Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wolkig witzig
> Teil des Problems oder Teil der Lösung? Eine Ausstellung in der
> Kunsthalle am Hamburger Platz in Weißensee hat den Kunststudenten Holger
> Meins zum Ausgangspunkt
Bild: Holger Meins, Selbstporträt ca. 1966Foto: Kunsthochschule Weißensee
Von Tilman Baumgärtel
„Bist du Teil des Problems oder Teil der Lösung?“ Bei der Umfrage unter
Studenten und Mitarbeitern der Kunsthochschule Weißensee mögen manche
Antworten wolkig ausfallen, andere als Witz gemeint sein. Doch die Tendenz
ist klar: Die Mehrheit sieht sich in erster Linie als Teil des Problems;
selbst graduell optimistischere Antworten wie „Ich bin Teil des Problems,
aber ich will auch Teil der Lösung sein“, hört man in der Videoarbeit kaum.
Was das Problem und was die Lösung ist, hatte man dabei noch gar nicht
gesagt bekommen!
Einige der Interviewten wollten sich offenbar nicht einmal filmen lassen,
so scheint dann die Kaffeetasse oder ein Busch auf die Frage zu antworten.
Wenn man diese Interviews als repräsentativ für die Generation der Zwanzig-
bis Dreißigjährigen nimmt, bleibt der Eindruck eines vagen Wissens um die
eigene Verstricktheit in eine ungerechte Gesellschaft, aber auch wenig
Initiative, etwas daran zu ändern.
Was kann so eine Generation anfangen mit Leuten, die vor fünfzig Jahren
sich nicht nur sehr dezidiert als Teil der Lösung gesellschaftlicher
Probleme verstand, sondern dieses Selbstbild auch ostentativ vor der Kamera
demonstrierte? Eine Präsentation in der Ausstellungshalle der
Kunsthochschule Weißensee, die von den Professoren Christoph Wachter und
Mathias Judd auf Anregung der Studierenden organisiert worden ist, bringt
die beiden Generationen zusammen.
Ausgangspunkt ist dabei Holger Meins: erst Kunst-, dann Filmstudent,
rasante politische Radikalisierung nach der Ermordung des Studenten Benno
Ohnesorg, 1968 zusammen mit 15 anderen Kommilitonen wegen politischem
Protest aus der frisch gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie
(DFFB) geflogen. Holger Meins wird Mitglied der RAF, wird beschuldigt, sich
an Anschlägen auf US-Einrichtungen in Frankfurt und Heidelberg beteiligt zu
haben.
Zusammen mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe wird er 1972 verhaftet. Er
stirbt 1974 in Folge eines Hungerstreiks in der Untersuchungshaft in
Wittlich. In einem Brief aus dem Gefängnis heißt es: „entweder du bist ein
teil des problems oder du bist ein teil der lösung. DAZWISCHEN GIBT ES
NICHTS. so einfach und doch so schwer.“ Sein Tod und die Gefangenenhilfe,
die entsteht, um die RAF-Mitglieder im Gefängnis zu unterstützen, hält die
Gruppe für Jahrzehnte am Leben.
Auf mehreren Tischen sind Skizzen des Kunststudenten Meins zu sehen. Wie
man in einem Jahrzehnt von Akten, die an Arno-Breker-Plastiken erinnern,
zum linksextremen Terrorismus kommt, darauf geben die schlicht
präsentierten Bilder keine Antwort. Die Schwarz-Weiß-Fotos aus derselben
Zeit, die unter anderem einen Straßenkehrer zeigen, signalisieren aber
immerhin schon ein Interesse an den untersten sozialen Schichten.
Daran knüpft sein erster DFFB-Film „Oskar Langenfeld“, eine kommentarlose
Dokumentation über einen Berliner Stadtstreicher, nahtlos an. Meins Film
über die Herstellung eines Molotowcocktails, der 1968 an der DFFB zur
Eskalation führte, bleibt allerdings verschwunden.
Trotzdem ist in der Ausstellung viel Video zu sehen. Die Interviews, die
die Filmemacher Hartmut Jahn und Gerd Conrad für ihren Film „Starbuck“ üb…
Holger Meins geführt haben, werden in neu geschnittenen, ausführlicheren
Versionen gezeigt.
Auffallend, dass es vor allem die Studierenden aus Ländern wie dem Iran,
Irak, Syrien, Israel oder Palästina sind, bei denen die Geschichte von
Holger Meins und seiner politischen Entwicklung Wiederklang zu finden
scheint, wie zum Beispiel eine Audioinstallation zeigt, in der sich zwei
Frauen aus Israel und dem Iran über den Konflikt zwischen ihren Ländern
unterhalten. Sajan Mani aus Bangladesch erinnert in seinen Performances an
den kommunistischen Widerstand in seinem Heimatland, und kommt so zu
pathetischen Bildern von sich mit roter Fahne in einer Meeresbucht, die
stark an den DFFB-Studentenfilm „Farbtest“ von Gerd Conrad erinnern, in dem
eine rote Fahne erst durch die Straßen Berlins getragen und am Schluss von
Holger Meins vom Balkon des Westberliner Rathauses in Schöneberg entrollt
wird.
Während es beim Werk von Mani direkte Bezüge zu der „antiimperialistischen�…
Ideologie der RAF gibt, wirkt der Blick der deutschen Studierenden deutlich
distanzierter. Tamara Stotz stellt Bilder von historischen
APO-Demonstrationen Aufnahmen von Protestkundgebungen gegen Stuttgart 21
oder G20-Gipfel in Hamburg gegenüber. Deren Erkenntnisgewinn bleibt
allerdings gering: Okay, es gab und gibt Demonstrationen in Deutschland,
aber sonst?
„Wofür es sich zu leben lohnt. Gezeichnet von den 68ern – eine Betrachtung
ausgehend vom jungen Kunststudenten Holger Meins.“ Bis zum 11. Januar in
der Kunsthalle Hamburger Platz, Weißensee
28 Dec 2018
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.