Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wir sind elektrisiert
> Die Architektur von Kraftwerken ist eine fantastische Bühne für Kunst. In
> Rüdersdorf bespielen 24 Vertreterinnen der Künstlergruppe Endmoräne den
> Ort der Energiegewinnung mit der Schau „Unter Strom“ – nur für kurze Z…
Bild: Gewinne und Verluste im Laufe der Zeit? Patricia Pisane hat die Fassade z…
Von Katrin Bettina Müller
Ein altes Kraftwerk am Stienitzsee ist diesmal der Schauplatz für die
Arbeit von über 20 Künstlerinnen, die unter dem Namen „Endmoräne“ immer
wieder neue Orte des Umbruchs bespielen. Seit 27 Jahren sind sie unterwegs,
eignen sich jeden Sommer in einer 14-tägigen Werkstatt verfallene
Gutshäuser, leer stehende Schlösser oder eben Orte der Industriegeschichte
im Berliner Umland an.
Der Ausflug zu ihnen nach Rüdersdorf, Ortsteil Hennickendorf, lohnt, das
Zusammenspiel der alten Materialien, die immer auf Verschwundenes und eine
Geschichte der Vergangenheit hinweisen, und der flüchtigen Kunstwerke, die
sich oft nur als schmale und zurückhaltende Spur in die Schichtungen der
Zeit eintragen, ist gelungen. Kein Werk stellt hier große Behauptungen auf,
nichts verdrängt mit seiner Präsenz die Ausstrahlung des Ortes. Das Auge
wandert über freigelegte Mauerflächen, teils ohne Dach, der Sonne geöffnet,
entdeckt rostige Haken und runde Luken, Teile von Trägern und technischen
Vorrichtungen, und sieht nach und nach, wie hier und dort etwas dazukam,
ein Knoten aus Fahrradschlauch, eine neue Verspannung, eine goldene
Markierung. Es ist ein Dialog von Gummi und Rost, Starrem und Dehnbarem,
der sich in der Arbeit von Renate Hampke wie eine zweite Melodie über den
Rhythmus der funktionalen Architektur legt.
Ein alter Wasserturm ragt neben der 1913 erbauten Turbinenhalle auf, davor
erstrecken sich zum Seeufer hin Ruinen, freigelegte Mauerreste, die sehr
bald eine romantische Anmutung annehmen. Als würde man durch die Ruinen
einer Burg laufen und nicht bloß durch die Fundamente eines Kraftwerks.
Über die Wand der Turbinenhalle und vom Wasserturm herab stürzt wie in
Kaskaden ein Gewirr gebogener Linien aus alten Kabeln (von Tine
Zimmermann). Sie werden zur Zeichnung des Strömenden, aber auch zum Zeichen
dafür, wie bald das Neue und Fortschrittliche wieder zu Schrott und Abfall
werden kann. Der Strom des Wassers verbindet sich mit dem der Elektrizität.
„Unter Strom“ ist denn auch der Titel des ganzen Projekts.
Auf einer anderen Wand ist der Putz von Rissen durchzogen, eine gebogene
Folie davor, die Kati Gausmann angebracht hat, hält in der Schwebe, ob
diese feinen Linien nun als Bild fixiert oder von einer Welle ergriffen und
in Bewegung versetzt werden.
Hoch sind die Räume im Keller, teils von Bögen gerahmt wie Kapellen, hier
stehen eiserne Ritter und halten Wacht; nein, es sind doch nur
zurückgebliebene Maschinenteile des Kraftwerks, die sich jetzt den Raum mit
Filmprojektionen teilen. Der raue Mauergrund ist immer spürbar unter den
Bildern von Wasser und Flammen, Badenden und Wellen. Das Menschengemachte
und die Naturgewalten gehen ineinander über in den Filmen von Christiane
Wartenberg.
Berlin ist mit Kalksteinen und Ziegeln aus Rüdersdorf gebaut, neben dem
Kraftwerk war ein Hafen zur Verladung, ein Tunnel führte zur
Ziegelbrennerei auf der anderen Straßenseite. Wie auf einem
Abenteuerspielplatz freut man sich nun, in den Tunnel schauen zu können, in
der Tiefe tanzen Lichtreflexionen (von Gisela Genthner). Die Betonplattform
am Hafen sieht aus, als würde dort ein Wassergrundstück zur Neubebauung
vorbereitet. Aber nein, die Absperrungen bestehen aus Weidezäunen, die
Susanne Ahner aufgestellt hat, auch mit dem Gedanken, auf die
Grenzziehungen zu verweisen, mit denen Europa sich gegen Flüchtende
abschottet.
Die Besucher der Ausstellung, die nur an drei Wochenenden geöffnet ist,
lagern bald auf der großen Wiese am Wasser, nehmen das Frühstück im Grünen
ein und werden Teil des Parcours aus Industriegeschichte, Kunst und
Landschaft. Das ehemalige Kraftwerk gehört heute Henrik Sundström,
Ex-Tennisprofi, der im Immobiliengeschäft tätig ist und der den Ort gern
langfristig für kulturelle und sportliche Veranstaltungen ausbauen will. Er
hat einen verschütteten Teil der Gebäude freilegen lassen und dort schon zu
Konzerten, Ballett, aber auch zu Waldläufen, die an Skulpturen
vorbeiführen, eingeladen. Seine Vision vom Ausbau des Ortes ist als
Hörstück zu hören.
Endmoräne „Unter Strom“: Turbinenhalle am Stienitzsee, Berliner Str. 13 A,
Rüdersdorf, Ortsteil Hennickendorf. 29. + 30. Juni, 6. + 7. Juli, 13–18 Uhr
28 Jun 2019
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.