# taz.de -- Die NSA in Flammen | |
> Drohnen, Bots und Fake-Profile etc.: Wie angesichts der technologisch | |
> determinierten Gegenwart handlungsfähig bleiben? Ein Rundgang durch die | |
> Ausstellung „Agency“ mit James Bridle | |
Bild: Anna Ridler, „Wikileaks: A Love Story“, 2016. Paper, augmented realit… | |
Von Sabine Weier | |
Gerade ist James Bridle in Berlin angekommen. Seit drei Jahren wohnt der | |
Brite in Athen, in jener europäischen Stadt, in der sich das Leben derzeit | |
vielleicht am anarchistischsten anfühlt. Fast überall auf der Welt hat der | |
Medienkünstler und Überwachungskritiker in den vergangenen Jahren seine | |
„Drone Shadows“ auf Straßen gesetzt – Drohnenschatten, die daran erinner… | |
dass Überwachung für uns meist unsichtbar, aber allgegenwärtig ist. Bei der | |
Manifesta in Palermo ist gerade „Citizen Ex“ (2015) zu sehen. Darin befasst | |
er sich mit der Materialität der oft als ephemer begriffenen Datenströme | |
und visualisiert den Weg, den sie zurücklegen, wenn wir surfen. | |
In Berlin ist Bridle ausnahmsweise mal nicht, um eigene Arbeiten | |
vorzustellen. In der Nome Gallery zeigt er unter dem Titel „Agency“ welche | |
anderer KünstlerInnen. Diesen Sommer erschien im Verso-Verlag sein Buch | |
„The New Dark Age: Technology and the End of the Future“. Darin bespricht | |
er eine technologisch determinierte Gegenwart, in der Computer das Denken | |
für Menschen übernehmen. „Auf immer komplexer werdende technologische, | |
politische und soziale Systeme, die keiner mehr wirklich versteht, | |
reagieren wir mit Angst, Entfremdung und Apathie“, sagt Bridle. Im Buch und | |
in der Ausstellung stellt er die Frage nach agency, danach also, welche | |
Denk- und Handlungsräume uns noch bleiben. | |
Eine einfache Antwort darauf hat Bridle freilich nicht parat. Aber in der | |
Kunst fänden sich Alternativen, um dem scheinbar festgeschriebenen Narrativ | |
der Handlungsunfähigkeit zu begegnen. „Die alten Strategien reichen nicht | |
mehr“, sagt er. Das betreffe auch seine eigene Praxis. Recherchieren, | |
Aufdecken, Sichtbar-Machen – das finde er zunehmend problematisch, denn im | |
Grunde seien das Gesten der Macht und Kontrolle, die jene der kritisierten | |
AkteurInnen reproduzierten. Neue Geschichten schreiben statt vorhandene | |
umschreiben, das interessiere ihn jetzt mehr. Und dazu gehöre auch Humor. | |
Den wendet etwa Anna Ridler in ihrer Installation „WikiLeaks: A Love Story“ | |
(2016) an. Auf einem langen Tisch liegen Stapel mit von der | |
Enthüllungsplattform WikiLeaks publizierten Dokumenten aus. Die | |
BesucherInnen scannen diese mit einer auf einem Pad installierten Augmented | |
Reality App, decken so aber keinen Politskandal, sondern eine | |
Liebesgeschichte auf. | |
Auch Constant Dullaarts Blick ist ein satirischer. Vor einigen Jahren | |
generierte er eine Armee von Bots in Form von Fake-Profilen auf Facebook | |
und nutzte diese für eine Reihe von Projekten. Die vielen SIM-Karten, die | |
er dafür einsetzte, präsentiert er eingelassen in eine überdimensionale | |
Plastikkarte, aus der sie sich sonst einzeln herauslösen lassen. „Jede ist | |
wie ein kleiner Sarkophag, in dem sich ein mächtiger Geist befindet“, sagt | |
Bridle. | |
Ingrid Burrington entfremdet ebenfalls ein machtvolles Objekt, allerdings | |
indem sie es zerlegt: Sie präsentiert ein iPhone als einen in eine | |
Glaskugel gepressten Haufen schwarzen Staubs. Ein ironischer Verweis auf | |
eine okkulte Kristallkugel und die Allmacht Apples. | |
Mit leuchtenden Augen packt Bridle eine gerahmte Zeichnung von Suzanne | |
Treister (Jahrgang 1958) aus. Sie sei der Ausgangspunkt für die Schau | |
gewesen. Die britische Künstlerin war eine der ersten, die sich seit den | |
1990ern mit den aufkommenden Technologien und politischen Machtapparaten | |
auseinandersetzte. Auf 63 mal 122 Zentimetern stellt sich Treister mit | |
Bleistift und Wasserfarbe vor, wie der Hauptsitz des | |
US-Auslandsnachrichtendienstes NSA in Flammen steht. Der gigantische, von | |
dunklem Glas verkleidete Quader in Fort Meade lässt unweigerlich an eine | |
zeitgenössische Pandorabüchse denken, jenes Gefäß, das in der griechischen | |
Mythologie alle menschlichen Übel enthielt. „Ich habe viel über die | |
Machtpolitik der NSA geschrieben“, sagt Bridle, „aber Suzanne stellt sich | |
einfach vor, wie das Gebäude in Flammen steht. Das ist ein radikaler Akt, | |
der viel mit dem zu tun hat, was ich mit agency meine.“ | |
Für Arbeiten, die digitale Kultur in Objekte überführen, hat Bridle vor | |
einigen Jahren den Begriff „The New Aesthetic“ geprägt. Morehshin | |
Allahyari zeigt eine mit dem 3-D-Drucker geschaffene Skulptur: einen | |
dreiköpfigen Dschinn mit zwei großen Brüsten aus der islamischen | |
Mythologie. Der Dschinn ist ein Geistwesen mit einiger Intelligenz, wie | |
jene Bots Dullaarts. Die Arbeit lässt sich aber auch zu Sophia Al-Marias | |
„The Limerent Object“ (2016) querlesen, einer Videoarbeit, in der sie von | |
poetischen Texten und Sounds begleitete Körperbilder und | |
Fruchtbarkeitssymbole, wie die Venus von Willendorf, übereinanderlegt. Die | |
Schriftstellerin und Videokünstlerin aus Katar gehört zu einer von ihr als | |
„Gulf Futurism“ bezeichneten Bewegung, die Ölreichtum und reaktionären | |
Islam im Spätkapitalismus und die technologische Isolierung des Individuums | |
kritisiert. | |
Auch die in traditioneller islamischer Kunst und Architektur geschulte | |
Navine G. Khan-Dossos gibt Narrativen um Macht und Technologie eine neue | |
Form und analysiert so den zeitgenössischen Orientalismus und Islamophobie. | |
Für die kleinen Gouachen „Cascades“ (2015) beschäftigt sie sich mit | |
medialen Repräsentationen der Terrormiliz IS. Sie basieren auf Interviews, | |
die sie unter anderem über Twitter mit IS-Frauen führte. In abstrakte | |
Ornamente lässt sie etwa das Twitter-Logo, Säbel oder eine Graustufenskala | |
ein, als Verweis auf Schwarz als ästhetischen Standard des IS, den | |
westliche Medien reproduzieren. | |
Dass in Bridles Schau fast nur weibliche Positionen vertreten sind, ist | |
bemerkenswert, denn die verhandelten Themen werden in öffentlichen | |
Diskursen von Männern dominiert und das reproduziert sich auch in der | |
Kunst. „Künstlerinnen wie Treister und Ridler verhandeln die Themen um | |
Technologie in radikal neuer Weise“, sagt Bridle. Um festgeschriebene | |
Narrative der Handlungsunfähigkeit aufzulösen, lohnt es sich also, auf | |
weibliche Alternativen zu schauen. | |
Nome Gallery, vom 27. Oktober bis 7. Dezember 2018 | |
27 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |