# taz.de -- Metamorphosen auf der Karriereleiter | |
> Treppen, Leitern, fantastische Hybride und alternative Medizin: Der | |
> Kunstverein Braunschweig zeigt zum Jahresbeginn die | |
> Nachwuchskünstler*innen Jasmin Werner, Oliver Laric und Lucy Beech | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Scalalogie: noch nie gehört? Damit schmückt sich immerhin ein | |
Forschungsinstitut der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, | |
kein Witz. Es beschäftigt sich mit der Kunst, eine Treppe zu bauen, | |
erforscht ihre historische, konstruktive, ikonografische aber auch | |
psychologische Dimension. Ist heutzutage eine Treppe gemeinhin nur noch ein | |
notwendiges Bauwerk zur Überwindung einer Höhendifferenz kraft eigener | |
Anstrengung, ästhetisch wie vom Kostenansatz auf äußerste Effizienz | |
getrimmt, so waren Treppen etwa im Barock flamboyante Elemente | |
repräsentativer Herrschaftsarchitektur, Instrumente feudaler Distinktion | |
wie physischer Unterwerfung gleichermaßen. In der Operette ist die meist | |
dysfunktionale Treppe Standardkulisse geblieben, manch Stadt wie Erfurt | |
inszeniert auf ihren Domstufen aber auch kulturell Anspruchsvolleres. | |
Kein Wunder, wenn irgendwann auch die zeitgenössische Kunst die Treppe | |
(wieder)entdeckte. Jasmin Werner etwa, die 2016 ihre Abschlussarbeit an der | |
Frankfurter Städelschule dem Architekturelement und seiner spartanischen | |
Variante, der Leiter, widmete. Entsprechende Objekte stellte die 1987 im | |
Kölnischen Geborene auf die Schreibtische der Europäischen Zentralbank, wo | |
es vom systemischen Denken her ja eigentlich immer nur nach oben gehen | |
kann. In ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in der Remise des | |
Kunstvereins Braunschweig findet diese Beschäftigung nun einen Abschluss, | |
wie sie selber sagt. | |
Dabei erweitert Werner das Thema mit rappelnden und ästhetisch ergänzten | |
Förderbändern, der Vorstufe der Rolltreppe, montiert diese auch schon mal | |
an die Wand, sodass sie den Bogen zur ostasiatischen Gebetsmühle schlagen. | |
Einige Drehwalzen tragen dann Reliefs von westlich antiken Rollsiegeln, das | |
ikonografische Spektrum wird nochmals gedehnt. Dazugesellte | |
Architekturmodelle aus besagtem Regensburger Treppeninstitut und eine | |
Soundarbeit spielen unter dem ironischen Titel „The Wheel of Life“ auf das | |
trendige, pseudobuddhistische Instrumentarium zur permanenten und | |
ganzheitlichen Selbstoptimierung an. | |
Die Leiter, besonders als Karriereleiter, ist aber auch ein schönes | |
Sinnbild für einen Kunstverein, findet Direktorin Jule Hillgärtner. Denn | |
dessen Aufgabe ist es ja, jüngere Künstler*innen bei ihrem professionellen | |
Aufstieg zu fördern. Im Haupthaus stellt der gebürtige Tiroler Oliver Laric | |
aus. Er ist sechs Jahre älter als Jasmin Werner und hat bereits diverse | |
internationale Ausstellungsbeteiligungen vorzuweisen, ist auf der | |
Karriereleiter also schon etwas länger unterwegs. | |
Laric zeigt Arbeiten von 2014 bis zu ganz aktuellen. Das Thema ist immer | |
die Metamorphose der Gestalt vorgefundener oder selbsterstellter Figuren, | |
die er digital animiert. Das wird in zwei Videos demonstriert. Lange galt | |
sein Interesse russischer Science-Fiction und Trickfilmen der 1930er-Jahre, | |
deren Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine er weitere Veränderungen | |
absolvieren lässt. Ein alter Mann wird wieder zum Embryo und verschwindet, | |
ein kerniger Gewichtheber zum schnittigen Auto, Chimären unklarer Identität | |
oder biologischer Zuweisung entstehen. | |
Während erste Arbeiten noch ganz klassisch mit zwölf Bildern pro Sekunde, | |
ähnlich dem alten Daumenkino, generiert wurden, basiert sein fluides neues | |
Werk „Betweenness“ auf volldigitaler 3D-Vektorgrafik. Als dessen grafisches | |
Primitiv, also Basiselement, nahm er die ganz elementare Linie, die sich | |
in Bündeln überlagert, krümmt, in den Raum greift und so Silhouetten | |
laufender Tiere, menschlicher Wesen oder im Zeitraffer wachsende | |
Vegetabilien erzeugt. | |
Das ist ebenso unterhaltsam wie dystopisch gespenstisch, hat man dabei | |
aktuell doch immer die Genschere im Hinterkopf. Sie steht nach angeblich in | |
China manipulierten menschlichen Zwillingen im Fokus ethischer Diskurse, | |
schlichtweg wegen ihrer unkalkulierbaren Risiken, auch im weiteren Erbgang. | |
Untermalt sind die Videos mit getragenem Piano-Sound des Finnen Ville | |
Haimala – er ist ausgebildeter Architekt. Auch ihm geht es um nichts | |
weniger, als mit seinen Musikproduktionen eine neue Welt zu schaffen. In | |
der äußerst aufgeräumten Gesamtpräsentation zeigt Laric noch fünf | |
Renderings aus seinen 3D-Modellen, gleichfalls gespenstische Überlagerungen | |
aus Fabelwesen, menschlichen Organen oder Pflanzen, sowie im Garten einen | |
Hundemenschen als transparente Plastik. Hier griff er tiefer in die | |
Kunstgeschichte, zitiert den Grenouillard oder Frog-Man, eines der | |
phantastischen Hybride, die der französischen Keramiker Jean Carriès um | |
1890 schuf. | |
Auf Laric’Einladung liefert die Engländerin Lucy Beech den obligatorischen | |
Kommentar im „Gästezimmer“ des Obergeschosses: Ihr Video „Pharmakon“ | |
beschäftigt sich mit der Eigendynamik von Selbsthilfegruppen im Rahmen | |
alternativer Medizin und ihrer Behandlungsmethoden. | |
Ebenfalls im Obergeschoss findet derzeit die Präsentation der Jahresgaben | |
statt. Diese von Künstler*innen überlassenen Unikate oder Kleinserien, zu | |
moderaten Preisen angeboten, sind längst ein Paralleluniversum zum | |
Kunstmarkt und spülen oft dringend notwendige Mittel in die Kasse eines | |
Kunstvereins. In fünf Räumen bieten die über zwanzig Arbeiten, auch aus | |
lang vergangenen Jahren, auch einen Rückblick auf die Erfolgsgeschichte so | |
mancher Künstler*in. | |
Denn selbst wenn sich Michael Beutlers hochbeinige Sitzbankedition von 2005 | |
eher als sperriger Ladenhüter erweist – die Karriere des gebürtigen | |
Oldenburgers nahm damals hier eine wichtige Stufe ihres steilen Aufstiegs. | |
Oliver Laric: „Jahr des Hundes“; Lucy Beech: „Pharmakon“; Jasmin Werner: | |
„The Wheel of Life“: bis 17. Februar, Kunstverein Braunschweig | |
8 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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