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# taz.de -- Die Dauerkrise mit der Krisenwohnung
> Eine Wohnung, die extra angemietet wurde, um queere Opfer von Zwangsehen
> zu schützen, steht seit Monaten leer. Der Grund:erst unklare
> Zuständigkeiten im Senat, dann fehlendes Geld und schließlich die
> rätselhafte Ablehnung eines Förderantrags
Von Klaas-Wilhelm Brandenburg
Wenn Berliner und BerlinerInnen über etwas schimpfen können, dann über den
Wohnungsmarkt; besonders einfach schimpft es sich über leerstehende
Wohnungen. Auch der Senat stimmt da gerne mit ein – nicht ohne im gleichen
Atemzug auf die beschränkten Mittel zu verweisen, die das Land Berlin habe,
um Leerstand zu bekämpfen. Seit mehr als einem halben Jahr ist es
allerdings der Senat, der für den Leerstand einer Wohnung verantwortlich
ist. Einer Wohnung, die vielen Menschen helfen könnte.
Es geht um eine Krisenwohnung für queere Menschen – also Lesben, Schwule,
Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen –, die von
Zwangsheirat bedroht sind oder schon zwangsverheiratet wurden. „Diese
Menschen brauchen Schutz, oft vor ihrer eigenen Familie“, erzählt Aileen
Kakavand, die einige Betroffene psychologisch betreut. „Sie wurden
verprügelt oder mit Messern bedroht“, erzählt sie, auch Morddrohungen habe
es schon gegeben. Ausführlicher möchte Kakavand nicht werden, jedes Detail
zu viel könnte die Betroffenen in Lebensgefahr bringen.
Umso problematischer ist, dass es nach wie vor keine sichere Bleibe für
diese Opfergruppe gibt – in Berlin nicht, aber auch sonst nirgendwo in
Deutschland. Dabei sei ein Schutzraum bitter nötig, sagt Kakavand, die
neben ihrer psychologischen Tätigkeit den Bereich Migration des Lesben- und
Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) leitet. „Es kommt vor, dass
auch Frauenhäuser nicht helfen können, die sehr riskanten Fälle
aufzunehmen, wo eine sehr große Familie im Hintergrund steht.“ Noch
schlechter sei die Lage bei schwulen Männern: „Da gibt es einfach keine
Schutzräume – und wir kommen schlichtweg an unsere Grenzen.“
Eigentlich hatte Kakavand gemeinsam mit LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert
bereits Anfang des Jahres einen Träger gefunden, der bereit ist, eine
solche Wohnung einzurichten: die Arbeiterwohlfahrt Spree-Wuhle (AWO). Und
die hatte durch „großen Zufall“, so der stellvertretende Kreisvorsitzende
Christian Meyerdierks, tatsächlich im Mai eine Wohnung gefunden und
angemietet. „Unsere Hoffnung war, dass wir möglichst schnell mit dem
Projekt starten können“, erzählt Meyerdierks. Aber dann kam der Senat ins
Spiel.
Zwar steht im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016, dass die Regierung
Krisenwohnungen für von Zwangsverheiratung betroffene queere Menschen
einrichten wird. Aber zunächst ist unklar, welche Senatsverwaltung
überhaupt dafür zuständig ist. Als das schließlich geklärt ist – es ist …
Senatsverwaltung für Justiz und Antidiskriminierung –, fällt auf: Für die
Krisenwohnung ist im Haushalt bislang gar kein Geld eingeplant. Schließlich
wenden sich LSVD und AWO an die Senatskanzlei des Regierenden
Bürgermeisters. Die empfiehlt, Gelder bei der Lotto-Stiftung zu beantragen.
Gesagt, getan: Ein Antrag auf 600.000 Euro wird eingereicht, damit könnten
die Wohnung und Sozialarbeiter fast vier Jahre finanziert werden. „Bei
Lottomitteln gibt es immer eine Verwaltung, die dafür votieren muss, dass
man Geld bekommt“, erklärt LSVD-Geschäftsführer Steinert. „Bei uns war d…
die Landesantidiskriminierungsstelle in der Justizverwaltung, und da hat
ein guter fachlicher Austausch stattgefunden.“ Jetzt ist das Ganze nur noch
reine Formsache, denkt er.
Im September trifft sich der sechsköpfige Stiftungsrat der Lotto-Stiftung,
verschiebt den Antrag aber. In der nächsten Sitzung Ende November wird der
Antrag allerdings abgelehnt. Ein Grund dafür wurde weder Steinert noch
Meyerdierks von der AWO genannt. Marion Bleß aus dem Vorstand der
Lotto-Stiftung schreibt lediglich: „Der Antrag wurde zunächst
zurückgestellt, weil es noch Fragen zum Konzept und zur Finanzierung gab.
Die Antworten des Antragstellers auf die Fragen des Stiftungsrats führten
nicht zu einer mehrheitlichen Zustimmung im Stiftungsrat.“
Steinert erinnert sich noch gut an diese Fragen des Stiftungsrats: „Das war
ein Zweizeiler, der binnen weniger Tage beantwortet werden musste. Konkret
wollte der Stiftungsrat wissen, ob in die Wohnung auch heterosexuelle
Menschen einziehen können, wenn die Wohnung mal nicht voll belegt ist.“
Das haben AWO und LSVD in einem ausführlichen Schreiben abgelehnt, denn, so
Steinert: „Sonst könnte man bei einem Frauenhaus auch sagen: ‚Oh, da ist
ein Platz frei, da stecken wir mal einen Mann rein!‘“ Wenn man
heterosexuelle Menschen in eine Wohnung für queere Menschen mit
einquartiere, die Opfer von Homofeindlichkeit geworden sind, sei die
Wohnung kein Schutzraum für queere Menschen mehr. Steinert fragt sich nun,
ob diese Antwort der Grund ist, warum der Antrag auf Lottomittel am Ende
vom Stiftungsrat abgelehnt wurde.
Für Sebastian Brux, Sprecher der zuständigen Senatsjustizverwaltung, kam
die Ablehnung des Lotto-Antrags überraschend: „Wir haben ja auch ein
positives Votum gegeben für die Lottostiftung, damit sie die Gelder zur
Verfügung stellt!“ Noch überraschender ist die Ablehnung, weil fünf der
sechs Mitglieder des Lotto-Stiftungsrates ein Parteibuch von SPD, Grünen
oder Linken haben und drei von ihnen sogar Mitglied des Senats sind.
Vorsitzender des Stiftungsrats ist zudem Michael Müller – und damit der
Chef der rot-rot-grünen Koalition, die sich die Einrichtung von – mehreren
– Krisenwohnungen für queere Menschen in den Koalitionsvertrag geschrieben
hat.
Unterm Strich bleibt eine seit Mai leerstehende Wohnung, die die AWO jeden
Monat 2.000 Euro Miete kostet. „Wir hätten damit viele andere gute Sachen
machen können“, sagt AWO-Kreischef Meyerdierks.
Aber vielleicht gibt es doch noch einen Hoffnungsschimmer: „Wir können aus
unserem bestehenden Haushalt für das kommende Jahr etwa 100.000 Euro
zusammenkratzen, damit wir dieses Projekt dann ermöglichen können“,
verkündet Brux von der Senatsjustizverwaltung. Im Januar soll ein
Interessenbekundungsverfahren starten, bei dem können sich verschiedene
Projektträger auf das Geld bewerben. Das beste Konzept für die
Krisenwohnung soll den Zuschlag bekommen.
„Wir werden uns ganz sicher an diesem Interessenbekundungsverfahren
beteiligen“, sagt Christian Meyerdierks von der AWO – trotz der
Vorgeschichte. Wenn die AWO den Zuschlag bekommen sollte, könnten in die
Wohnung also tatsächlich noch queere Opfer von Zwangsehen einziehen. „Ich
gehe davon aus, dass wir bis Ende Januar auf jeden Fall diese Wohnung noch
halten“, so Meyerdierks. Und wenn das Interessenbekundungsverfahren bis
dahin noch keinen Sieger hervorgebracht hat? „Dann ist die Wohnung futsch.“
Die Uhr tickt also: Für die Wohnung, die queeren Zwangsverheirateten – und
für den Senat.
13 Dec 2018
## AUTOREN
Klaas-Wilhelm Brandenburg
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