlass dem Kölner Stadtarchiv | |
übergeben hatte. | |
Wiederaufgeführt wurde Winklers Stück in der Akademie der Künste im Rahmen | |
des Projekts „Was der Körper erinnert“. Kurze Text-Inserts erzählen die | |
komplizierte Vorgeschichte der Recherche, dann geht es los mit Musik und | |
Tänzen. Der Ton rauscht und schabt, etwas Großes nähert sich den Ohren, | |
zischt vorbei, man denkt an Raumschiffe und Science-Fiction, derweil die | |
Tänzer in schwarzen und silbrigen Strumpfhosen, Lurexblusen und | |
Norwegerpullovern Posen einnehmen und einfrieren, als wären es dekodierbare | |
Zeichen. | |
Dem befremdlichen Anfang folgt ein Solo, das Berk selbst zum ersten Mal | |
1929 tanzte, schwarz verhüllt und mit drei Masken, auf dem Kopf und in den | |
Händen, geheimnisvoll und perkussiv betont. Wer Mary Wigman kennt, sieht | |
die Nähe zum expressiven Ausdruckstanz und dem Beschwören archaischer | |
Geister. Tatsächlich war sie eine seiner Lehrerinnen Ende der 1920er Jahre | |
in Köln. Bevor er mit seiner Frau 1934 nach England zog. | |
Manchmal klingt der Sound in den Stücken aus den 1960er und 1970er Jahren, | |
als würde ein Klang rückwärts am Tonkopf vorbeigezogen, Hall- und | |
Echoeffekte werden genutzt, Sequenzen wiederholen sich, der Minimalismus | |
lässt grüßen. Dann wieder evozieren die Klänge konkrete Milieus, Maschinen | |
oder eine Kirche, während sich ein Solotänzer in einem elastischen Tuch in | |
abstrakte Formen wie ein Quadrat verwandelt oder auch auf Gegenständliches | |
verweist, indem etwa plötzlich ein spitzes Kirchturmdach erscheint. | |
Das alles wirkt eher skurril. Wie fremd, wie neu oder manchmal auch wie | |
deutsch es für die Zeitgenossen Berks war, das machen erst deren Statements | |
klar. Wir waren doch Engländer, nicht mit dem Nudismus vertraut, erzählt | |
eine ältere Dame vor dem letzten Stück. Damit man versteht, wie seltsam es | |
war, dass Berk in sein Studio zu Nackttänzen einlud, vor einer Wand aus | |
Synthesizern und Tonbandmaschinen. Eine solche Performance von zehn jungen | |
Tänzern beendet den Abend. | |
Es ist ein langes Musikstück, das von zwei Musikerinnen live unterstützt | |
und immer näher an die experimentelle Elektronik der Gegenwart herangerückt | |
wird, während sich die Nackttänzer, die anfangs sehr nüchtern, behutsam und | |
verlangsamt wirken, allmählich steigern, zu rasen anfangen wie die Mänaden | |
und sich schließlich – das Musikstück ist wirklich sehr lang – bis zur | |
Erschöpfung verausgaben. Am Ende ist man wach und elektrisiert, die | |
Erinnerung an Berk hat die Grenze zur Gegenwart durchstoßen. | |
5 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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