# taz.de -- Animierte Architektur | |
> Mal mit Handlung, mal ohne: Die Bremer Künstler*innen von „Urbanscreen“ | |
> projizieren eigens produzierte Filme auf Gebäude – und haben sich in | |
> aller Welt einen Namen gemacht | |
Bild: Das weltbekannte Operngebäude in Bewegung versetzt: „Lighting the sail… | |
Von Wilfried Hippen | |
Die runden Dächer der Oper von Sydney scheinen im Wind zu flattern wie | |
Segel. Eine riesige Hand drückt die Fassade der Hamburger Kunsthalle ein. | |
An den über 500 Jahre alten Fenstern des Bremer Schüttings klettert ein | |
junger Mann herum. All das sind, natürlich, Illusionen – möglich gemacht | |
durch Filme, auf die Oberflächen der Gebäude projiziert. | |
Klingt einfach? Für den gewünschten Effekt müssen Projektoren passgenau | |
ausgerichtet werden, die Filmsequenzen präzise den bespielten Flächen | |
entsprechend gerahmt; auch wie viel Licht nötig ist, muss irgendwer | |
berechnen und vielleicht bedarf es dazu noch einer – selbstverständlich | |
perfekt synchronisierten – Musik- und Soundcollage? | |
Es sind also geradezu Gesamtkunstwerke, die das Bremer | |
Künstler*innenkollektiv „Urbanscreen“ weltweit an die Wände von Gebäuden | |
wirft. Die Beteiligten selbst sprechen lieber von „Projektion Mapping“ – | |
ein wenig umständlich, wie Geschäftsführer Till Botterweck zugibt. Aber es | |
ist auch schwer auf den Punkt zu bringen, was genau das – noch mal O-Ton – | |
„Produktionsstudio für interdisziplinäre Medienkunst“ – genau macht: Mit | |
Architektur hat die Arbeit von Urbanscreen mindestens so viel zu tun wie | |
mit Film: Im Mittelpunkt stehen immer die Bauwerke, die so illuminiert | |
werden, dass der „genius loci“, der „Geist des Ortes“ erkennbar wird. | |
## Hauptrolle für die Gebäude | |
Als Urbanscreen seine ersten Arbeiten zeigte, 2006, war diese Art, | |
Gebäudefassaden als Projektionsflächen zu benutzen, noch neu. Dass Filme | |
auf Häuserwänden gezeigt wurden, war hingegen nichts Besonderes: Glaubt man | |
einer der schönsten Szenen des Spielfilms „Cinema Paradiso“ (1988), kam | |
darauf schon in den 1950er-Jahren jemand in einer italienischen Kleinstadt. | |
Und in Hamburg, nur zum Beispiel, bespielt seit Jahren die Gruppe [1][„A | |
Wall is a Screen“] geeignete – aber wiederum nicht allzu bekannte – Fläc… | |
im öffentlichen Raum im Rahmen abendlicher Spaziergänge mit Kurzfilmen. | |
Das Spezielle an „Urbanscreen“ ist aber, dass die Gebäude selbst die | |
Hauptrolle spielen. Gut, das beanspruchen heute auch andere für sich, die | |
ähnlich arbeiten und manche davon kostengünstiger. Aber Urbanscreen hat | |
sich internationales Renommee erarbeitet – „bei Google stehen wir noch mit | |
ganz oben“, sagt Botterweck – , und mit mindestens einem Dutzend Aufträge | |
pro Jahr sind die Bremer*innen gut ausgelastet. | |
Das Kollektiv besteht aus acht festangestellten Künster*innen, dazu kommt | |
ein Pool von 25 Spezialist*innen, die für größere Projekte angeheuert | |
werden. Denn auch „Urbanscreen“, technisch eine GmbH & Co. KG, kann auch | |
kommerziell: Man organisiert etwa Messeauftritte und Werbeevents, an denen | |
mitunter nur ein kleines Kernteam arbeitet: ein*e Art Director*in, ein*e | |
3-D-Künstler*in – man könnte auch sagen: Filmemacher*in – und ein*e | |
Produktionsleiter*in. Für eine Messe-Präsentation ist manchmal auch nur ein | |
Projektor nötig – für die Aktion am Bremer Schütting dagegen waren es acht. | |
Und als die Fassade des Parlamentspalasts in Bukarest, einem riesigen | |
Prunkbau aus der Ceaușescu-Ära, zu erleuchten war, wurden insgesamt mehr | |
als 100 Lichtwerfer installiert: Diese Arbeit entstand im Rahmen eines | |
Wettbewerbs, mehrere Gruppen sollten das gleiche Gebäude drei Minuten lang | |
bespielen – „Urbanscreen“ gewann 2015 den Jurypreis des „iMapp Bukarest | |
Mapping Festival“. | |
Damals ließen die Auftraggeber*innen, also die Festivalleitung, völlig den | |
Lichtleuten freie Hand. Das ist nicht bei jedem Auftrag so. „Urbanscreen“ | |
ist darauf angewiesen, dass Arbeiten bestellt werden. Zwar versuchte man in | |
der Vergangenheit auch schon selbst geeignete Gebäude zu finden und dann | |
Geldgeber*innen aufzutreiben. Aber nachdem sich bei zwei Projekten – in Rom | |
und dem brasilianischen Porto Alegre – die Finanzierung als schwierig | |
erwies, betrachtet Urbanscreen diesen Weg inzwischen als Sackgasse. So | |
haben also Auftraggeber*innen zumindest ein Mitspracherecht, was Botterweck | |
aber nicht als Manko betrachtet, sondern als Herausforderung. | |
Nehmen wir einen Auftrag anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Rice | |
Universität in Houston, Texas, im Jahr 2012: Bei der Illumination der | |
Hausfassade des Innenhofs sollte die Entwicklung der Universität über die | |
Jahrzehnte nachgezeichnet werden. Es musste also mit den Mitteln des | |
erzählenden Films gearbeitet werden. An anderer Stelle sind dann wieder | |
abstraktere, eher grafische Bildfolgen gefragt. | |
Für ein Projekt beim Filmfestival im südkoreanischen Busan arbeitete | |
Urbanscreen 2014 mit der Choreografin Jung Ji Youn zusammen – zwei | |
Tänzer*innen hatten sich aus 3D-animierten Kästen zu befreien. Und dann | |
gibt es noch Projekte, die auf einem einzigen Gag beruhen. Etwa bei einer | |
interaktiven Werbeaktion, bei der in Köln und Düsseldorf „Hau-den-Lukas“ | |
gespielt wurde – und man die Ergebnisse der Hammerschläge in Echtzeit auf | |
die Fernsehtürme der Städte projizierte. | |
Im kommenden November wird Urbanscreen anlässlich des 30. Jahrestages der | |
friedlichen Revolution in der DDR sechs in diesem Kontext historisch | |
bedeutsame Orte in Berlin bespielen. An diesem Beispiel glaubt Till | |
Botterweck verdeutlichen zu können, wie grundsätzlich der Unterschied zu | |
einer gewöhnlichen Filmprojektion ist: „Im Kino kann man sich ja | |
zurücklehnen und nur angucken. Aber wir wollen die Dramatik dieser Zeit | |
widerspiegeln. So projizieren wir auf dem Alexanderplatz, wo 1989 die | |
großen Demonstrationen stattfanden. Bei uns wird der Platz wohl ebenso voll | |
von Menschen sein, und die sehen dann ebenso dichtgedrängt die Bilder von | |
damals an genau dem gleichen Ort.“ | |
## Von flüchtiger Schönheit | |
So sehr die Arbeiten von Urbanscreen Kombinationen von Architektur und Film | |
sind, also zwei Künsten, deren Werke Jahrhunderte überdauern können: Sie | |
selbst sind flüchtig wie eine Theateraufführung oder ein Feuerwerk. Zwar | |
dokumentieren die Bremer*innen sie ihrerseits auf Video – aber nur wer am | |
jeweiligen Moment am richtigen, am vorgesehenen Ort ist, kann diese Kunst | |
wirklich erleben. | |
www.urbanscreen.com | |
5 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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