# taz.de -- identitäre: Schluss mit lustig | |
> Hip, jung, intellektuell: Die Identitäre Bewegung gibt sich modern. Nun | |
> erklärt sie der Verfassungsschutz für rechtsextremistisch. Die Gruppe | |
> fürchtet bereits ein Verbot | |
Bild: Ein Aufmarsch von Identitären in Berlin. Die Gruppe ist relativ klein, a… | |
Von Konrad Litschko | |
Es soll mal wieder eine größere Aktion werden. In gut einer Woche, am 20. | |
Juli, wollen die Identitären in Halle an der Saale unter dem Slogan „Es | |
bleibt unsere Heimat“ aufmarschieren. Dort, wo die Rechtsextremen auch ein | |
eigenes Hausprojekt unterhalten. Ein Aufzug „zahlreicher Patrioten“, ein | |
Versuch, die Öffentlichkeit zu kapern. Nun aber steht das Ganze unter | |
anderen Vorzeichen. Denn am Donnerstag erklärte das Bundesamt für | |
Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung (IB) als „gesichert | |
rechtsextremistische Bestrebung“ und zum vollen Beobachtungsobjekt. Bereits | |
Mitte 2016 war die Gruppierung als Verdachtsfall eingestuft worden. | |
Nun, erklärte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, sei die Sache | |
klar: Die Identitären verfolgten eine „fremdenfeindliche und | |
demokratiefeindliche Ideologie“. „Diese geistigen Brandstifter stellen die | |
Gleichheit der Menschen oder gar die Menschenwürde an sich in Frage, reden | |
von Überfremdung, erhöhen ihre eigene Identität, um andere abzuwerten und | |
schüren gezielt Feindbilder.“ Sein Amt, so Haldenwang, habe auch die im | |
Blick, „die verbal zündeln“. | |
Damit holt der Verfassungsschutz zum nächsten Schlag gegen die neurechte | |
Szene aus. Bereits zu Jahresbeginn hatte Haldenwang den „Flügel“, das | |
Rechtsaußen-Sammelbecken der AfD, als rechtsextremistischen Verdachtsfall | |
eingestuft, genauso wie den AfD-Jugendverband. Das Timing für die jetzige | |
Einstufung der Identitären kommt wohl nicht zufällig: Seit dem Mord an dem | |
CDU-Politiker Walter Lübcke steht der Verfassungsschutz in der Kritik, | |
seinen Blick zuletzt zu wenig auf den Rechtsextremismus gerichtet zu haben. | |
Dabei tauchten die Identitären, ursprünglich in Frankreich entstanden, | |
schon 2010 erstmals in Deutschland auf. 600 Mitglieder rechnet ihr der | |
Verfassungsschutz heute zu. Die Gruppe gibt sich einen betont modernen | |
Anstrich – hip, jung, intellektuell. Viele Mitglieder sind Studenten, | |
adaptieren linke Modestyles. Tatsächlich aber ist die Vergangenheit einiger | |
Aktiver einschlägig: So waren Kader wie Mario Müller oder Daniel Fiß früher | |
bei der NPD-Jugend, andere bei der heute verbotenen Heimattreuen Deutschen | |
Jugend, die völkische Zeltlager organisierte. | |
Von der NPD und anderen „klassisch“ Rechtsextremen grenzen sich die | |
Identitären heute ab, offiziell auch von Gewalt. Gesetzt wird vielmehr auf | |
medienwirksame Aktionen, die ebenfalls von links abgekupfert wurden: Die | |
Identitären besetzten das Brandenburger Tor, kletterten auf die | |
SPD-Zentrale, zuletzt versuchten sie mit einem Boot im Mittelmeer | |
Flüchtlingshelfer zu behindern. Die Gruppe legte damit, trotz eines | |
überschaubaren Aktivistenkreises, anfangs einen stürmischen Aufstieg hin. | |
Dazu vermochte sie es in Halle, mit Hilfe der Stiftung einer wohlhabenden | |
Sympathisantin ein eigenes Haus zu kaufen, – das war der rechtsextremen | |
Szene lange nicht mehr gelungen. Einige Identitären zogen dort selbst ein, | |
es wurden Seminare abgehalten, auch ein Weihnachtsmarkt veranstaltet. Von | |
einem „patriotischen Leuchtturmprojekt“, tönte die Gruppe. Tatsächlich | |
bezog auch der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider hier ein | |
Büro. | |
Damit etablierten sich die Identitären als fester Teil eines inzwischen | |
weit verzweigten neurechten Netzwerks. Die AfD bespielt dabei den | |
parlamentarischen Raum; das Institut für Staatspolitik um den Vordenker | |
Götz Kubitschek baut ideologisch vor; das Rechtsaußen-Magazin Compact | |
dringt in die Öffentlichkeit; der Verein Ein Prozent organisiert Protest – | |
und die Identitären versuchen diesen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen | |
umzusetzen. Personell kommt es dabei immer wieder zu Verschränkungen. So | |
sind einige Identitäre Teil der AfD-Jugend, andere arbeiteten für | |
AfD-Abgeordnete, sprachen als Redner auf Pegida-Kundgebungen – und | |
Mitanführer Müller schreibt für Compact. | |
Die IB versucht dabei immer wieder ihre Kampfbegriffe zu platzieren: der | |
„Große Austausch“, „Remigration“, „Reconquista“. Neue Wörter, die… | |
nur den alten Rassismus bedeuten (siehe Beitrag rechts). Als Feindbild wird | |
vor allem der Islam erklärt und eine vermeintliche Invasion von | |
Geflüchteten. | |
Für den Verfassungsschutz sind alle diese Verstöße gegen das Grundgesetz. | |
Die Identitären zielten darauf, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von | |
demokratischer Teilhabe auszuschließen und ihre Menschenwürde zu verletzen, | |
heißt es dort. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen könnten für | |
die Identitären niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein. | |
Multikulturalismus gelte für diese als „kulturvernichtend“. | |
Schon länger hatten einige Landesämter das Bundesamt gedrängt, die | |
neurechte Szene und die IB stärker ins Visier zu nehmen. Nun folgt dem | |
Haldenwang. Sein Amt kann jetzt das volle nachrichtendienstliche | |
Instrumentarium auspacken: Observationen, Abhören von Telekommunikation, | |
V-Leute. Bereits bei seinem Amtsantritt im November 2018 hatte Haldenwang | |
erklärt, den Rechtsextremismus im Land stärker in den Blick nehmen zu | |
wollen. | |
Die Identitären indes kämpften zuletzt mit sich selbst. Ihre Aktionen | |
liefen sich tot, die Öffentlichkeit erreichten sie kaum noch. Zudem | |
bröckelte der Nimbus der Gewaltfreiheit. Vor dem Hausprojekt in Halle war | |
es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. In Verruf gerieten die | |
Identitären auch nach dem Attentat eines Rechtsextremen auf zwei Moscheen | |
mit 51 Toten im März im neuseeländischen Christchurch. Der Angreifer hatte | |
sein Bekennerschreiben mit „Der Große Austausch“ übertitelt und zuvor Geld | |
an den österreichischen Identitären-Chef Martin Sellner gespendet. | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Identitären bereits | |
kürzlich scharf kritisiert: Auch wenn diese noch nicht zur Gewalt griffen, | |
seien sie „nicht minder gefährlich“. Zudem gab es zuletzt | |
Hausdurchsuchungen gegen Identitären-Mitglieder in NRW, Bayern und Sachsen | |
– wegen Vorwürfen der Volksverhetzung und Sachbeschädigung. | |
Die Identitären klagten am Donnerstag von einer „um sich greifenden | |
Anti-rechts-Hysterie“. Der Verfassungsschutz werde „politisch | |
instrumentalisiert“, eine „Opposition“ solle diskreditiert werden. Man | |
werde gegen die Einstufung juristisch vorgehen und sich „nicht | |
einschüchtern“ lassen. Inzwischen befürchtet die Gruppe auch ein Verbot. | |
Seehofer hatte nach dem Lübcke-Mord erklärt, sein Ministerium lasse derzeit | |
Verbote von rechtsextremen Gruppierungen prüfen. Die Identitären bezogen | |
das auch auf sich: Seehofer wolle offenbar „junge Patrioten zum Schweigen | |
bringen“. | |
Der Innenminister äußerte sich am Donnerstag nur knapp: „Wir werden | |
Extremisten und geistige Brandstifter weiterhin sorgfältig im Blick haben | |
und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen sie vorgehen.“ | |
12 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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