# taz.de -- Hamlet, der Checker | |
> Das aufBruch-Gefängnistheater ist bekannt für gute Theaterarbeit mit | |
> jugendlichen Inhaftierten. Aktuell ist in der JVA Plötzensee ein | |
> bemerkenswerter „Hamlet“ zu bestaunen | |
Bild: Die Jungs merken, dass sie jenseits der Peergroup komisch wirken können:… | |
Von Tom Mustroph | |
Für die Rahmung sorgt am Premierenabend Anstaltsleiter Bill Borchert: „Wenn | |
Sie mit verbundenen Augen in den Raum hineingeführt worden wären und sie | |
erst jetzt geöffnet hätten, würden Sie sicher nicht denken, dass Sie sich | |
in einem Gefängnis befinden“, meint er. Und tatsächlich, der Kultursaal der | |
Jugendstrafanstalt würde manches Gemeindezentrum als Veranstaltungsraum | |
zieren. Jetzt ist Gestühl aufgebaut, in ansteigenden Reihen, damit die | |
weiter hinten Sitzenden auch etwas sehen. Die Bühnenfläche ist freigeräumt, | |
der Platz für Videoprojektionen begrenzt von zwei großen mobilen Treppen. | |
Die Treppen dienen einmal als Podeste für royale Hierarchien: oben der | |
König, eine Stufe tiefer die Königin. Noch tiefer, immerhin aber noch | |
erhoben, die Günstlinge. Dann nehmen die Treppen aber auch den Chor auf. | |
Keine Inszenierung von Peter Atanassow, diesem späten | |
Einar-Schleef-Schüler, ist denkbar ohne chorische Momente. | |
## Kraftvolle Verstörung | |
In „Hamlet“, diesem Vereinzelungsstück, sind die chorischen Elemente | |
weniger häufig als gewohnt. Das bedeutet auch: Viel tragen die einzelnen | |
Schauspieler weg in den Figuren, die sie sich zu eigen machen. Sie müssen | |
sogar mehr leisten als geplant, denn einer der drei „Hamlet“-Darsteller | |
wurde mitten in den Proben entlassen – Besetzungssorgen eines | |
ungewöhnlichen Theaterprojekts. | |
Die verbliebenen zwei Hamlets machen nun mehr. Und sie machen es gut. Nicht | |
nur die Prinzendarsteller, sondern auch jene von Laertes und Ophelia, von | |
Horatio und vom Königspaar, vom komischen Duo Rosencrantz & Güldenstern. | |
Schaut man diesen späten Teenagern und jungen Twens zu, vergisst man | |
komplett, über ihre Vorstrafen nachzudenken. Denn nur wegen | |
Bagatelldelikten landet man nicht gleich in der Jugendstrafanstalt. | |
Solcherart Gedanken geraten komplett in den Hintergrund, sobald dieses in | |
sieben Wochen Probenzeit zusammengewachsene Ensemble zu spielen beginnt. | |
Man wohnt dann fasziniert einem Prozess bei, in dessen Verlauf sich | |
Charaktere entwickeln und Persönlichkeiten herausschälen. Voller Sympathie | |
und Staunen beobachtet man, wie im Gerüst der Rollen einzelne Momente und | |
Motive von dem Menschen, der sie verkörpert, angenommen, verstärkt und | |
spielerisch ausgebaut werden. Anderen Elementen nähert sich manch Spieler | |
noch zögernd, skeptisch, ein wenig unsicher auch. Wieder anderes gerät | |
komplett in den Hintergrund. | |
Was den Burschen gut gelingt, wo offenbar wenig Probenzeit vonnöten war, | |
sind die herrischen Gesten von König und Königin, das Aufplustern der | |
Jungmilitärs wie Horatio und Laertes, und ja, auch von Hamlet. Der kommt | |
nicht gleich zögernd, zweifelnd und grübelnd daher, sondern ist ein | |
kraftvoller Bursche, der mit Dingen ringt, die neu sind, nicht gleich | |
begreiflich und deswegen verstörend. Die Kraft aber ist da, und die | |
Verstörung ist kraftvoll. Der Versuch, das Intrigengespinst zu lösen, geht | |
auch recht energisch vonstatten. Dieser Hamlet ist ein Checker, der um sein | |
Recht zu begreifen kämpft und auch um sein Recht, Ordnung | |
wiederherzustellen. | |
Die Rache dann, das finale Abschlachten mit vergiftetem Dolch und | |
vergiftetem Trank, gerät den jungen Männern zur Komödie. Der Spaß am | |
komischen Sterben überträgt sich vom Spielfeld zu den Stuhlreihen und | |
wieder zurück. Die Jungs merken, dass sie auch außerhalb der eigenen | |
Peergroup komisch wirken können, vor fremdem Publikum; auch so eine | |
Erfahrung. | |
## Hollywood wartet | |
Nach der Vorstellung werden auch gleich mal neue Träume und Ansprüche | |
formuliert. Wer kurz zuvor Text geradeaus gesprochen hat – nur einmal | |
musste die Souffleuse eingreifen –, träumt gleich von Hollywood und wird | |
von den Kumpels dazu angetrieben. Nun gut, Maß halten muss nicht immer | |
gleich die Untugend der Spießer sein. Aber die Munterkeit, mit der dieses | |
Ensemble diesen Shakespeare annimmt, verzaubert. Eine schöne Brechung, | |
Anreicherung und Öffnung erfährt der Abend durch Projektionen des | |
„Hamlet“-Films aus dem Jahre 1921 mit Asta Nielsen als Dänenprinz. | |
Heiner-Müller-Texte aus der „Hamletmaschine“, die über das Spielen und das | |
Ende des Spiels rhythmisch sinnieren und chorisch vorgebracht werden, | |
bringen die Vorstellung am Schluss dann wieder auf die intellektuelleren | |
Gleise. Ein Abend, der das Sehen wert ist, auch im Kontext der vielen | |
anderen Events in der Theaterstadt Berlin. | |
Wieder am 28., 30. 11., 3., 5., 7. 12 jeweils 17.30 Uhr, 15/10 Euro, nur | |
mit Vorbestellung | |
28 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |