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# taz.de -- Orgel für die Blut-Arena
> Von Gladiatorenkämpfen und Grüßen aus der Hölle: Eine Hamburger
> Ausstellung rekonstruiert die Geschichte der Orgel von der Antike bis
> heute
Von Petra Schellen
Warum Orgeln meist in Kirchen stehen? Sicherlich nicht, weil die ersten
Orgelbauer der Antike so gottesfürchtig waren. Nein, die Orgel fand im
Mittelalter ihren Weg in Europas Kirchen, weil nur die Geistlichen gebildet
genug waren, um die komplizierte Technik dieses Instruments zu verstehen
und nachzubauen.
Aber der Reihe nach: Erfunden wurde die Orgel – das zeigt eine Schau in
Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe – im 3. Jahrhundert v. Chr. im
nordafrikanischen, heute ägyptischen Alexandria von einem griechischen
Ingenieur. Er wollte einen beweglichen Spiegel bauen und erfand nebenbei
die Wasserorgel, eine große Schwester der Panflöte.
Und die Römer liebten sie; Kaiser Nero soll sogar selbst gespielt haben.
Allerdings ertönte die Orgel auch zu den blutigen Gladiatorenkämpfen – was
verwundert, denn sehr laut kann dieses kleine, originalgetreu
rekonstruierte Instrument nicht geklungen haben. Und richtig: Wie das Video
eines Antike-Musik-Festivals im österreichischen Bad Deutsch-Altenburg
zeigt, wurde sie verstärkt durch das laut schnarrende Cornu (Horn), das
Hymnen für die Schicksalsgöttin Nemesis spielte.
Sehr weltlich also die Anfänge jenes Instruments, das im Barock zum Symbol
göttlicher Ordnung wurde. Und weltlich ging es weiter, als – nach dem Ende
von Römerreich und Völkerwanderung – die Orgel wieder nach Westeuropa kam:
Als Staatsgeschenke brachten byzantinische Kaiser im 8. Jahrhundert Orgeln
mit, wenn sie karolingische und merowingische Könige trafen. Auch für die
Geistlichkeit wurde die Orgel Signet der Macht; schon um das Jahr 900
wurden die ersten Orgeln in Kirchen eingebaut.
Erhalten ist keine mittelalterliche Orgel; nur Gemälde lassen ahnen, wie
mobil sie waren: Auf den Knien gehalten oder wie ein Akkordeon über die
Schulter gehängt, nahmen die Musiker sie auch zu Prozessionen mit.
Noch waren die Pfeifen brav längs der realen Tonhöhe aufgereiht. In
Renaissance und Barock trennten sich Form und Funktion, Dekoration und
Design wurden wichtiger: Man sortierte die Pfeifen neu und symmetrisch,
baute um 1780 Hausorgeln wie die Kabinettorgel aus Amsterdam, die wie ein
wuchtiges Buffet wirkt, hinter deren Türen man keine Pfeifen vermutet.
Unaufdringlich ästhetisch ist auch die um 1750 gebaute britische Orgel. Sie
enthält Furniereinlagen aus Mahagoni, das die Briten laut Kurator Olaf
Kirsch aus ihren Kolonien bezogen. Kritisch vermerkt ist das nirgends –
bedauerlich für ein Museum, das jedes des NS-Kunstraubs verdächtige Exponat
mit einem roten Pfeil markiert, den kolonialen Kontext dieses Exponats aber
verschweigt.
Lustig bis süffisant kommt der aus der Jacobi-Kirche geliehene, nach 1945
gebaute Spieltisch der Schnitger-Orgel daher: Die Registerknöpfe sind
geschnitzte Köpfe, teils historisch, teils fiktiv: Der Entwicklungshelfer
und Organist Albert Schweitzer findet sich da, auch Mitarbeiter der
Orgelbaufirma Kemper sowie Pastoren aus St. Jacobi.
## Drei grinsende Teufelchen
Das Konterfei Hans Henny Jahnns, in den 1920er-Jahren Gründer der
Orgel-Reformbewegung, ist verschollen, dafür grinsen einem drei Teufelchen
entgegen. Schlummert hier eine theologische Aussage, gar der Zweifel an der
Allmacht Gottes? Eventuell ein Gruß von Luzifer?
Und während man noch sinnt, durchfährt plötzlich ein markerschütternder
Basston den Raum, als grüße ein Unhold direkt aus der Hölle. In
Wirklichkeit hat bloß jemand den riesigen Blasebalg getreten, die Ventile
zu den Pfeifen geöffnet und ein sehr tiefes C erzeugt: Ein Modell zum
Mitmachen steht da nämlich mitten im Raum, das demonstrieren soll, dass ein
langer Luftstrom tiefe und ein kurzer eben hohe Töne erzeugt.
Wer mag, kann sich an einer Medienstation eine virtuelle Orgel bauen und
erfahren, dass das Instrument stets mit dem Raum interagiert und den
Orgelbauer zum Künstler macht. Das gilt zwar weniger für die – die in Foto
und Animation präsente – Elbphilharmonie, deren Orgel erst nachträglich
durch eine private Spende ermöglicht und unauffällig eingebaut wurde.
Von explizitem Gestaltungswillen zeugen aber die übrigen an einer Fotowand
präsentierten Orgeln von Frank Gehry in Los Angeles – ein Bündel X-beiniger
Pfeifen – oder die waagerecht aufgereihten Orgelpfeifen in Kassel, mit
schwarzen Fransen dekoriert, damit man verstehe, dass die Orgel mit „Wind“
funktioniert.
Bis 3. 11., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
20 Aug 2019
## AUTOREN
Petra Schellen
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