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# taz.de -- Demagogen und Drangsalierer
> Die Rückkehr des faustischen Menschen: Hakan Savaş Mican inszeniert im
> Gorki Theater Remarques Roman „Die Nacht von Lissabon“ über einen Gegner
> der Nazis und reflektiert über seine eigene deutschtürkische Biografie
Bild: Hauptdarsteller Anastasia Gubareva und Dimitrij Schaad werden von einer B…
Von Jens Uthoff
Was, wenn es wieder finster wird in Europa? Der Kontinent, durch den der
Emigrant Josef Schwarz, die Hauptfigur in Erich Maria Remarques Roman „Die
Nacht von Lissabon“, gehetzt und gejagt wird, ist von einer solchen
Düsternis überzogen: beherrscht von Demagogen, Denunzianten und
Drangsalierern.
Remarques berühmte Erzählung spielt zur NS-Zeit, sein Protagonist ist
Regimegegner und flieht 1933 ins französische Exil. Er träumt aber davon,
seine liebste Helen wiederzusehen, die er in Osnabrück zurücklassen musste.
Dank eines „privaten Wunders“ riskiert er es, Helen 1939 in der
niedersächsischen Heimat aufzusuchen: Er erbt einen gültigen Pass und kann
sich fortan unter falschem Namen – „Josef Schwarz“ ist nicht sein eigener
Name – bewegen.
Das Liebespaar tritt später gemeinsam die Flucht durch das „verdunkelte
Europa“ bis nach Lissabon an, verfolgt von Helens hitlertreuem Bruder Georg
Jürgens, der Josef einst verraten hat. Als die Gestapo Josef nun erneut
verhaftet und ihm Folter androht, konstatiert er: „All dies kannte ich. Es
gehörte mit Schiller und Goethe zur Kultur des faustischen Menschen, und
ich hatte es im Lager in Deutschland durchgemacht.“
Am Freitagabend im Gorki hört man diese Sätze aus dem Mund des
Schauspielers Dimitrij Schaad, der als Josef Schwarz – und in vielen
weiteren Rollen – glänzt. Angesichts eines sich erneut verdunkelnden
Europas bringt der deutschtürkische Filmemacher und Theaterautor Hakan
Savaş Mican Remarques Roman wieder auf die Bühne.
Die Inszenierung Micans – die toll ist, so viel sei vorweggenommen – findet
dabei auf zwei Ebenen statt: Auf einer ersten Erzählebene wird der
Remarque’sche Stoff nah am Original von den beiden Hauptdarsteller_innen
Schaad und Anastasia Gubareva (Helen) erzählt. Auf der zweiten wird
berichtet, wie sich Hakan Savaş Mican in der Gegenwart mit den Sujets aus
„Die Nacht von Lissabon“ auseinandersetzt: Er reist über Dünkirchen und
Paris nach Lissabon, reflektiert dabei über seine eigene Biografie und über
das, was ihm auf der Fahrt begegnet.
Schaad, der zwischendurch auch den Bruder Georg verkörpert, schlüpft dafür
immer wieder in die Moderatorenrolle und erzählt im Plauderton von Hakans
Recherche und dessen Tagebucheintragungen. Zeitweilig kommt das fast in
Stand-up-Comedy-Manier rüber, zum Beispiel, wenn er berichtet, wie Hakan
sich mit Themen seiner eigenen Geschichte (bzw. seiner zuweilen auch
fingierten eigenen Geschichte) beschäftigt – etwa mit ritueller
Beschneidung, auch mit seinem Verhältnis zu den Kurden als Sohn türkischer
Eltern von der Schwarzmeerküste.
Auf seinem Weg nach Lissabon bereist Hakan ein sozial zutiefst gespaltenes
Europa. In Frankreich mobilisiert der Front National, die Parolen der
rechten Hater im Netz schwirren ihm im Kopf herum: „Paris For The French“,
„All immigrants need to be removed from Europe“. Am Port von Lissabon,
damals der Hoffnungshafen Tausender Exilanten, sieht er dagegen heute ein
„Aida“-Kreuzfahrtschiff ablegen und mit ihm die bürgerlichen Illusionen,
all die „Mittelschichtsglückseligkeit“, abdampfen.
Diese Eindrücke werden gestützt durch die Videoarbeiten Benjamin Kriegs,
die auf das Bühnenportal und die Bühnenrückwand projiziert werden: Da
schippern Mittelmeerkreuzer herum, da sieht man Autobahnschilder, es ziehen
Landschaften vorbei. Zwischendurch wird mittels akustischer Einspieler
deutsche Tagespolitik im Jahre 2019 verhandelt: Die AfD-Parolen
„Schuldkult“, „Großer Austausch“ und „Heimatliebe“ hallen wie dunk…
Geister durch den Saal.
Und dennoch gerät die Inszenierung luftig, leicht, so gar nicht finster.
Dafür, dass diese Entertainment-Adaption von Remarque gelingt, sorgen zum
einen die beiden brillierenden Hauptdarsteller_innen, dann aber auch die
vielschichtige und in ihrer Darstellungsweise so flexible Produktion. So
passt eine vierköpfige Band, die auf der Bühne griechische, portugiesische
und russische Lieder anspielt, zum Geschehen. Die Gruppe agiert wie ein
guter Sidekick, dezent und handlungsstützend. Den Gesang übernimmt
Anastasia Gubareva, und nachdem sie sich anfangs ein bisschen warmsingen
muss, überstrahlt sie am Ende mit ihrer Stimme fast alles.
Stoffe wie „Die Nacht von Lissabon“ kann man, gerade angesichts des
Weimar-Live-Reenactments, das derzeit draußen in Deutschland gegeben wird,
gar nicht oft genug als Mahnmal auf die Bühne stellen. Und wenn es eine
Moral des Abends gibt, so ist es die simple Einsicht, dass man erbittert
und mit aller Entschlossenheit dagegen angehen muss, wenn der faustische
Mensch in Deutschland, Europa oder sonst wo mal wieder die Lichter
ausknipsen will.
Weitere Aufführungen: 17. 1., 24. 1.,7. 2., 22. 2., jeweils um 19.30 Uhr
14 Jan 2019
## AUTOREN
Jens Uthoff
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