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# taz.de -- Die Welt als veränderbar zeigen
> Kindertheater für eine tolerante Gesellschaft: Das Grips Theater hat mit
> großem Programm seinen 50. Geburtstag gefeiert, samt
> „Dschungelbuch“-Charakteren im Stück „Jamba Bamba Boo“, das religiö…
> Konflikte thematisiert
Bild: Sozusagen „Nathan der Weise“ für Kinder: Szene aus „Jamba Bamba Bo…
Von Katja Kollmann
„Ist es okay, nur mit einer Unterhose in die Schule zu gehen?“, fragen sich
Mowgli, Baghira und Balu, die drei besten Freunde aus Rudyard Kiplings
Dschungelbuch. Das Publikum im Grips Theater fühlt sich angesprochen und
antwortet mit einem lauten „Ja“! In der Inszenierung „Jamba Bamba Boo“ …
Maharashtra Cultural Centre aus Pune in Indien werden aber nicht nur
Dresscodes in der Schule hinterfragt, sondern auch konfessionelle
Ausgrenzungsmechanismen thematisiert.
Hintergrund sind die sich zuspitzenden Konflikte zwischen Hindus, Moslems
und Christen dort – und als Folge die Einrichtung von konfessionell
getrennten Schulklassen. In der Figur des Mowgli nähert sich nun jemand
ganz unvoreingenommen den verschiedenen Religionen und deren Ritualen:
Mowgli isst bei den Hindus zu früh von dem geweihten Obst, stellt bei den
Moslems eine Hindu-Statue direkt vor den Gebetsteppich, sagt laut beim
Empfang der katholischen Hostie „Salam aleikum“, löst jedes Mal ein
Erdbeben aus und wird verstoßen. Er versteht das nicht, denn „im Urwald
gibt es nur Tiere und keine Religionen“.
Durch ihn, der von außen kommt und allen bei der Regenflut hilft, erkennen
die anderen nun das Verbindende, das Unterschiede unwichtig erscheinen
lässt. Am Schluss singen alle das Lied von „Jamba Bamba Boo“ (deutsch
„Mensch“) und nehmen sich an die Hand. Kindertheater zeigt hier konkrete
Lösungsansätze auf für eine tolerante, friedlichere Gesellschaft. Mohan
Agashe, der Theaterleiter, nahm vor Jahren an einem Workshop von
Grips-Gründungsvater Volker Ludwig in Indien teil, war dann Hospitant im
Grips-Theater, und seitdem gibt es selbstbewusste Kinder auf indischen
Bühnen. „Jamba Bamba Boo“ wurde gezeigt im Rahmen von „Recht(e) haben“…
Symposium und Festival zu Kinderrechten im Theater für junges Publikum“.
Das Grips-Theater hat so vom 11. bis 14. Juni seinen 50. Geburtstag
gefeiert. Man beschenkte sich und über 70 internationale Gäste mit
Vorträgen, einer Podiumsdiskussion, Workshops, internationalen Gastspielen
und einer Grips-Premiere.
Im Fokus stand die UN-Kinderrechtskonvention, im besonderen deren Paragraf
31: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft
teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen.“ Wolfgang Schneider,
Ehrenpräsident der Assitej, bezog sich in seinem Vortag, genau wie auf dem
Podium Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in
Deutschland, und Jörg Maywald von der „Deutschen Liga für das Kind“ auf d…
Umsetzung dieses Kinderrechtes in die Praxis. Man stellte fest, dass
Deutschland, seitdem es 2005 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet
hat, sich eigentlich dazu verpflichte, Kindertheater genauso zu
subventionieren wie die anderen Theatersparten. Denn eine Unterfinanzierung
des Kindertheaters stelle eine ganz klare Verletzung von Kinderrechten dar.
Zudem sprach man sich für das Kindertheater als Ort aus, in dem die Rechte
der Kinder ganz offensiv vertreten werden, und als öffentlichen Raum, in
dem die Umsetzung der Kinderrechte überprüft werden kann. Das Kindertheater
soll aber auch ein Raum der geteilten Verantwortung sein, in dem Kinder an
künstlerischen Prozessen beteiligt werden. Im Grips-Theater gibt es darum
einen Kindertheaterrat, der mit den Regisseuren im regen Austausch steht.
Kindertheater kann die Welt nicht verändern, aber als veränderbar zeigen,
das ist seit 1969 das Motto der Grips-Theater-Macher. Mehr Argumente
braucht es auch heute nicht, um auf die essenzielle Bedeutung von
Kindertheater in jeder Gesellschaft hinzuweisen. Vasillis Koukalani, der
Regisseur der neuesten Grips-Produktion „Die Lücke im Bauzaun“, hat 2011 in
Athen die „Manufaktur des Lachens“ gegründet. Im Grips Podewil zeigt er nun
„Stärker als Superman“.
Auf der Bühne sind zwei Rollstühle und im Mittelpunkt ein gelähmtes Kind.
Ganz konkret wird die Diskriminierung von Menschen mit Einschränkung an
einem Kinobesuch mit Rollstuhl herausgearbeitet. Herrlich entlarvend ist
die Szene, in der der „Fürsorge-Mitarbeiter“ das „gesunde“ Kind mit dem
gelähmten verwechselt. Konkret sind die Forderungen von Mutter und Kind
nach Barrierefreiheit im öffentlichen Raum.
„Um Himmels Willen, Ikarus“ von Ahmed Ezzat Elalfy aus Alexandria in
Ägypten thematisiert anhand eines alten Mythos eine autoritäre
Vater-Sohn-Beziehung, die ganz bewusst Parallelen zur aktuellen politischen
Situation dort aufzeigt und darum nur auf Off-Bühnen gespielt werden kann.
Die dadaistische „Phase“ des Kindertheaters, die 1969 in Berlin begann, ist
lebensnotwendig, solange die Welt als potenziell veränderbar gezeigt werden
muss.
17 Jun 2019
## AUTOREN
Katja Kollmann
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