# taz.de -- Wider die eigenen Errungenschaften | |
> Zwischen Protest und Intimität: Zwiespältig stimmtder Beginn des | |
> Festivals Tanz im August | |
Bild: Deborah Hays Uraufführung „Animals on the Beach“ gehörte zu den Er�… | |
Von Astrid Kaminski | |
Mit Protest und Geschichtsvergessenheit eröffnete die 31. Ausgabe von Tanz | |
im August. Der Protest gilt dem Kulturhaushaltsentwurf für 2020/21. Im | |
letzten Jahr hatte die Berliner Politik zu einem Runden Tisch Tanz | |
aufgerufen. Die internationale Szene ließ sich, größtenteils unentgeltlich, | |
auf einen einjährigen Arbeitsprozess ein, während dem der aktuelle Bedarf | |
der Sparte ermittelt und ausgewertet wurde. Ergebnis des Runden Tisches | |
Tanz: Mindestens sechs Million Euro fehlen. Ergebnis der Verhandlungen der | |
Kulturverwaltung mit dem Finanzausschuss: Der Förderetat 20/21 soll um | |
700.000 Euro aufgestockt werden, exklusive einer besseren Ausstattung der | |
Fördertöpfe für die gesamte Freie Szene. | |
Um deutlich zu machen, dass dieses Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis | |
nicht akzeptabel ist, nutzten in Berlin arbeitende Künstler*innen unter | |
Federführung des Vereins Zeitgenössischer Tanz Berlin die Eröffnung von | |
Tanz im August zum Protest. Ob die Mittel dafür stimmen, ist allerdings die | |
Frage: Im besten Tories-Stil rockt Choreografin Kareth Schaffer die | |
Protestkundgebung mit „Yes“, „No“, und „Mau“-Rufen der Crowd. Der H… | |
dabei täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die Artikulation von | |
Menschenmengen im Stil dessen, was gerade populistischer Mainstream ist, | |
als nicht besonders differenziert auffällt. Die vorab per Clip verbreitete | |
Protestchoreografie ist zudem auch nicht der Schlüssel der Weisheit. Sie | |
ist zum unmittelbaren Mitmachen zu schwierig und kommt selbst in eingeübter | |
Form nicht in Schwung. | |
Und generell: zu wenig Protestierende – der harte Kern beläuft sich auf | |
schätzungsweise 50 Teilnehmende. Da hinter den Kundgebungskulissen intensiv | |
und effektiv weiterverhandelt wird, scheint die etwas fahl geratene Aktion | |
ein fast inadäquates Ausdrucksmittel. Wie sehr die Szene an einem Strang | |
zieht, macht allerdings Annemie Vanackere als Intendantin der | |
Hebbel-am-Ufer-Theater, der Tanz-im-August-Dachorganisation, deutlich. Ihre | |
Eröffnungsworte appellieren an die Politik, den Haushalt 20/21 erneut zu | |
justieren. Diese Forderung wird von Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert im | |
anschließenden Grußwort angenommen: Im parlamentarischen Prozess werde zu | |
klären sein, ob es bei der Summe bleibe. | |
Die folgende Eröffnung des Festivals mit zwei Uraufführungen von Deborah | |
Hay lässt dann staunen: Mit sehr viel gutem Willen ließen sie sich als | |
ausgesprochen leise, forschend und introvertiert und damit als Gegenentwurf | |
zu allem Lauten und Unüberlegten sehen. Als Lebens- und Kunstentwurf der | |
Einkehr. Guter Wille reicht hier für eine Verortung jedoch nicht. Deborah | |
Hay, der bei Tanz im August in diesem Jahr eine „Re-Perspektive“ gewidmet | |
wird, war Mitbegründerin des Judson Dance Theatres, der Keimzelle des | |
postmodern dance und damit einer heute unverzichtbaren Erweiterung des | |
Tanzbegriffes auf Körper-, Lebens- und Organisationsprozesse. Mit zu den | |
manifesten Errungenschaften der Bewegung zählt die Infragestellung der | |
repräsentativen, monoperspektivischen Bühnensituation. | |
Der Werkbegriff wurde auf Arbeiten im Studio, auf der Straße oder in der | |
Galerie ausgedehnt. Dass nun ausgerechnet Deborah Hay, die seit Jahrzehnten | |
an einem 360°-Bewusstsein des Körpers arbeitet, die Frontalbühne für ihr | |
Solo „my choreographed body … revisited“ und das Gruppenstück „Animals… | |
the Beach“ wählt, scheint selbst- und geschichtsvergessen. Zumal die | |
Arbeiten keinerlei linearer oder erkennbarer dramaturgischer Narration | |
folgen, sondern in erster Linie Körperbewusstsein illustrieren. In einem | |
partizipativen Raum, in dem diese Präsenzzustände sich mit denen der | |
Besucher*innen ins Verhältnis setzen können, wäre das vielleicht anders. | |
Prozessorientierung scheint generell ein Motto der Eröffnungsstücke gewesen | |
zu sein: Catherine Gaudet zeigte in „Fading of the Marvelous“ Variationen | |
des Tänzer*innen-Körpers in der Reaktion auf sich selbst, und Benoît | |
Lachambre und Sophie Corriveau vermaßen in der durational performance | |
„Fluid Grounds“ ihr Verhältnis zu der Umgebung, die sie mit den | |
Besucher*innen teilten, kinderfreundlich mit bunten Klebebändern. Einen | |
sehr intimen Prozess verfolgte Eszter Salamon in „M/others“ mit ihrer | |
eigenen Mutter. Pose für Pose loten sie Hingabe und Distanz in der Nähe | |
aus. Die Frage der Intimität zwischen Performer*in und Mutter hat in | |
letzter Zeit im Tanz Konjunktur. Vielleicht weniger als Rückzug ins Private | |
als im Sinn einer Vergegenwärtigung des Verhältnisses von privater und | |
öffentlicher Person. Von Sein und Sein-Wollen. | |
13 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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